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Interview mit Nationalstürmer Cacau "Wer Probleme offen zeigt, ist immer noch der Schwache"

Vor dem EM-Qualifikationsspiel der DFB-Auswahl gegen die Türkei traf stern.de Nationalstürmer Cacau. Ein Gespräch über türkischen Nationalstolz, die Krise beim VfB Stuttgart und Lehren aus dem Selbstmord Robert Enkes.

Cacau, alles konzentriert sich vor dem Türkei-Spiel auf Mesut Özil - dabei sind Sie doch der einzig wahre Türkei-Experte. Schließlich haben Sie bei Ihrer ersten Station in Deutschland vor zehn Jahren bei Türk Gücü München angefangen.
Cacau: Das kann man so sagen. Ich kenne die türkische Mentalität, die Freude, den Ehrgeiz und die Motivation. Deswegen freue ich mich auf das Spiel.

Was ist das Besondere an der türkischen Mentalität?
Cacau: Was sie ausmacht, ist ihr Stolz. Daraus entsteht der Wille, jedes Spiel zu gewinnen - ganz besonders gegen Deutschland. Sie wollen zeigen, dass sie die Besten sind.

War es für Sie angenehm, zuerst auf diese Mentalität zu treffen und nicht auf die deutsche, weil sie Ihnen als Brasilianer näher war?
Cacau: Das ist schwer zu sagen, ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeit. Außerdem hatten wir auch einige deutsche Spieler im Team. Ich wurde jedenfalls sehr herzlich empfangen. Obwohl ich weder deutsch noch türkisch konnte, hat der Verein alles versucht, damit ich mich wohlfühle.

Sehr schnell sind Sie dann in der Bundesliga in Stuttgart gelandet. Dort läuft es derzeit aber gar nicht. Worüber regen sich die Leute in Stuttgart momentan mehr auf - über den VfB oder Stuttgart 21?
Cacau: Unsere Situation beim VfB ist wirklich sehr schwierig. Wir sind uns alle einig, dass es so nicht weitergeht. "Oben bleiben", sprich in der Bundesliga bleiben, muss derzeit unser Ziel sein. Wir alle gemeinsam müssen unsere Kräfte bündeln. Mit den Möglichkeiten, die wir haben, und bei der Geschichte des Vereins ist es unmöglich, in der jetzigen Situation steckenzubleiben. Jedem muss bewusst sein, dass wir so nicht weiterspielen können.

Momentan hat sich offenbar wirklich alles gegen den VfB verschworen. Da erstaunt es, dass keiner der Beteiligten groß mit dem Schicksal hadert oder über den Fußball-Gott jammert. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Cacau: Wir nutzen das nicht als Alibi. Es ist ein gutes Zeichen, sich nicht darüber zu beklagen. Jeder muss bei sich anfangen und schauen, was er besser machen kann. Es hilft gar nichts zu sagen: Der Schiedsrichter ist schuld, der Platz ist schuld, das Wetter ist schuld … Ich finde es gut, dass wir selbstkritisch bleiben. Wir haben die Dinge klar analysiert und erkannt. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, zu handeln und die Dinge auf dem Platz auch umzusetzen. Wir müssen jetzt nicht schön spielen, sondern noch mehr über die eigenen Grenzen gehen und kämpfen.

Warum ist eine Saison nach einem großen Turnier so schwer?
Cacau: Die vorherige Saison ging länger, man hatte weniger Zeit, sich zu erholen und sich einzuspielen. Dann muss man schnell in den Alltag zurückfinden, aber ohne die gewohnte Vorbereitung und Basis, die man sonst hat. Wie gesagt: Das soll kein Alibi sein. Aber es muss jedem bewusst sein, dass man mehr Geduld braucht.

