Sie hatten ihn geholt, um etwas zu verändern. Er veränderte vieles, auch wenn nichts davon so revolutionär war, wie es in den aufgeregten Medienberichten schien. Ein Leistungszentrum, ein vergrößerter Trainerstab - keine Dinge, die zwischen Chelsea, Milan und Hoffenheim für mehr als ein Schulterzucken sorgten. Nicht verändert wurde allerdings die Mannschaft, nur kosmetische Veränderungen wurden im Sommer vorgenommen. Die Idee war also, mit der gleichen Mannschaft durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen den Fußball zu verändern - ein Experiment, dessen Scheitern von vorneherein absehbar war.
Gernervte Granden
Viele mäßige Spiele sorgten schon in den ersten Monaten immer wieder für Verstimmungen in der Dreiecksbeziehung Trainer-Mannschaft-Vorstand beim FC Bayern, schon früh wurde die Frage nach dem Sinn und den Fortschritten gestellt, die einzige Antwort darauf war das gebetsmühlenhaft wiederholte Mantra "Veränderungen brauchen Zeit". Eine 2:5-Heimniederlage gegen Werder Bremen zum Wiesn-Auftakt war ein erster herber Rückschlag und ließ den Boulevard wütende Attacken gegen den Bayern-Coach reiten. Auch die Reaktionen auf die verpasste Herbstmeisterschaft und den Aufstieg Hoffenheims ließen immer wieder deutlich werden, dass so allmählich die Erkenntnis dämmerte, es könne sich bei der Beziehung Klinsmann/Bayern nicht um das wunderbar erträumte Erfolgsmodell handeln.
Klinsmann unter Druck
Klinsmann schien auch zu häufig der taktisch-fachliche Gegenpart zu fehlen, die Rolle, die Jogi Löw beim DFB so trefflich gespielt hatte. Immer deutlicher ist in diesen Monaten geworden: Klinsmann ist eigentlich kein Trainer, sondern ein Projektleiter, ein Motivator und Reformator, aber kein ausgeschlafener Trainerfuchs wie Hitzfeld, Hiddink, Mourinho oder Benitez. Die Vorbereitung auf ein bestimmtes Ziel wie eine WM passt dazu besser, aber jetzt hatte er eben keine Turniermannschaft mehr, sondern musste jede Woche liefern - mit wirklichen und vermeintlichen Topstars bei einem ehemaligen europäischen Spitzenclub. Sehr deutlich zeigten sich die Abnutzungserscheinungen im Verhältnis dann öffentlich in der Auseinandersetzung um den US-Stürmer Landon Donovan, dessen Verpflichtung Klinsmann vehement forciert hatte, der aber von den Bayern-Bossen und von Vorstandsberater Breitner nie akzeptiert worden war. Donovan erhielt nicht nur keine wirkliche Einsatzchance, er wurde auch offensichtlich gegen den Willen von Klinsmann von Vorstand Rummenigge öffentlich verabschiedet und heimgeschickt.
Wahre Worte von Beckenbauer
Sklave des Systems
Vom ersten Tag an hatte sich Klinsmann als Reformator gegeben, auf dem Fußballplatz wurde allerdings wenig experimentiert und das liegt vor allem an einem Spieler: Franck Ribery. Seit seiner Verpflichtung 2007 ist der Franzose der herausragende Bundesliga-Spieler, mit seiner Form steht und fällt auch das Spiel des deutschen Rekordmeisters. Diese Abhängigkeit ist ein Problem, das zweite besteht darin, dass der Franzose im Grunde das Spielsystem diktiert, denn Ribery ist allen Behauptungen der Münchner Führungsetage zum Trotz nur auf einer Position Weltklasse: Wenn er links außen im Mittelfeld spielen kann, mit einem Verteidiger als Absicherung hinter sich. Damit ist ein 4-4-2 wie es Bayern spielt vorgegeben und daran scheitern alle Experimente mit einer Raute oder einer Dreierkette in der Abwehr. Das sollte man wissen bei Bayern, nur müsste man dann auch konsequent danach einkaufen und den Kader entsprechend zusammenstellen.
Eklatante Lücken im Kader
Der aktuelle Bayern-Kader weist für die Ansprüche eines europäischen Spitzenklubs erhebliche Lücken in allen Mannschaftsteilen auf. Im Tor fehlt ein Spitzenmann ebenso, wie es keine ernsthaften Alternativen zur ersten Abwehrformation gibt. Im zentralen Bereich sind Mark van Bommel und Ze Roberto für internationale Maßstäbe einfach nicht gut genug, was Borowski in München will und soll ist unklar. Schweinsteiger auf dem rechten Flügel ist eine weitere Fehleinschätzung, dort ist mit Abstrichen nur der sehr verletzungsanfällige Hamit Altintop zu gebrauchen, Sosa konnte nie überzeugen. Und vorne gibt Toni den alternden Weltmeister, in Barcelona deutlich sichtbar, wie wenig der treffliche Torjäger gegen agile und schnelle Verteidiger ausrichten kann.
Die Verantwortung für den schlecht zusammengestellten, aber dabei sehr kostspieligen Kader trägt Klinsmann nur zum kleineren Teil, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner sollten sich hinterfragen, denn der Hauptfehler stammt noch aus der Vorsaison, als man in völliger Verklärung der realen Leistungen den Umbruch für abgeschlossen erklärte und offenbar wirklich glaubte, jetzt ein Spitzenteam von europäischem Niveau zu besitzen. So unterblieben notwendige Veränderungen und Ergänzungen, der neue Trainer wurde mit einem unzureichend besetzen Kader auf die Reise geschickt.
Der Exodus der Talente
Ein weiteres Bayern-Problem unter Klinsmann (aber auch schon zuvor) ist die nahezu unbegrenzte Abwanderung von Talenten, wobei man das Gefühl kaum los wird, dass die Tauglichkeit für eine Weiterbeschäftigung bei einigen nur unzureichend geprüft wurde. In der Winterpause verlieh man Verteidiger Georg Niedermeyer und Supertalent Toni Kroos, im Sommer verkauft man Lukas Podolski (24) und Mats Hummels (20, bisher schon an Dortmund verliehen) und verpflichtet stattdessen einen Kroaten (29) und einen Ukrainer (30). Schon im vergangenen Sommer hatten die deutschen Ex-Nationalspieler Jansen und Schlaudraff das Weite gesucht.
Konsequenzen: zu spät für Klinsmann
Die wichtigste Konsequenz aus der durchwachsenen sportlichen Situation hat der FC Bayern mit der Verpflichtung von Anatoly Tymoschuk bereits gezogen. Der Ukrainer vom russischen UEFA-Cup-Sieger Zenit St. Petersburg ist einer der weltbesten zentralen Mittelfeldspieler, ohne Zweifel ein Riesengewinn für den FC Bayern. Mit Olic dürfte man zudem einen Ergänzungsstürmer gefunden haben, der mit mehr Charakter und weniger Selbstüberschätzung an diese Aufgabe herangeht als Podolski. Ob Jürgen Klinsmann diese substanziellen Verbesserungen noch als Bayern-Coach erlebt? Am Tag nach der "Schande von Barcelona" zeigte er sich noch optimistisch: "Ich habe noch Ziele mit der Mannschaft, die wir erreichen können" sagte der Bayern-Coach vor dem Abflug aus der katalanischen Metropole. Und, trotzig: "Ich erreiche die Mannschaft noch."