Vorhang auf. Jose Mourinho kam. Der eloquente Trainer von Inter Mailand. Einen Tag vor dem heutigen Champions-League-Gruppenspiel zwischen dem italienischen Meister und Werder Bremen (ab 20.45 Uhr im stern.de-Liveticker) betrat der portugiesische Maestro zu seiner ganz persönlichen Show die Bühne. Im Trainingszentrum Angelo Moratti in Appiano Gentile nahe Como lieferte der 45-Jährig eine legendäre Vorstellung.
Mourinho deckelte vorlaute Fragesteller ("Am besten gebe ich Ihnen einen Stift und Sie schreiben hier vor allen die beste Aufstellung an die Tafel und übernehmen die Verantwortung"), er verriet ironisch sein Gehalt ("Es sind mit Sponsoren und Werbung elf Millionen, nein warten Sie, wenn ich richtig überlege, sind es sogar 14 Millionen") und plauderte ein bisschen abfällig über den heutigen Gegner. Dass Mourinho etwa vor zwei Jahren schon einmal mit Chelsea gegen Werder verloren habe, bewertet der smarte Mann nicht über, "da haben wir mit der zweiten Mannschaft gespielt."
Mourinho kennt Özil
Es muss Werder ja ehren, dass Mourinho zum Ende seines 40-minütigen Auftritts noch ein paar Spielernamen aus grün-weißen Gästereihen kannte und nannte. "Da ist eine Mannschaft aufgebaut worden, die über Jahre gewachsen und immer wieder gut verstärkt wurde, zuletzt mit einem Özil, aber auch Pizarro." Letzteren kennt Mourinho noch aus seiner Amtszeit in London, Ersterer dürfte ihm beim DVD-Studium der vergangenen Bremer Bundesligaspiele aufgefallen sein.
Mesut Özil ist also bei Inter Mailand und José Mourinho angekommen. Ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter des 19-Jährigen, der gute Chancen hat, im September der Bundesliga-Spieler des Monats zu werden. Kein Profi hat die Liga ja jüngst so im Sturm erobert wie die Nummer elf von Werder Bremen. Sechs Bundesligaspiele, drei Tore, vier Vorlagen. Jeder Treffer, jeder Assist tauglich für das Lehrbuch. Fulminante Volltreffer, filigrane Vorbereitungen. Özil in aller Munde.
"Zurzeit klappt mir einfach alles. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich versuche mich aber einfach nur, auf das nächste Spiel zu konzentrieren", sagt Özil bescheiden. Der große Redner wird der 1,82 Meter große und 73 Kilo leichte U 21-Nationalspieler nie werden. Dass muss er auch nicht, wenn er statt Worte weiter solche Taten sprechen lässt, die auch damit zusammenhängen, dass Özil privat wie sportlich an der Weser endlich angekommen ist.
Werder-Bosse schwärmen
Behutsam aufgebaut von Trainer Thomas Schaaf, stets geschützt von Sportchef Klaus Allofs. Als Özil ("In Bremen ist der öffentliche Druck nicht so groß") sich sowohl beim triumphalen 5:2 bei Bayern München als auch beim wahnwitzigen 5:4 gegen 1899 Hoffenheim zum treffsicheren wie selbstbewussten Matchwinner aufschwang und gar Spielmacher Diego in den Schatten stellte, kam die sportliche Leitung um Lobeshymen gar nicht umhin.
"Mit seinen guten Aktionen belohnt er sich selbst. Klar, dass das zusätzlich Selbstvertrauen gibt. Er hat schon in der Vorbereitung gut gearbeitet, jetzt hat er an Sicherheit gewonnen", sagt Schaaf über den Linksfuß. "Er hat bestimmte Fähigkeiten, die ein Spiel entscheiden können. Er besitzt großes läuferisches Potenzial und eine sehr gut Technik", betont Allofs. Die Özil tief im Westen erlernt hat und nun im hohen Norden ausschöpft. In Gelsenkirchen ist er groß geworden – DJK Westfalia 04 Gelsenkirchen und DJK Teutonia Schalke Nord und DJK Falke Gelsenkirchen waren im Kinder- und Jugendalter seine ersten Vereine.
