"Mein Gott, ein weichgespültes Pack" Was hinter den auffälligen Verhaltensänderungen von Bayern-Trainer Julian Nagelsmann steckt

Schiedsrichter Tobias Welz zeigt Julian Nagelsmann die gelbe Karte während des Spiels gegen Borussia Mönchengladbach
Schiedsrichter Tobias Welz zeigt Julian Nagelsmann die gelbe Karte während des Spiels gegen Borussia Mönchengladbach
© Federico Gambarini / DPA
Julian Nagelsmann hat die Schiedsrichter nach der Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach beschimpft. Ob der Ausfall tatsächlich spontan war, darf bezweifelt werden. Offenbar versucht der Bayern-Coach, ein altes Bayern-Prinzip wieder zu beleben.

Die Gefühlswelten von Julian Nagelsmann sind in diesen Tagen beträchtlichen Erschütterungen ausgesetzt. Auf Unzufriedenheit und Frust folgen berauschende Siegesgefühle, die schließlich nach wenigen Tagen wieder abrupt ein Ende finden. Wer so viele emotionale Hochs und Tiefs innerhalb kurzer Zeit durchmacht, kann schon mal die Kontrolle verlieren. Genau das passierte vordergründig nach der 2:3-Niederlage des FC Bayern bei Borussia Mönchengladbach. Da stapfte Nagelsmann nach Spielschluss durch die Mixed Zone und fluchte für alle Journalisten gut hörbar: "Das ist doch ein Witz, will der mich verarschen oder was?" Dann stürmte der 35-Jährige in die Schiedsrichter-Kabine. Als er nach rund zwei Minuten wieder herauskam, schimpfte er erneut: "Mein Gott, ein weichgespültes Pack."

Nagelsmann bat die versammelte Journalisten-Schar später in der Pressekonferenz, "nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen". Auf Twitter schrieb er, er müsse sich "für die Wortwahl gegenüber dem Team rund um Tobias Welz entschuldigen. Da bin ich leider eindeutig zu weit gegangen". Der DFB-Kontrollausschuss leitete nach dem verbalen Ausraster Ermittlungen ein, Naglesmann wird nun in den nächsten Tagen schriftlich Stellung beziehen müssen.

Mangelnde Selbstkontrolle oder Kalkül?

Der Grund für Nagelsmanns Wut war die rote Karte für Verteidiger Dayot Upamecano in der 8. Minute, die das Spiel maßgeblich zu Ungunsten der Bayern beeinflusst hatte. Schiedsrichter Welz ahndete eine Notbremse an Gladbachs Alassane Plea, die nach allgemeiner Übereinkunft wirklich keine rote Karte war. Upamecano hatte Plea im Laufduell die Hand auf die Schulter gelegt. Man kann sagen: Er berührte ihn sanft und flüchtig. Die Kontaktaufnahme reichte allerdings aus, um Plea zu einem schauspielerisch einwandfreien Sturz zu veranlassen.

Für Nagelsmann war das zu viel. In der Folge saß er mal nägelkauend auf der Bank, mal echauffierte er sich wild gestikulierend am Spielfeldrand, bis Schiedsrichter Welz dem Trainer-Rumpelstilzchen die gelbe Karte zeigte, um dessen Temperament abzukühlen. Die Karte verfehlte ihre Wirkung, wie die Worte nach Spielschluss bewiesen.

Seit dem Vorfall wird nun darüber gerätselt, was Nagelsmann zu dem Eklat getrieben hat. War es wirklich mangelnde Gefühlskontrolle, die den Trainer übermannte? Fehlt ihm tatsächlich die "Souveränität", weil er noch jung sei, wie der frühere Meistertrainer Armin Veh mutmaßte. TV-Experte Didi Harmann spottete, dass Nagelsmann doch lieber in die dritte oder vierte Liga gehen solle, wenn man seine Worte nicht auf die "Goldwaage" legen solle.

