Heute spielt Portugal gegen Gastgeber Frankreich um den EM-Titel. Der folgende Text über Cristiano Ronaldo entstand nach dem gewonnen Halbfinale gegen Wales und sorgte bei den Nutzern von stern.de für rege Diskussionen. Wie sehen Sie die Rolle des Superstars?
Cristiano Ronaldo steht im Finale der EM – und zumindest das deutschsprachige Twitter pestet so richtig los. "Ich hasse diesen Ronaldo", ist dort im Laufe des Abends ständig zu lesen. Dann trifft er sehenswert zum 1:0. "Jetzt hat dieser Ronaldo auch noch ein Tor geschossen." Er bereitet ein weiteres vor, Portugal gewinnt und steht im EM-Finale. "Ist doch super, dann bringt Deutschland ihn am Sonntag zum Weinen", wird gezwitschert. Zustimmung von allen Seiten. Die Leute bestätigen sich gegenseitig in ihrem Hass auf einen Typen, mit dem sie in ihrem Leben noch nie ein Wort gewechselt haben – hauptsächlich, weil der die Haare schön hat und breitbeinig zum Freistoß anläuft.
Dass Ronaldo polarisiert, ist ja nichts Neues – und ja, auch ein Stück weit seine Schuld. Schließlich gibt er mit seinem überheblich wirkenden Getue auf dem Platz die Steilvorlage dafür. Allerdings fragt man sich unweigerlich: Warum wird eigentlich ein Zlatan Ibrahimovic – als Kind in den Topf mit dem flüssigen Selbstbewusstsein gefallen – überall für seine Überheblichkeit gefeiert, ein Ronaldo aber dafür gehasst?
Sich über den Real-Superstar als Menschen zu beschweren, ohne ihn zu kennen, mag an sich schon verwundern. Insbesondere wenn man weiß, dass der Mann extrem viel für wohltätige Zwecke spendet, Schulen in Gaza finanziert, sich nicht tätowieren lässt, damit er regelmäßig Blut spenden kann und darüber hinaus kranken Kindern lebenswichtige Operationen bezahlt. Aber hey, hat der nicht eben voll überheblich geguckt, der Lackaffe?

Cristiano Ronaldo schießt Selfies mit Flitzern - und alle hassen ihn
Und nichts hilft, die Sichtweise der Leute zu ändern: Nicht einmal die sympathische Art, mit jedem dahergelaufenen Flitzer – oder wie gegen Wales zwei Uefa-Helfern – auf dem Feld noch ein schnelles Selfie zu machen und ihn mit Umarmung zu verabschieden. "Hat Ronaldo die Selfie-Jungen eigentlich alle bezahlt für besseres Image?", ist der Beitrag, den irgendjemand auf Twitter wertvoll genug findet, ihn mit der Welt zu teilen.
Noch verwunderlicher aber ist die Kritik an Ronaldo, dem Fußballer. Wenn all die Freizeit-Experten auf Twitter, weil es gerade in ihrer Timeline trendet, nun auch mal was vermeintlich Schlaues zu diesem Fußball sagen wollen. Da wird dann allen Ernstes immer wieder Ronaldos Können auf dem Platz in Zweifel gezogen. Als sei der Mann, der in seiner Karriere mehr Torbeteiligungen als Spiele vorzuweisen hat, aus Versehen drei Mal Weltfußballer geworden - von drei Champions-League-Titeln ganz zu Schweigen. Aber das Netz ist sich sicher: Überschätzt sei der Fatzke und könne ja nur gut spielen, wenn alle um ihn herum ihn so belieferten, dass er nichts mehr tun müsse. So sei das bei Real Madrid, zwitschert es von den Dächern. Aber bei Portugal, da zeige sich dann, wie schlecht er tatsächlich ist.
Ronaldo ist Portugals bester - und Portugal ist im Finale
Vielleicht sollten sich all die Second-Screen-Freunde da draußen mal wieder ein bisschen mehr mit dem First Screen beschäftigen. Sich die Spiele, über die sie da so fleißig mitzwitschern, zur Abwechslung auch mal wieder komplett angucken. Gegen Wales war Ronaldo der spielentscheidende Mann auf dem Platz, erzielte das 1:0 mit einem starken Kopfball, bereitete das zweite Tor vor. Insgesamt war die Partie kein Feuerwerk, und Ronaldo feierte keine Gala, aber er war da, als er gebraucht wurde. Gegen Ungarn überragte Ronaldo. Insgesamt ist er mit drei Treffern und zwei Vorlagen neben Nani (3 Tore, 1 Assist) der entscheidende Mann bei Portugal, dem EM-Finalisten.
Auch wenn sich das Netz bereits aufgeregt, wie "unverdient" sich die Portugiesen, doch ins Finale "gemogelt" hätten. Zum einen sind sie bei Weitem nicht so schlecht, wie sie dargestellt werden - im Gegenteil. Und zum anderen ist im Fußball nun mal entscheidend, was hinten rauskommt. Ronaldo hat Portugal ins Finale geschossen und hat nun die Chance auf das letzte Puzzleteil, das seiner großen Karriere noch fehlt: der internationale Titel mit der Nationalmannschaft. Sein großer Traum, der ihm zu Beginn seiner Karriere, im Finale 2004, verwehrt blieb. Nun, im Herbst seiner Spielerlaufbahn, ist er so nah dran, wie er es vielleicht nie wieder sein wird. Es sei ihm gegönnt - allein ob all der Hater da draußen.