Da sitzt er wieder im DFB-Quartier in Tenero, wie vor dem Polen-Spiel, die Ellenbogen auf dem Tisch gebettet, die Schultern unbewegt: Der Kapitän spricht zur Nation. Zwei Tage sind es noch bis zum zweiten Vorrunden-Match der deutschen Mannschaft gegen Kroatien, Michael Ballack hat einen gemütlichen Tag im Hotel hinter sich, und so entspannt sieht er auch aus.
Offenes Spiel gegen Kroatien
"Überrascht und beeindruckt" sei er am vorigen Abend von den Niederländern gewesen, erzählt Ballack. Aber natürlich geht es in der Fragestunde vor allem um die Deutschen bei dieser EM, um die nächste Aufgabe.
Gegen Kroatien werde es am Donnerstag "ein offenes Spiel" geben, sagt Ballack, man werde "mehr gefordert sein" als im ersten Match gegen Polen. Das dürfte sich mit der Selbsteinschätzung der Kroaten decken, die in ihrer Auftaktpartie indes erfolgreich zu verstecken wussten, worin denn nun die besondere Stärke ihrer Elf liegen könnte. Sie wirkten am Ende platt und hilflos gegen hilflose Österreicher.
Die Deutschen aber befreiten sich in ihrem Spiel Mitte der zweiten Halbzeit aus der polnischen Klammer mit einem feinen Spielzug, den Ballack selbst abschloss - so flüssig muss man das ja nun auch machen, wenn man als Spitzenteam gelten will.
Lob für die geschlossene Mannschaftsleistung
Und folglich hatte der Kapitän bei den Seinen eine "sehr, sehr geschlossene Mannschaftsleistung" gesehen, was nicht allen Beobachtern gelungen war, die hernach Lukas Podolski in den Himmel lobten und seinen Hintermann Marcell Jansen rüffelten.
In der Tat muss ein Team, das Podolski im Mittelfeld aufbietet, es verkraften, dass die Statik des eigenen Defensivspiels gehörig ins Wanken gerät - dafür zündet eben manche Idee vor dem gegnerischen Tor. "Es war keine leichte Entscheidung für den Bundestrainer, aber sie ist zu hundert Prozent aufgegangen", sagt Ballack. Der Preis für das Abenteurertum ist stets: eine Unwucht, eine offene Flanke.
Und das meint Ballack, doch er sagt es nicht. Er ist ohnehin keiner, der in der Öffentlichkeit Mitspieler kritisiert oder je die Umgangsformen vergisst. Befragt nach der Hierarchie im Team, nennt er Torsten Frings und Jens Lehmann, "absolute Persönlichkeiten, die den Ton angeben". Christoph Metzelder und Miroslav Klose fehlen in dieser Aufzählung, die Fachleute gerne ebenfalls zum Zirkel der Wortführer rechnen.
Der Kapitän hat im Turnier noch viel vor
Der Grund für die gute Stimmung im Team? "Jeder nimmt sich selbst nicht zu wichtig, was seine Position in der Öffentlichkeit angeht", sagt Ballack. Der Chef persönlich gibt diese Haltung vor. Es ist gar nicht lange her, da verachteten ihn noch die Lothar Effenbergs der Republik für diese Leisetreterei und sprachen ihm die Qualität ab, eine Mannschaft zu führen.
Ballacks Wertschätzung in den Medien aber hat sich in dem Maße gefestigt, wie er sich bei Chelsea durchzusetzen wusste. Nun glaubt ihm jeder, dass er führt. Und nun dürfte darin die größte Stärke des deutschen Kaders liegen: dass sich keiner aufspielt, dass sich keiner ausgegrenzt fühlen muss.
Zum Schluss verrät Ballack, dass ihm nach den ersten drei Punkten die gröbsten Sorgen genommen sind, dass er nicht mehr damit rechnet, dass die Qualifikation fürs Viertelfinale noch in Gefahr geraten könnte: "Es kommen noch stärkere Gegner in Zukunft", sagt er, da dürfe man sich keine Fehler mehr erlauben. Er benutzt den Plural - und Österreich dürfte er damit kaum meinen.