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DFB-Team Flick verzettelt sich in Experimenten und kann aus dem Belgien-Spiel eigentlich nur einen Schluss ziehen

Emre Can zeigt beim Länderspiel gegen Belgien mit dem Finger
Das Positivste, was aus zwei Länderspielen übrig bleibt: Emre Can hat das Zeug, die Abwehr der Nationalmannschaft zu stabilisieren
© Rolf Vennenbernd / DPA
Fußball als Feldversuch: Hansi Flick versucht gegen Belgien viel neues – und hat daher kaum Erkenntnisgewinn. Ein Spieler aber zeigt deutlich, dass er Probleme des Bundestrainers lösen kann.

Katar und Köln trennen mehr als 6000 Kilometer, auch geht im Emirat niemals so ein heftiger rheinischer Regen nieder wie am Dienstag – und doch fühlte sich dieser Abend im Stadion Müngersdorf sehr nach Wüste und Weltmeisterschaft an. Nach einer Fortsetzung des unseligen Turniers, das für die deutschen Fußballer bereits nach der Vorrunde beendet war.

Fast vier Monate nach dem Scheitern auf der arabischen Halbinsel muss Bundestrainer Hansi Flick erkennen, dass er auf die alten Probleme noch immer keine Antwort gefunden hat. Die Baustelle in der Abwehr ist sogar noch größer geworden, und wer das 2:3 gegen Belgien gesehen hat, wird sich fragen, ob diese bis zum Anpfiff der Heim-EM im nächsten Jahr überhaupt geschlossen werden kann.

Flick hatte die beiden Partien gegen Peru (2:0) und Belgien zu Feldversuchen erklärt. Er wolle "neue Spieler sehen, die uns neue Energie geben können", sagte er. Stammkräfte wie Antonio Rüdiger, Niklas Süle und Thomas Müller berief er nicht ins Aufgebot. Schon die Versuchsanordnung als solche wirft Fragen auf: Ist jetzt wirklich die Zeit fürs Würfeln und Ausprobieren gekommen? Machen Experimente nicht mehr Sinn, wenn es ein stabiles Fundament gibt und man hier und da kleine Veränderungen vornimmt? Worin soll der Erkenntnisgewinn liegen, wenn eine Mannschaft radikal neu formiert wird und sowieso klar ist, dass diese niemals das Team für die EM 2024 sein wird?

Kein Pflichtspiel mehr bis zur Heim-EM

Bis zum Beginn der Europameisterschaft Mitte Juni nächsten Jahres bestreitet die deutsche Nationalmannschaft kein einziges Pflichtspiel mehr; jede Testpartie müsste Flick eigentlich zum Ernstfall erklären, um seine erste Elf unter Wettkampfbedingungen zu härten. Stattdessen durften jetzt Nachwuchsleute wie Kevin Schade (Brentford), Josha Vagnoman (Stuttgart) und Mergim Berisha (Augsburg) ihren Einstand geben. Zu den Debütanten zählte auch Marius Wolf, der bereits 27 Jahre alt ist.

Flick setzte ihn als Rechtsverteidiger ein – was verwunderte, denn bei Borussia Dortmund glänzte Wolf zuletzt als Offensivkraft. Flick scheint vernarrt zu sein in die Idee, Angriffsspieler zu Defensivspielern umzufunktionieren. So hatte er es zuvor schon mit dem Gladbacher Jonas Hofmann versucht, ebenfalls auf der rechten Außenbahn. Gegen schwächere Teams wie Peru mag dies funktionieren – nicht aber gegen eine Weltklasse-Mannschaft wie Belgien, aktuell die Nummer vier der Fifa-Rangliste. Bereits nach sechs Minuten wurde Wolff das erste Mal überlaufen; es genügte eine simple Körpertäuschung von Belgiens Yannick Carrasco, und schon war der Weg zum Tor frei. Carrasco, Stürmer von Atletico Madrid, erzielte tiefenentspannt das 1:0.

Wolf war nicht der Einzige, der am Dienstagabend überfordert war. Thilo Kehrer, der für den angeschlagenen Nils Schlotterbeck in die Innenverteidigung gerückt war, zerschellte förmlich an Belgiens Romelu Lukaku. Der Angreifer, 1,91 Meter groß und mehr als 100 Kilo schwer, checkte seine Gegenspieler aus dem Weg, wie man das sonst nur vom Eishockey kennt. Matthias Ginter probierte sich auch ein paar Mal gegen Lukaku, wurde aber von diesem ebenso unfreundlich abgeschüttelt wie sein Nebenmann Kehrer.

Emre Can als Lichtblick im deutschen Team

Einer der wenigen, der sich Wucht der belgischen Offensive erfolgreich entgegenstellte, war Emre Can. Ihn brachte Flick nach 32 Minuten, weil sich Leon Goretzka verletzt hatte. Can gab den klassischen Abräumer vor der Viererkette – mit seiner Einwechslung veränderte sich die Statik des deutschen Spiels deutlich zum Positiven. Wann immer einer der belgischen Stürmer einen Haken schlagen wollte, grätschte der Dortmunder dazwischen. Can war auf allen Positionen in der Abwehr unterwegs, er klaute Bälle und verteilte sie gleich wieder geschickt. Wenn es einen Gewinner an diesem eher trüben Fußballabend gab, dann war es Can.

Flick hatte in ihm bislang nur einen Rollenspieler gesehen. Er war der Mann fürs Grobe, immer dann gefragt, wenn es hitzig wurde auf dem Platz und Physis gefordert war. Nach der Partie gegen Belgien weiß Flick nun, dass er Can wesentlich komplexere Aufgaben anvertrauen kann. Und er weiß auch, dass eine Doppelsechs mit Leon Goretzka und Joshua Kimmich spielästhetisch die schönste Lösung sein mag, aber dass Abwehrarbeit eben Abwehrarbeit ist und von Malochern wie Can erledigt werden muss.  

Zwei Monate hat Flick nun Zeit, Schlüsse zu ziehen aus seinen groß angelegten Feldversuchen. Im Juni öffnet sich das nächste sogenannte Länderspielfenster; dann geht es unter anderem gegen Polen und die Ukraine. Beides eher kleinere Nummern im Weltfußball, aber das sollte kein Grund für Flick sein, den Experimentierbaukasten ein weiteres Mal zu öffnen.

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