FUSSBALL Der Himmels-Stürmer

Gott, sagt Gerald Asamoah, ist das Allerwichtigste. Gott sucht er, wenn er die Heimat in Ghana besucht. Dort schöpft Schalkes Jungstar Kraft für seine glänzenden Auftritte in der Fußball-Bundesliga

Der Prediger hat gebetet, Gerald möge heimkehren nach Ghana - und siehe, er ist gekommen. Praise the Lord. Gleich vorn sitzt er, in der ersten Bank rechts, die Hände gefaltet, den Kopf gesenkt. Gerald Asamoah, Halleluja, der Fußballer aus Deutschland. Als der Prediger ihm seine Hand auf die Stirn legt und langsam nach hinten drückt und immer wieder ruft, Gott der Herr ist bei dir, der Teufel weiche, beginnt Asamoah zu taumeln. Schließlich kippt er um. Gerald Asamoah, der große Kämpfer, auf Sommerurlaub in seiner Heimat, liegt wie hypnotisiert auf dem Boden, eine Zeit lang seiner Sinne beraubt.

»Halleluja«

Am Stadtrand von Accra kreischen und wimmern schon seit Stunden Frauen und Männer; sie singen und tanzen, beten und flehen. Wie Millionen Ghanaer an jedem Sonntagmorgen feiern sie Gottesdienst, festlich gekleidet, erwartungsvoll und demütig. Sie versammeln sich im kargen Klassenzimmer einer Grundschule, nicht mal ein paar Blumen schmücken den Raum. Ein Vorhang verhüllt die Kreidetafel, in der Ecke stehen Trommeln und ein alter Verstärker, der das Mikrofon krächzen lässt. In dieses eine Mikrofon brüllt der Prediger. Ein junger Mann im zu weit geratenen schwarzen Anzug, der beschwörend die Hände hebt und seiner Gemeinde »Jesus«, »Amen« oder »Halleluja« entgegenschleudert. Einem Magier gleich lässt er die Menschen wie Dominosteinchen zu Boden purzeln.

Gott ist das Allerwichtigste

Die Asamoahs sind eine Stunde bei strömendem Regen über Schlaglöcher und Schlammwege hergefahren, um diesem Mann zu lauschen. Wenn sie in Afrika Urlaub machen, besuchen Gerald, seine Eltern, die Geschwister und Cousinen ihre alte Gemeinde.

Gott ist das Allerwichtigste, sagt Asamoah. Der Prediger prophezeit, Gott werde seiner Freundin Linda, 21, bald Zwillinge schenken und ihn noch besser Fußball spielen lassen. Gerald lächelt.

Eine Erklärung für das, was ihm hier widerfährt, wie er funktioniert, dieser westafrikanische Zauber aus Christenlehre und Voodoo, die kann Gerald Asamoah nicht liefern. »Ich bin so groß geworden, ich war früher fast jeden Tag in der Kirche«, sagt er schlicht. Jeden Abend vorm Zubettgehen lese er in der Bibel. »Johannes 3.16 und die Psalmen 70,71 sind meine Lieblingsstellen«, sagt Asamoah. »Herr, ich traue auf dich... Auf dich habe ich mich verlassen vom Mutterleib an... Ich bin für viele wie ein Zeichen; aber du bist meine starke Zuversicht.«

»A-sa-mo-ah«

Der gläubige Gerald aus Mampong in Ghana, ältester Sohn der Familie Asamoah, spielt Rechtsaußen bei Schalke 04 und gilt in dieser noch jungen Bundesligasaison wieder als einer der Stars seines Klubs. Und als Hoffnungsträger der Nationalmannschaft, Botschafter einer multikulturellen Gesellschaft. Er ist schon sportgeschichtliches Ereignis: der erste schwarze Afrikaner, der das deutsche Nationaltrikot trug. »Liebling Asamoah« dichtete »Bild«. Auf Schalke singen die Fans »Gerald A-sa-mo-ah« zur Melodie von »Vamos a la Playa«.

Rassismus stört

So viel Zuneigung tut gut in diesem Land. Denn fragt man Asamoah, was ihn stört in Deutschland, sagt er: »Rassismus«. Er weiß, wovon er spricht. In Cottbus, beim Auswärtsspiel seines alten Klubs Hannover 96, haben sie ihn einst angespuckt und mit Bananen beworfen; Türsteher verwehrten ihm anderswo den Zugang zu Discos. Aufmerksam verfolgt er die Nachrichten über rechtsradikale Attacken. Jederzeit würde er sich öffentlich gegen Neonazis engagieren, sagt der Sohn eines Asylbewerbers.

