Morten Olsen ist ein besonnener Typ. In Interviews hört der Trainer der dänischen Fußball-Nationalmannschaft den Fragen der Journalisten meist gelassen zu. 62 Jahre ist dieser Mann alt, er weiß, dass das nun einmal zum Fußballgeschäft dazugehört, erst recht bei einer EM. Und so beantwortet er dann auch auf die Fragen nach dem Weiterkommen, nach der Stärke der deutschen Mannschaft oder nach der Aufstellung seines Teams mit stoischer Ruhe – häufig sogar garniert mit einer Prise Witz. Wie er Deutschland schlagen wolle, fragte ein Reporter des ZDF vor dem entscheidenden Gruppenspiel. "Das habe ich den Spielern erzählt", entgegnete Olsen mit einem Schmunzeln. Der alte Fußball-Fuchs läßt sich natürlich nicht in die Karten schauen.
Seit dem Jahr 2000 ist Olsen dänischer Nationaltrainer. Er hat vieles erlebt, kennt die Höhen und Tiefen des Geschäfts. 2004 führte er Dänemark ins Viertefinale der EMt. 2008 misslang dagegen die Qualifikation. Jetzt, im Jahr 2012, läuft es wieder besser für die Dänen. Dass sie vor dem letzten Spieltag der Todesgruppe punktgleich mit den Portugiesen auf Rang zwei liegen, hätten wohl die Wenigsten vor dieser EM gedacht.
Zwei Säulen tragen das dänische Team
Olsen und die Dänen setzen dabei konsequent auf die Rolle des Underdogs. "Die anderen müssen, wir können", sagte der Coach jüngst zu der Konstellation in der Gruppe. Man könnte meinen, dass Olsen seiner Mannschaft dieses Motto eingeimpft hat. Denn auf dem Platz spielt das Team vor allem unbekümmert und leidenschaftlich. Gegen Holland hielt die aufopferungsvoll kämpfende Dänen-Abwehr stand. Gegen Portugal kam das Team nach einem 0:2 noch einmal zurück und verlor dann doch unglücklich kurz vor Schluss das Spiel.
Zwei Säulen tragen das dänische Team. Da ist zum einem William Kvist vom VfB Stuttgart. Der 27-Jährige organisiert das Spiel von der Sechserposition aus. Kvist ist bei den Dänen so etwas wie ein kleiner Schweinsteiger. Er ist zweikampfstark, hat eine starke Technik und besitzt die nötige Übersicht und das Gefühl für den Raum – alles Eigenschaften, die einen starken Sechser ausmachen. Schon in Stuttgart spielte er eine klasse Saison und trug mit dazu bei, dass der VfB im Endspurt auf den Europapokalzug aufsprang. Bei der Euro knüpft er nahtlos an seine Topform an.
"Beeindruckende Wendig- und Schnelligkeit"
Die zweite Säule ist Stürmer Niclas Bendtner. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Mit seinem 1,94 Metern sorgt Bendtner für reichlich Kopfball-Gefahr im gegnerischen Strafraum. Aber der Stürmer ist auch fußballerisch ein Ausnahmekönner. Trotz seiner Größe verfügt er über eine beeindruckende Wendig- und Schnelligkeit. Bereits mit 16 Jahren wechselte er zum großen FC Arsenal nach England. Mit Arsene Wenger verbindet ihn seitdem eine "Hassliebe", wie der "kicker" einmal schrieb – denn Bendtner hat einen Hang zu Glamour und Exzentrik. In der letzten Saison war Bendtner vor allem wegen seiner Eskapaden an den AFC Sunderland ausgeliehen.
Die Schwachstelle der Dänen ist die Abwehr. Gegen Portugal kassierte das Team zwei Tore auch, weil Abwehrspieler patzten oder nicht schnell genug reagierten. Der Ex-Wolfsburger Simon Kjaer kam beim 0:2 durch Postinga schlichtweg zu spät, Simon Paulsen ging beim Siegtreffer der Portugiesen viel zu zaghaft in den Schuss von Varela. Gegen die Niederländer verteidigte das Team zwar aufopferungsvoll, doch die Defensive hatte auch jede Menge Glück, da Huntelaar, van Persie, Robben und Co. den Ball einfach nicht im Tor unterbekamen.
"Deutschland ist der klare Favorit"
Die Situation vor dem letzten Spieltag ist für die Dänen äußerst kompliziert. Olsen findet das "total aufregend". Um sicher das Viertelfinale zu erreichen,bräuchten die Dänen einen Sieg. Im Falle eines Unentschiedens müssten sie auf die Hilfe der Niederlande im Spiel gegen Portugal hoffen.
Gegen Deutschland setzen die Dänen ihre Underdog-Marschrichtung fort – zumindest nach außen hin. So betonte der ehemalige Schalker Christian Poulsen die individuelle Klasse der DFB-Auswahl "Die deutschen Spieler spielen bei den besten Clubs in Europa", sagte er, „wenn wir in dieser Gruppe weiterkommen wollen, brauchen wir schon ein kleines Wunder." Auch Morten Olsen sagte: "Deutschland ist der klare Favorit und wir dürfen hoffen".
Aber wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass der Erfolg gegen die Niederlande und das phasenweise gute Spiel gegen Portugal das Selbstbewusstsein gesteigert haben. Ans Abreisen jedenfalls, denkt noch keiner. "Wir haben noch nichts in unsere Koffer gepackt. Wir wollen bleiben", bekannte Kvist stellvertretend für das gesamte Team. Morten Olsen wird die Aussage mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen haben. Der Trainer-Fuchs kann sich noch gut an den Juni 1992 erinnern, als Dänemark im Finale der Europameisterschaft überraschend eine vermeintlich deutlich stärkere deutsche Elf um Jürgen Klinsmann, Matthias Sammer und Co. mit 2:0 schlug und Europameister wurde. Im Vorfeld des Spiels fiel das dänische Team übrigens ganz groß durch Understatement auf.