Sie sind seit Kurzem einer der Integrationsbotschafter des DFB. Wie wollen Sie diese Rolle interpretieren?
Cacau: Ich muss als Vorbild vorangehen. Ich habe sehr viel erlebt in Deutschland, musste alleine zurechtkommen, die neue Sprache von Grund auf erlernen. Dazu musste ich mich in meinem Beruf durchsetzen. Das sind alles Dinge, mit denen ein Migrant zu kämpfen hat. Vielleicht kann ich da gute Tipps liefern, wie man solche Probleme bewältigen kann. Mein Ziel ist es, den Menschen diese Probleme auch bewusster zu machen.

Robert Enke war einer Ihrer Vorgänger als Integrationsbotschafter. In gut einem Monat jährt sich sein Todestag. Wie viele der guten Vorsätze, die nach seinem Tod proklamiert wurden, sind bis heute geblieben? Hat sich etwas geändert?
Cacau: Leider nicht viel. Ich hätte mir gewünscht, dass die Menschen ihr Handeln mehr überdenken. Dass man diese Tragödie nutzt, um vieles besser zu machen. Aber nach einem oder zwei Monaten war das Thema mehr oder weniger wieder vergessen. Der Alltag war schnell wieder da und mit ihm der Druck. Die Themen, die damals diskutiert wurden, waren schnell wieder vom Tisch. Das finde ich einfach schade.

Das Buch über Robert Enke ist in diesen Tagen erschienen. Werden Sie es auch lesen?
Cacau: Ich werde es lesen. Das finde ich wichtig. Wir sind im Team sehr oft zusammen und trotzdem kennt man den Einzelnen zu wenig. Jeder hat seine Probleme, aber man darf sie leider nicht so offen zeigen. Das wird sonst gleich als Schwäche ausgelegt. Also behält man es lieber für sich. Wenn man aber jemanden findet, der Verständnis dafür hat, dann will man sich dem auch öffnen. Vielleicht kann man viele Dinge so vermeiden. Ich habe seitdem ein anderes Bewusstsein dafür, auf andere zu achten und auch das Gespräch zu suchen - damit man zeigt, dass derjenige nicht allein ist.

Robert Enke hat sich sehr positiv über seinen direkten Konkurrenten René Adler geäußert, der die Rituale des Geschäfts auf gewisse Weise auch ablehnt. Sind Sie auch jemand, der rücksichtsvoller mit anderen umgeht?
Cacau: Es geht sehr wohl, dass man miteinander sehr gut auskommt, obwohl man Konkurrent für eine Position ist. Man kann nicht mehr machen, als das Beste geben. Alles andere kann man nicht beeinflussen. Und man soll auch nicht nach Wegen suchen, andere zu benachteiligen. Man kann trotzdem Rücksicht aufeinander nehmen und sogar Freundschaften pflegen.

Nach Ihrer Einbürgerung haben Sie den sehr deutschen Beinamen Helmut verpasst bekommen. Helmut heißt im Altdeutschen "Der Mutige". Wie viel Mut hat es erfordert, mit 18 Jahren alles stehen und liegen zu lassen und in einem fremden Land eine neue Herausforderung zu suchen?
Cacau: Ich habe gar nicht groß darüber nachgedacht. Ich bin einfach gegangen. Entscheidend war unter anderem meine Mutter, die mich darin bestärkt hat, es zu versuchen. Ich habe mein Schicksal mehr oder weniger erobert. Im Rückblick muss man aber schon sagen, dass es sehr verrückt und abenteuerlich war und vielleicht auch mutig. Aber wie sagt mein Trainer Christian Gross immer: 'Die Welt gehört den Mutigen!‘

Cacau

Torsten Silz/DAPD Cacau, der mit richtigem Namen Claudemir Jeronimo Barreto heißt, wurde am 27. März 1981 in Santo André (Brasilien) geboren. Seit Februar 2009 besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Stürmer bestritt zwischen 2001 und 2003 44 Spiele für den 1. FC Nürnberg, bevor er zum VfB Stuttgart wechselte. Sein Nationalmannschaftsdebüt gab er im Mai 2009. Für die DFB-Elf traf Cacau bislang in 14 Begegnungen viermal.

Klaus Bellstedt

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