Julian Nagelsmann hat den Tonfall geändert

Oder versucht da einer lediglich, in einer kritischen Saisonphase die berühmten Reizpunkte zu setzen, um die Mannschaft, die nach der langen Winterpause Startprobleme hatte, in die Spur zu bekommen? Die "Süddeutsche Zeitung" spottete, dass Nagelsmann offenbar versuche, "ein richtiger Bayern-Trainer zu werden".

Auffällig ist tatsächlich, dass Nagelsmann den Tonfall zuletzt geändert hat. Als das eminent wichtige Spiel in der Champions League gegen Paris Saint-Germain bevorstand, kritisierte er sein Team nach einem 3:0-Sieg gegen Bochum scharf. In der Halbzeitpause hielt er eine kurze Kabinenansprache und setzte sich danach demonstrativ mit dem Laptop auf die Bank in der Allianz Arena, damit es auch jeder sieht: Hier zeigt ein enttäuschter Coach dem Team die kalte Schulter. So in etwa sollte wohl die Botschaft lauten. Ob es tatsächlich seine harschen Worte ("Am Ende ist es ein bisschen zu wenig Leben") und die Bank-Aktion waren, die Tage später zum wichtigen Sieg gegen PSG (1:0) führten, ist natürlich schwer zu beweisen. Doch nach der Attacke nach innen folgte jetzt die Attacke nach außen gegen die Schiedsrichter. 

Die auffälligen Verhaltensänderungen des Trainers passen zu anderen Maßnahmen, um die Mannschaft aus zu viel gefährlicher Selbstzufriedenheit zu reißen. Die Entlassung des Torwarttrainers Toni Tapalovic, die maßgeblich auf Nagelsmanns Betreiben geschah, war ebenfalls so eine Aktion. Dass sie damit den Kapitän Manuel Neuer vor den Kopf stoßen, war klar, doch Nagelsmann setzte die Personalie mit Rückendeckung von Sportvorstand Hasan Salihamidzic durch. Offenbar hatten Neuer und Tapalovic ein zu starkes Eigenleben entwickelt, das aus Sicht Nagelsmanns die Autorität des Trainers zu sehr in Frage stellte.

Nagelsmann steht ebenfalls unter maximalem Druck

Den neuen Ton bei den Bayern bekam auch Angreifer Serge Gnabry zu spüren. Als er in einer englischen Woche mit drei Spielen für einen Tag zur Fashion Week nach Paris düste, kanzelte ihn Salihamdizic öffentlich ab ("amateurhaft"), beim nächsten Spiel landete der Nationalspieler auf der Bank.

Es hat den Anschein, als wollte Nagelsmann im Verbund mit Salihamidzic die "Abteilung Attacke" wieder mit Leben füllen, die einst Uli Hoeneß erfunden hatte: Niemand soll sich sicher fühlen, weder in der Mannschaft, von der maximaler Erfolg erwartet wird, noch außerhalb der Bayern, zum Beispiel Schiedsrichter.

Selbstverständlich gilt das auch für Nagelsmann, was Nagelsmann besser weiß als jeder andere. In seinem zweiten Jahr bei den Bayern muss er sich beweisen. Der wichtigste Erfolgsmaßstab ist die Champions League. Schaffen es die Bayern, PSG auszuschalten und in das Viertelfinale einzuziehen, wäre das für den jungen Coach ein wichtiger Schritt. Nur in der Liga hat er Nachholbedarf. Auf Borussia Dortmund haben die Bayern einen Neun-Punkte-Vorsprung verspielt, auf den 1. FC Union Berlin sieben Punkte. Die drei Mannschaften stehen in der Tabelle punktgleich da und Nagelsmann will (und muss) verhindern, dass er der erste Bayern-Trainer seit zehn Jahren ist, der den nationalen Titel verpasst.

Quellen: DPA, "Sportschau", "Süddeutsche Zeitung", "Bild"

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