Völlig entspannt saß Jupp Heynckes in der Pressekonferenz der AWD-Arena von Hannover. Er lächelte, etwas süß-sauer. Aber doch mit sich und der Welt im Reinen, fast schon glücklich. Der Trainer des FC Bayern strahlte Zufriedenheit und Zuversicht aus. Es schien gar der Fall, als habe ihm diese 1:2-Niederlage bei Hannover 96 die letzte Gewissheit gebracht: Wir werden Meister. Als wäre es die Erkenntnis des 10. Spieltags. Bayern verliert in Hannover, handelt sich die zweite Saisonpleite nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Borussia Mönchengladbach ein während Titelverteidiger Borussia Dortmund den 1. FC Köln mit 5:0 abfiedelt. Nur noch drei Zähler, ein Sieg, beträgt der Vorsprung der Bayern - in den restlichen 24 Spieltagen werden noch 72 Punkte vergeben. Na eben - so Heynckes' Körpersprache.
"Es lief sehr vieles gegen uns. Wir haben einen Elfmeter verursacht, dann haben wir einen Platzverweis bekommen", bilanzierte Heynckes, "und wenn wir das 1:1 erzielt hätten, hätten wir das Spiel auch gewinnen können. In diesem aufgeheizten Stadion haben wir sehr cool und diszipliniert gespielt und hätten das Unentschieden verdient gehabt. Heute bin ich mehr mit meiner Mannschaft zufrieden als bei manchen 7:0- oder 5:0-Spiel." Was sind schon Kantersiege gegen Freiburg oder Hertha? Gut für die Show, für das Torverhältnis und für Befindlichkeiten von Offensivspielern. Doch Hannover war ein Trendspiel, so etwas spüren Trainer. Da kann man schon mal generös auf drei Punkte verzichten. Uli Hoeneß sagt immer: "The trend is your friend." Und Heynckes, seit Jahrzehnten ein enger Kumpel des Präsidenten, meinte: "Ich muss meiner Mannschaft heute ein Kompliment machen. Wir haben nie aufgesteckt, eine tolle Moral gezeigt. Diese Niederlage wirft uns nicht um, das macht uns nur stärker. Wir werden uns nun regenerieren und dann geht es wieder los."
"Mia san mia" - selbst in der Niederlage
Selbst die Bayern-Fans in der Kurve feierten ihre Helden in den weißen Trikots. Auch sie spürten: das war ein ganz anderes Gesicht, ein ganz anderer Fußball als bei jener 1:3-Pleite im März, bei der man unter Ex-Trainer Louis van Gaal ein katastrophales Bild abgab und völlig verdient verlor. Damals riskierte man Platz drei und die Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation, heute lediglich einen geringeren Abstand an der Spitze. Es scheint als lägen Ewigkeiten zwischen den Mannschaften und den Trainern - genau genommen ist es nur etwas mehr als ein halbes Jahr.
Ob die Bayern richtig liegen mit ihrem "Mia san mia" selbst in einer Niederlage? Wenn es nach knapp drei Monaten der Saison noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dass sich die Münchner auf dem Weg zum Titel nur selbst schlagen können, dann war es die intensive, emotional aufgeladene Partie in Hannover. Wären alle Pfosten- und Lattentreffer drin gewesen, Hannover hätte 4:3 gewonnen. Es war das beste Spiel der gesamten Saison, fußballerisch hochwertig, mit allen Zutaten. Ein Elfmeter, eine Rudelbildung, eine Rote Karte, ein Glückstreffer, die Aufholjagd, der Anschluss, am Ende sogar ein stürmender Torwart. Doch selbst Manuel Neuer, nach 770 Minuten in der Liga durch den Elfmeter von Mohammed Abdellaoue erstmals wieder bezwungen, konnte als Eindringling in Hannovers Strafraum die Niederlage nicht mehr verhindern. David Alaba, gekommen als Joker für Rafinha, hatte den Anschluss erzielt. Die Verbitterung über die null Punkte hielt nur kurz an in den Münchner Reihen, die Empörung richtete sich eher gegen den der Schauspielerei bezichtigten Sergio Pinto, dessen Theatralik nach einem Rafinha-Foul den Tumult samt Roter Karte für Jérome Boateng ausgelöst hatte. "Der gehört nach Hollywood zur Oscar-Verleihung", schimpfte Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sprach von "einer Schande".
Schöne Sorgen haben sie, die Bayern. Anstatt sich über die Pleite zu ärgern, gingen sie einen Gegner verbal an. Mit sich selbst wollten sie nicht ins Gericht gehen, da sie nun endgültig wissen: Wenn einer uns schlägt, dann wir. Und genau das hatten sie in den letzten Wochen der Seriensiege und Zu-Null-Festspiele immer wieder betont, allen voran Kapitän Philipp Lahm: "Wir können uns nur selbst schlagen." Um dies zu verdeutlichen, stieg Lahm Hannovers Cherundolo aufs Standbein - ein überflüssiger Elfmeter. Selbst Schuld. Dass Boateng sich überhaupt in die Seitenlinien-Diskussion einmischte und dann handgreiflich wurde? Selbst Schuld. Dass die Bayern ihre zahlreichen Chancen durch Gomez, Kroos und Schweinsteiger nicht nutzten als sie in beeindruckender Manier stürmten? Selbst Schuld. "Es ging hin und her", meinte Thomas Müller. "Und am Ende ist es doch immer so: Wenn man die Dinger vorne nicht rein macht, bekommt man hinten eins rein - und diesmal war's ein ganz ekliges Tor." Einzig für den Schuss von Christian Pander, abgefälscht durch Luiz Gustavo, konnten die Bayern nichts (50.). Pech muss auch mal sein. In München sagt man dazu: Schwamm drüber.
Robben in der Hinterhand
Wer bleibt als ernsthafter Titelkonkurrent? Geht man die Tabelle durch, als erster Verfolger Dortmund. Doch die Borussen reiben sich im Jahr eins nach der Meisterschaft in der Champions-League zu sehr auf. Am 19. November wollen die Bayern für die beiden Niederlagen in der vergangenen Saison (0:2, 1:3) Revanche nehmen, eine Ehrgeiz-Partie erster Güte. Etwa Schalke? Die Königsblauen wirkten verbessert, doch stabil sind ihre Leistungen nicht. Bayern-Bezwinger Hannover, der Vierte? Besser als am Sonntag geht’s nicht, die ungewohnte Teilnahme an der Europa-League wird Kräfte und Konzentration kosten. Sonst? Stuttgart? Bremen? Mönchengladbach? Leverkusen? Kaum bereit für den ganz großen Wurf. Die Bayern spielen in ihrer eigenen Liga. Zehn Saisonspiele, zwei Pleiten gegen sich selbst. Die Gegenspieler heißen: Unkonzentriertheit, Lässigkeit, Überheblichkeit, Undiszipliniertheit. Auf der anderen Seite: Weltklasse-Torwart Manuel Neuer, sieben weitere Nationalspieler, darunter Mittelfeld-Chef Bastian Schweinsteiger und Torjäger Mario Gomez. Ach ja, und einer fehlt ja derzeit. Der vielleicht beste Fußballer im Kader, einer, der in engen Partien oft den Unterschied ausmacht: Arjen Robben. In rund zehn Tagen könnte der Holländer nach seiner Leistenoperation sein Comeback geben. Und dann: gute Nacht, Konkurrenz.