Vater musste flüchten

Vater William, heute 50, kam als politischer Flüchtling über Italien und Warschau nach Deutschland. Er hatte in der Anzeigenabteilung der »Ghananian Times« gearbeitet und war aktives Mitglied der oppositionellen »People Front Party«. Vor dem Militärputsch 1978 floh er Hals über Kopf aus dem Land, nachdem ihn Freunde gewarnt hatten, es werde bald Verhaftungen geben. »Es war sehr hart für mich, Gerry zu verlassen, als er gerade geboren war«, sagt William Asamoah. »Aber ich hatte keine andere Chance.« William schlug sich in Hannover als Straßenkehrer durch und arbeitete später beim Reifenhersteller Continental. Alle paar Wochen konnte er mit Gerald und dessen Geschwistern telefonieren, manchmal schickte er ihnen Spielzeug und seinem Sohn Fußbälle oder Schuhe.

Reis mit Rindfleisch

Ein Jahr nach der Flucht des Vaters kam die Mutter nach Deutschland. Die Kinder wurden bei Oma groß und später bei der Tante. Die Großmutter führte ein kleines Restaurant und verwöhnte sie mit gekochten Bananen und Reis mit Rindfleisch. Die Kleinen durften nur raus, wenn der Teller leer war. »Ich habe Gerald pummelig gefüttert«, sagt die Oma.

1990 nach Deutschland

Erst 1990 kamen die Kinder nach Deutschland, Gerald war zwölf Jahre alt. Seine Eltern sind bis heute in Hannover geblieben, nach einer Zeit privater Trennung leben sie mittlerweile wieder in einer gemeinsamen Wohnung. Auch ihre Töchter Rexmond, 24, und Priscilla, 21, wohnen an der Leine. Der 17-jährige Luis hingegen zog in Geralds 120-Quadratmeter-Wohnung nach Gelsenkirchen. Der ältere Bruder hat sich immer schon um Louis gekümmert und ihm bereits früher die Schulbrote geschmiert.

»Man denkt, man träumt«

Vater William ist froh, dass sein Sohn nun dran ist mit dem Geldverdienen. Früher führte er mal einen Afrika-Shop in Hannover, wo er Rasta-Perücken verkaufte und Kakaobutter. Heute verfolgt er jedes Spiel von Gerald. »Es ist für uns immer noch ein Wunder«, sagt der Vater. »Man denkt, man träumt.« Er hat das Hobby seines Sohnes gefördert und schwärmt, seit er in Deutschland ist, von Bayern München. So richtig glücklich, sagt William Asamoah, wäre er, wenn Gerald eines Tages bei Bayern spielte.

Herzprobleme

Jetzt spielt der auf Schalke, aber auch das ist ein Wunder. Denn 1998, da kickte Asamoah noch für den Zweitligisten Hannover 96, brach er nach einem Spiel zusammen, seine Brust schmerzte. Die Ärzte konstatierten eine Verdickung der Herzscheidewand und rieten ihm, aufzuhören mit dem Sport. Er würde tot umfallen, wenn er weiterspielte. Der Deutsche Fußball-Bund entzog ihm die Spielerlaubnis. Da war er gerade mal 20 Jahre alt. »Eine harte Zeit«, sagt Asamoah. »Ich war ein ausgewachsener Kerl und fühlte mich kerngesund. Plötzlich verbot man mir zu spielen.« Heulkrämpfe schüttelten ihn, die Familie betete jeden Tag in der Kirche. Er hatte nach dem Hauptschulabschluss zwar eine Lehre als Koch angefangen, aber nie einen anderen Traum, als mit Fußball Geld zu verdienen. Asamoah litt eine elendig lange Zeit, ehe sich Ärzte in Amerika fanden, die nach gründlichen Untersuchungen eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufmachten. Das Risiko, »Probleme zu bekommen«, liege bei einem Prozent. Asamoah durfte wieder ballzaubern. Und entschied sich später, zum Leidwesen des ghanaischen Nationaltrainers, Deutscher zu werden. 1999 wechselte er für 2,7 Millionen Mark nach Schalke. Dort steht ein Wiederbelebungsgerät am Spielfeldrand, wenn Asamoah aufläuft.