Anfänge im Ruhrpott
Rot-Weiß Essen schnappte sich den Straßenfußballer, vor drei Jahren zog es das Talent schließlich zum FC Schalke 04. Ein Traum ging in Erfüllung. "Ich habe früher bei den Profis beim Training zugeguckt und Autogramme gesammelt", gestand Özil einmal. Ganz früher war er sogar Fan von Borussia Dortmund – eigentlich ein Frevel für einen Königsblauen. Mit 17 Jahren durfte er auf Schalke sein erstes Bundesligaspiel machen. Özil erinnert sich noch genau. "Trainer Mirko Slomka hatte mir das Vertrauen gegeben. Ich war sehr nervös, vor 60000 Fans zu spielen. Aber es war ein Traum."
Doch alsbald erlebte er auf Schalke seinen ganz persönlichen Albtraum. Im vergangenen Winter stand der Mittelfeldspieler nämlich mitsamt seiner Familie bundesweit am Pranger. Vater Özil und der in Düsseldorf ansässige Berater Reza Fazeli streiteten sich mit dem FC Schalke 04 um eine Vertragsverlängerung. Einigkeit konnte nicht hergestellt werden, als plötzlich die königsblaue Offerte an die breite Öffentlichkeit gelangte: Ein Angebot von 1,5 Millionen Euro jährlich hätten Özil und seine Gefolgschaft brüsk abgeschlagen. Der Junge stand plötzlich als Raffzahn dar, Manager Andreas Müller goss weiter Öl ins Feuer, Özil senior schoss zurück - das Tischtuch war zerschnitten.
Schwierige "Raffzahn-Affäre"
"Ich war sehr enttäuscht. Zunächst hatte ich gar nicht so viel davon mitbekommen, weil ich kurz nach Weihnachten im Urlaub in Istanbul war", berichtete Özil einmal dem Werder-Magazin. "Dann haben mich meine Verwandten angerufen und mir erzählt, dass es diese Schlagzeilen gab. Ich habe nicht verstanden, dass es so gekommen ist." Die Zeichen standen auf Trennung.
Hannover 96 buhlte um den Spieler, der VfB Stuttgart preschte vor – und noch am 29. Januar schien sich Özil nur zwischen den Klubs entscheiden zu können. Doch aus dem Hintergrund lockte längst Werder – mit dem besten Angebot, mit den besten Perspektiven. Fast fünf Millionen kostete der vermeintliche Problemfall, der bis 2011 laufende Vertrag soll jährliche Steigerungen auf rund zwei Millionen Euro Gehalt vorsehen. "Wir sind dafür kritisiert worden", erinnert sich Allofs, "so viel Geld ausgegeben zu haben. Doch es war doch klar, dass Mesut mit Anpassungsproblemen kämpfen würde und nicht mit breiter Brust zu uns kommen würde."
Ein Fall für Löw?
Davon ist nichts mehr zu sehen. Ob halblinks oder halblinks in der Raute oder gar als Ersatz für Diego – der gebürtige Gelsenkirchener ist zuletzt bester Bremer gewesen. Selbst Teamkollegen sagen, dass Özil reif ist, Diego im Falle seines vorzeitigen Weggangs zu beerben. "Wenn Mesut so weitermacht, kann er Diego ohne Probleme ersetzen, wenn der mal nicht mehr da ist", beteuert Jurica Vranjes. "Er ist auf einem guten Weg", betont Kapitän Frank Baumann, "er kann ein ganz Großer werden." Diegos Doppelgänger?
"Ich bin sehr stolz, das Werder-Trikot tragen zu dürfen", beteuert der gläubige Moslem, der vor jedem Spieler in der Kabine und auf dem Platz betet. "Es sind religiöse Gebete als auch Bittgebete für Gesundheit und Erfolg." Deshalb bedurfte es auch einziger Überzeugungskraft in der Familie, seinen Entschluss für die deutsche Nationalmannschaft zu erklären. "Die deutsche U 19 wollte mich unbedingt und ist mit sozusagen hinterher gerannt. Ich hatte da ein besseres Gefühl, als bei der türkischen Nationalmannschaft." Özil setzte sich durch, "das ist schließlich meine Karriere."
Vielleicht wird diese Entscheidung ja auch bald für Joachim Löw ein Glücksfall. So viele Kreativkräfte mit seinen Anlagen hat die deutsche A-Nationalelf nicht. Der Bundestrainer wird genau hinsehen, wie sich Bremens neuer Hoffnungsträger heute im ruhmreichen Giuseppe-Meazza-Stadion zu Mailand schlägt. Wenn Mourinho auch nach dieser Partie wieder aus freien Stücken den Namen Özil erwähnt, wäre das nicht die schlechteste Voraussetzung.