
Es hat noch ein bisschen gerumpelt im deutschen Spiel. Das 1:0 zum Auftakt gegen Portugal war kein glanzvoll herauskombinierter Sieg. Und wenn schon: In diesem Spiel ging es vor allem darum, gegen einen starken Gegner nicht zu verlieren. Nicht zuletzt, weil weil die Gruppe so stark ist. Da sogar drei Punkte heraussprangen, kann die nächste Aufgabe nun mit einer gewissen Leichtigkeit angegangen werden - wenngleich die Anspannung groß ist. Jetzt, gegen Holland, muss die DFB-Auswahl nicht zwingend gewinnen. Schon ein Remis wäre für das Überstehen der Vorrunde wertvoll. Anders die Vorzeichen für Oranje: Nach der überraschenden Niederlage zum Auftakt gegen Dänemark steht die Mannschaft von Bondscoach Bert van Marwijk in Charkow enorm unter Druck. Die Holländer brauchen drei Punkte. Die Voraussetzungen für ein packendes Duell zwischen den beiden Erzrivalen könnten also kaum besser sein. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Spiel.
1. Ändert Joachim Löw seine Startelf im Vergleich zum Portugal-Spiel?
"Vielleicht gibt's noch eine Eingebung bei mir", antwortete der Bundestrainer während der letzten Pressekonferenz vor dem Spiel auf diese Frage. Das ist tatsächlich kein Gequatsche. Löw entscheidet manchmal aus dem Bauch heraus und nach Gefühl. Deshalb sagte er: "Möglich, dass es noch Veränderungen geben kann." Geht man nach dem Ausschlussprinzip, kommen eigentlich nur zwei Spieler in Frage, die der unberechenbare Löw herausnehmen könnte: Thomas Müller und Lukas Podolski. Die Außenspieler machten auf ihren Seiten zu wenig Druck und liefen gegen Portugal ein bisschen neben der Musik. Vor allem André Schürrle auf links macht Podolski im Training ordentlich Feuer. Trotzdem ist nicht damit zu rechnen, dass der Coach ihn auf die Bank setzt. Nicht nach einem schwachen Spiel. Dafür hält Löw zu viel vom erfahrenen Außenstürmer, der mit seiner Schusstechnik Spiele entscheiden kann. Das Gleiche gilt im Prinzip für Müller, den der Trainer wegen seiner kämpferischen Art schätzt. Und trotzdem: Marco Reus stünde ebenfalls bereit. Spielen wird wohl auch Mario Gomez, der Siegtorschütze vom Portugal-Spiel. Selbst Miro Klose, sein Kontrahent im Angriff sagt: "Ich würde ihn nicht herausnehmen." Warum auch?
2. Wird es wieder ein eher defensiver Auftritt der deutschen Mannschaft?
Das ist möglich. Vor allem deshalb, weil die Holländer mit all ihrer Offensivstärke von Beginn an drängen werden. Normalerweise ergeben sich dann zwar für den Gegner Räume, aber die waren ja auch gegen die kompakten und defensiv ausgerichteten Portugiesen zum Teil vorhanden, wurden aber nicht genutzt. Die Offensive stockte, auch weil Özil nervös war und der noch nicht ganz fitte Schweinsteiger etwas dahinter mehr durchgeschleppt wurde, als dass er selber Akzente setzen konnte. Bleibt das so, kommt es mehr denn je auf Defensivspezialisten wie Sami Khedira an. Teammanager Oliver Bierhoff warnte übrigens am Dienstag nochmals eindringlich davor, die 3:0-Testspielgala im vergangenen November gegen den damals indisponierten Vize-Weltmeister zum Maßstab für das brisante Wiedersehen zu nehmen. "Wir wären verrückt zu glauben, dass das Spiel ähnlich laufen wird. Jetzt ist es eine Turniersituation. Es wird sehr viel härter werden." Gerade für die Defensive!