Viel erlebt

Die frühe Begegnung mit dem Tod hat ihn geprägt. Ihm gezeigt, dass er nicht allein verantwortlich ist für sein Schicksal. Vor zwei Jahren starb sein geliebter Cousin bei einem Autounfall, jener Cousin, der ihn einst zum ersten Fußballtraining mitnahm. »Ich habe viel erlebt für mein Alter«, sagt Asamoah, »und keine Zeit, das alles zu verarbeiten.« Mit Schalke wurde er Deutscher Pokalsieger und um ein Haar Deutscher Meister. Und im ersten Spiel für die Deutschen schoss er gleich ein Tor. »Ich bin stolz, dass ich das gepackt habe«, sagt Asamoah. Er sagt nicht, dass er stolz ist, ein Deutscher zu sein. »Das ist doch ein Nazi-Spruch.«

Nun macht er sich Sorgen, »wie ich auf dem Boden bleiben kann«. Er ist glücklich mit seiner Jugendliebe Linda, die in London Pharmazie studiert hat, jetzt eifrig Deutsch lernt und in Gelsenkirchen »Schatzi« zu ihrem Gerald sagt. Derzeit lässt er in Ghana ein Haus mit Swimmingpool und Tennisplatz bauen, dort, wo auch die Fußballemigranten Anthony Yeboah und Sammy Kuffour prächtige Villen besitzen. Ein älterer Cousin kutschiert ihn in einem grünen Mercedes durch die Hauptstadt und erledigt kleinere Einkäufe. »Früher musste ich für ihn rennen«, sagt Asamoah. »Jetzt wird mir klar, wie schnell sich Verhältnisse ändern können.«

Kinder laufen barfuß

Wenn die Familie ihr Heimatland besucht, wohnt sie nahe am Flughafen, wo sich die Straßen nach jedem Regenguss in schmierige Seenplatten verwandeln. Ein Viertel, typisch für afrikanische Großstädte. Oft fällt der Strom aus, hinter den Häusern stapelt sich Müll. Frauen sortieren Brennholz, Kinder laufen barfuß und spielen Karten um ein paar Gummiringe. Im Haus der Asamoahs teilen drei Cousins ein Schlafzimmer mit Matratzen auf dem Boden. Luxus sind zwei Kühltruhen vor dem Haus, gefüllt mit Eis und Limo.

Grabsteine umdribbeln

Die Jungs im Viertel kicken auf einem steinigen Platz, zwischen den Torpfosten gurren Hühner. Wer genau hinschaut, entdeckt alte Gräber. Der Fußballplatz des Viertels war früher der Königsfriedhof von Accra. Auch Gerald Asamoah kickt im Sommer hier. Umdribbelt Grabsteine und umkurvt Wasserlöcher. Nur gut, dass sein Arbeitgeber nicht sieht, wie der Angestellte seine teuren Knochen ehrgeizigen afrikanischen Verteidigern aussetzt. Alle wollen sie gegen den Mann aus »Shakka«, wie Schalke hier heißt, antreten.

Der 17-jährige Andrews Osei, auch mit Gerald verwandt, bolzt regelmäßig mit. Asamoah versorgt ihn mit den neuesten Schalke-Trikots, Schienbeinschonern und Schuhen. Schon morgens um fünf rennt Andrews auf dem Mittelstreifen der Straße zum Fußballplatz. Das erste Spiel des Tages beginnt um sechs. Andrews trainiert fünf Stunden am Tag und betet sonntags zu Gott, dass er es eines Tages schafft, in Holland oder Amerika spielen zu können. Oder in Dortmund. Shakka geht ja nicht, wegen Gerald.

Fußballakademie

»Afrika«, sagt Asamoah: »Ich liebe es, hier zu sein. Die Leute haben nicht viel und sind locker dabei.« Seine Schalker Mannschaftskollegen würde er »am liebsten mal herholen und ihnen Ghana zeigen«. Abends kommen ein paar Männer zu Besuch. Einen »FC Asamoah« wollen sie gründen. Und man könne doch gemeinsam mit Schalke eine Fußballakademie führen, dann würden Shakka nie mehr die Afrikaner ausgehen. Asamoah schmunzelt. Die Männer schreiben die Namen von begabten Nachwuchskickern auf einen Zettel: Joseph Amoah Mensah,18, Edward Sasu, 20, Ebenezer Afful, 18.

Mal gucken, sagt Asamoah, ich sprech mit dem Manager. Er ist nett und verbindlich, aber nicht leichtsinnig und überschwänglich. Dass die Jungs träumen, versteht er gut. Denn er träumt selbst. Gerald Asamoah aus Mampong im Nordwesten Ghanas will mit Deutschland Weltmeister werden. Seine Mama möchte das übrigens auch. Praise the Lord.

Von Uli Hauser

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