Joachim Löw machte an der Außenlinie die Windmühle. Der Bundestrainer ließ immer wieder seinen linken Arm kreisen. Dabei war das EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich in diesem Moment unterbrochen. Gerade war das 2:0 durch ein Weltklassetor von Mesut Özil gefallen, Österreich war im Begriff, den Anstoß auszuführen. Löw wollte wegen der schwülen Temperaturen in der Schalke-Arena nicht seine Achselhöhle belüften. Die Armbewegung war einfach nur ein Signal an seine Spieler: Der Trainer wollte an diesem Spätsommerabendbend einfach noch mehr sehen von seinem Team. Und das tat seinem Coach den Gefallen. So war Löw nur fünf Minuten später vor seiner Bank schon wieder gefordert: Aus der Windmühle wurde das imaginär über dem Kopf geschwungene Lasso. Lukas Podolski hatte auf 3:0 erhöht.
Ausgerechnet Podolski. Den hatte sich Joachim Löw am Abend vor dem Spiel gegen Österreich in einem Einzelgespräch noch mal vorgeknöpft. Weil der Kölner seiner Meinung nach zuletzt immer seltener sein wahres Können gezeigt hatte. Beim letztlich locker heraus gespielten 6:2 gab es deutsche Spieler, die besser als Podolski waren. Aber der linke Flügelspieler hat immerhin mal wieder getroffen. Zum ersten Mal seit Oktober 2010 (Treffer gegen Kasachstan). Trotzdem war Podolski bei seiner Auswechslung verhaltener Stimmung. Vielleicht lag es daran, dass der Routinier während der Partie gemerkt hat, dass seine Mitspieler mittlerweile schneller denken, schneller umschalten und schneller passen als er. Podolski wirkte trotz seines Treffers und eines besseren Zugs zum Tor in dieser deutschen Hochgeschwindigkeitstruppe manchmal wie ein Relikt aus alten Zeiten.
Löw schwärmt
Es war phasenweise ein Genuss, auf welche Art und Weise die Nationalmannschaft ihren achten Sieg im achten EM-Qualifikationsspiel herausspielte und damit vorzeitig das Ticket nach Polen und in die Ukraine löste. Joachim Löw war eine halbe Stunde nach dem Schlusspfiff noch immer ganz angetan: "Es war eine Klasseleistung der Mannschaft. Wir haben die Österreicher in jeder Beziehung beherrscht, viele Chancen herausgespielt und zu jeder Zeit unglaublich viel Druck gemacht", sagte er. Es folgte die Frage aller Fragen: Ob denn Deutschland nach diesem Auftritt jetzt das beste Team Europas sei, wollte ein Journalist vom Bundestrainer wissen. Der antwortete, nun ja, geschickt: "Unsere Mannschaft zählt zu den besten in der Welt." In der Schalke-Arena begann im August 2006 die Ära von Joachim Löw als Bundestrainer. Damals gewann die Nationalmannschaft 3:0 gegen Schweden. In diesen fünf Jahren hat sich das DFB-Team enorm weiterentwickelt. Es trägt mittlerweile seine Handschrift. Es hat seine Philosophie verinnerlicht. Löw will die Momente zwischen Ballannahme und Abspiel minimieren, um so das Tempo und die Kombinationen schnell zu machen. Das ist seine Idee von Fußball.
"Özil spielt wie Özil"
Gegen Österreich glänzte vor allem Mesut Özil mit Übersicht und elegantem Spiel. Die Torgefahr kam am Freitag hinzu, manchmal fehlt dem Linksfuß ja noch diese zielstrebige Komponente. "Wer sich für Fußball interessiert, weiß, dass Mesut für Real Madrid spielt. Und wenn man dort spielt, dann heißt das ja nicht, dass man nichts kann am Ball", sagte Thomas Müller mit einem Augenzwinkern und meinte: "Mesut Özil spielt wie Mesut Özil einfach spielt – gut eben." Das 2:0 war ein traumhaftes Solo, zum 4:1 traf er ebenso. Die Fans in seiner Geburtstadt Gelsenkirchen feierten den besten Mann des Abends. Drei Treffer waren ihm dann aber doch nicht vergönnt. Beim 1:0 hatte Miroslav Klose noch ein unrasiertes langes Haar am Ball, den Özil geschossen hatte. "Wenn ich nicht am Ball dran gewesen wäre, hätte ich ja nicht gejubelt", sagte Klose. Mit 62 Länderspieltoren rangiert er in der ewigen DFB-Toschützenliste auf dem zweiten Platz. Sechs Treffer fehlen ihm noch, um mit Gerd Müller gleichzuziehen.
Im Herbst, beginnend mit dem Test am kommenden Dienstag in Danzig gegen EM-Co-Gastgeber Polen, kann Löw nun testen – selbst in den beiden noch ausstehenden Qualifikationsspielen in der Türkei und gegen Belgien. Für den Bundestrainer der reinste Luxus, mehr Auswahl hatte er selten. Die kreative Vielfalt dürfte selbst die Spanier, den Welt- und Europameister, beeindrucken. Löw hat die Lust der Wahl.
Nicht nur in der Defensive, wo diverse annähernd gleichstarke Innenverteidiger bereitstehen, sondern auch in der Offensive. Auf der Bank saßen gegen Österreich lange André Schürrle und Mario Götze, eines der größten Talente seit Jahrzehnten. Und wie sich zeigte, ist die große Auswahl ein Riesenplus - Löw kann jederzeit Joker bringen, die stechen. Als die Mannschaft nach dem Anschluss der Österreicher zum 4:2 ein wenig frische Kräfte und Eingebungen brauchte, wechselte er zunächst Schürrle ein. Dessen Dynamik und Entschlossenheit mündete im 5:2 – und treibt nebenbei Lukas Podolski an. Kann Löw nur recht sein. Sechs Minuten vor Ende schenkte der Trainer dem Helden vom Brasilien-Spiel auch noch einen Einsatz. Und der 19-jährige Götze bedankte sich mit einem Zaubertor zum 6:2 nach herrlichem Pass von Müller. Der perfekte Abschluss. In den letzten Spielminuten lehnte Joachim Löw entsprechend locker mit verschränkten Armen vor der Brust an einem Eisengitter. Regungslos. Es gab für ihn längst nichts mehr zu tun.