3. Welches ist das möglicherweise entscheidende Duell auf dem Platz?
Das ist eine ganz kuriose Geschichte: Bei den Bayern spielen sie zusammen auf der rechten Seite, in dieser Partie sind Philipp Lahm und Arjen Robben direkte Kontrahenten, weil der Nationalmannschaftskapitän im DFB-Team links verteidigt. Der objektive Betrachter kann sich auf einen Weltklasse-Zweikampf freuen. Robben, der bei einem Witz-Kick in München kurz nach dem Champions-League-Finale von den Bayern-Fans ausgepfiffen wurde, dürfte hochmotiviert in dieses Duell gegen seinen Münchner Kollegen gehen. Lahm kennt Robben allerdings in- und auswendig und weiß, "dass Arjen bekanntlich lieber innen vorbeigeht". Zwar ist Löws Kapitän, auch wenn er das selbst anders sieht, auf links merklich schwächer als auf der Robbenseite, trotzdem scheint der Holländer derzeit ein kontrollierbarer Gegner zu sein. Gegen Dänemark ging Robben einmal mehr fahrlässig mit seinen Möglichkeiten um, wirkte phasenweise sogar abwesend. Aber auch Lahm enttäuschte in seinem ersten Spiel bei dieser EM. Er schob es aufs Wetter. Apropos...
4. Welche Rolle spielen die heißen Temperaturen in der Ukraine?
Nun ja, es bleibt zu hoffen, dass Lahm dieses Mal besser mit den klimatischen Bedingungen zurechtkommt als am vergangenen Samstag in Lwiw. Nach dem Portugal-Spiel hatte der Verteidiger mit hochrotem Gesicht über das Wetter geklagt und sprach von einem seiner schwierigsten Spiele - "von der Luft her. Ich fand die Schwüle extrem, ich hab mich heute sehr schwer getan." Auch Mats Hummels jammerte ein bisschen: "Es ist tatsächlich so, es ist noch anstrengender, die 90 Minuten voll da zu sein, weil man körperlich angestrengt ist. Das hat uns schon ein bisschen überrascht." In Charkow soll es nun noch wärmer werden. Bis zu 30 Grad werden erwartet. Das Problem: Im polnischen Danzig, wo die deutsche Elf ihr Quartier aufgeschlagen hat, ist es deutlich kühler. Am Dienstag wurde im benachbarten Sopot eine Höchsttemperatur von 17 Grad gemessen. Auf das schwüle Klima in der Ostukraine hat sich die medizinische Abteilung der Nationalmannschaft vorbereitet so gut es geht. "Vor dem Spiel und in der Halbzeit kann man kühlen, was logistisch natürlich eingeschränkt ist wegen der zeitlichen Abläufe", sagte Team-Internist Tim Meyer. Joachim Löw will seinen Spielern aber kein Wetter-Alibi geben: "Das ist kein Thema für uns. Beide Teams haben die gleichen Bedingungen." Recht so.
5. Wie zerstritten ist die holländische Mannschaft wirklich?
Der Zoff und die Eifersüchteleien beschränken sich vor allem auf die exzellent besetzte und zudem hochgelobte Offensivabteilung. Dort liegen die Nerven blank. Der Konkurrenzkampf zwischen Robin van Persie und Klaas-Jan Huntelaar sorgt im Oranje-Lager täglich für neue Diskussionen. Platzhirsch van Persie spielte gegen Dänemark, Huntelaar schmollte auf der Tribüne – und lachte fröhlich in die Kameras bei einem Stolperer seines Kollegen. Mit Rafael van der Vaart sitzt ein weiteres Alphatier schmollend draußen. Für die Stimmung ist das Gift. Psychologische Hilfe braucht der Vize-Weltmeister nach Meinung von Spielmacher Wesley Sneijder trotzdem nicht: "Da braucht man mir nicht mit zu kommen. Wenn er zwei Stunden kommt, um zu reden, gehe ich zwei Stunden schlafen", sagte der Spielmacher Dienstag der niederländischen Tageszeitung "De Telegraaf". Sneijder findet, dass man eventuelle Probleme besser untereinander klärt. "Wenn du das nicht kannst, dann hilft dir auch kein Psychologe." Der Kopf der Elftal forderte seine Kollegen auf, persönliche Befindlichkeiten ab sofort hintanzustellen: "Wir sind hierhergekommen, um Europameister zu werden und das können wir immer noch schaffen. Wir müssen nun zeigen, wie stark wir als Gruppe sind."