Rücktritt nach Kuss-Skandal Luis Rubiales geht als Kapitän des Teams "Große-Klappe-nichts-dahinter"

Luis Rubiales
Zurückgetretener Verbandschef: Luis Rubiales ist mit seinem Krisenmanagement gescheitert
© Gabriel Bouys/La Nacion via ZUMA Press / Picture Alliance
Aus Einsicht hat Luis Rubiales, ehemaliger Präsident des spanischen Fußballverbandes, sicher nicht aufgegeben. Und er tritt auch nicht als Märtyrer ab. Der Trick, aus dem Täter ein Opfer zu machen, ist in seinem Fall gescheitert.

Am Ende: ein Versuch, Pathos zu erzeugen. "Ich werde meine Ehre verteidigen. Und meine Unschuld. Ich glaube an die Zukunft. Ich glaube an die Wahrheit. Danke an alle." So schrieb der nun doch Ex-Fußballverbandspräsident Luis Rubiales auf dem sozialen Netzwerk X (ehemals Twitter). Darunter setzte er noch die spanische Flagge. Ein Fall von nationaler Bedeutung, sollte das wohl heißen.

Mit der Bedeutung, immerhin, hatte Rubiales Recht. Und nicht nur Spanien hat sich für seinen Kuss auf den Mund der Fußballweltmeisterin Jenni Hermoso interessiert. Die Aktion sorgte weltweit für Befremden und wurde dann noch übertroffen durch Rubiales Reaktion auf die Reaktionen: keine Entschuldigung, nirgends. Stattdessen die Behauptung des "pico consentido", des einvernehmlichen Küsschens auf den Mund. Die erhielt er noch aufrecht, als die Spielerin längst widersprochen hatte.

Unappetitlich und unangenehm

Unappetitlich und unangenehm war diese Affäre, auch weil Rubiales sich mit solchen Sätze zu verteidigen versuchte: "Der Wunsch, den ich bei diesem Kuss gehabt haben könnte, war genau derselbe, den ich gehabt haben könnte, wenn ich ihn einer meiner Töchter gegeben hätte." Der Präsident kämpfte von Beginn an mit allen Mitteln. Vielleicht hatten ihn ein paar prominente Stimmen bestärkt, die gab es zu Beginn des Skandals, auch im Ausland. Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern etwa sagte allen Ernstes: "Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat, ist – sorry, mit Verlaub – absolut okay."

Luis Rubiales war plötzlich bekannter als je zuvor in seiner fünfjährigen Amtszeit. Seine Mutter begab sich in der andalusischen Heimat medienwirksam zum Hungerstreik in die Pfarrkirche, um auf das Unrecht aufmerksam zu machen, das ihrem Sohn widerfahre. Rubiales selbst schlüpfte derweil in die Rolle des populistischen Widerständlers. Aus dem üblichen "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" wurde bei ihm gleichsam ein "Da wird man ja wohl noch küssen dürfen". Beherzt wetterte er gegen übertriebene politische Korrektheit und gegen "falschen Feminismus". Der sei "eine Geißel in diesem Land".

Das Verhalten von Luis Rubiales erinnert an Hubert Aiwanger

Rubiales‘ Adressaten waren da schon längst nicht mehr die Meinungsmacher, die in Spanien zum allergrößten Teil seinen Kuss und die Weigerung zurückzutreten ablehnten. Der Funktionär zielte jetzt auf jenen großenteils männlichen Teil der Gesellschaft, dem missfällt, dass Frauen in Spanien inzwischen weitaus offensiver nach Gleichberechtigung streben. Und der sich freut, wenn mal jemand, den man kennt und der gehört wird, Klartext spricht. Im Internet, in den sozialen Netzwerken, hat Rubiales deshalb auch viel Verteidigung bekommen. Das mag ihn beflügelt haben, hart zu bleiben und das Amt nicht aufzugeben. Mochten die Eliten und Medien gegen ihn sein – das Volk stand ihm zur Seite. Auch so kann man sich Argumenten und Tatsachen verschließen. Als Deutscher fühlt man sich jetzt an den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erinnert, der sich in den Bierzelten Unterstützung und Zuspruch holt.

Der Politiker Hubert Aiwanger handelte in der Flugblatt-Affäre nach dem Prinzip der Täter-Opfer-Umkehr. Er sei nicht antisemitisch, sagte er, und dass politische Gegner und Medien eine Schmutzkampagne gegen ihn führten. Auch Luis Rubiales spielte das Opfer, sprach von "persecución", von Verfolgung. Es ist die gute Nachricht, dass er – anders als Aiwanger – nicht durchgekommen ist.

Kein Rücktritt aus Einsicht

Aus Einsicht ist dieser Rücktritt unterdessen nicht geschehen. Das zeigt allein dieser Satz seiner Rücktrittserklärung: "Meine Töchter, meine Familie und die Menschen, die mich lieben, haben gelitten unter den Auswirkungen einer unangemessenen Verfolgung und unter vielen Falschdarstellungen." Rubiales erweitert den Opfermythos hier auf Familie und Freunde. Und er wähnt sich im nächsten Satz auch gleich im Einklang mit den Massen. Richtig sei, schreibt er, dass "sich auf der Straße die Wahrheit jeden Tag mehr durchsetzt".

Rubiales geht nach dreiwöchigem Kampf allerdings nicht als Märtyrer, sondern als Verlierer vom Platz. Womöglich liegt seinem Rückzug, der den spanischen Fußballverband angeblich verblüfft hat, ein vertraulicher Kuhhandel zugrunde. Rubiales war mit mehr als 600.000 Euro Jahresgehalt ein Spitzenverdiener, da lässt man sich eigentlich lieber rauswerfen und abfinden, als dass man zurücktritt. Vielleicht erhält der Spitzenfunktionär ja gewisse Zahlungen dafür, dass er urplötzlich aufgibt. Und vielleicht hat er deshalb selbst darauf verwiesen, dass Spanien gemeinsam mit Portugal und Marokko die Fußball-WM 2030 ausrichten möchte – und dass seine Affäre der Bewerbung hinderlich gewesen sein könnte. Die Botschaft für den Weltfußballverband: Ich bin weg, das Problem ist jetzt erledigt.

Ob er nun gut bezahlt von dannen geht oder nicht – sein Krisenmanagement ist auf jeden Fall gescheitert. "Ich werde nicht zurücktreten", zitierte ihn das Massenblatt "Marca" heute auf seiner Titelseite, die Sporttageszeitung druckte den Satz fünfmal hintereinander. So oft hatte Rubiales seinen Rückzug in seiner Verteidigungsrede ausgeschlossen. Darunter schrieb "Marca", fast schon genüsslich und nicht als Zitat gekennzeichnet: "Und am Ende trete ich zurück".

Am Ende steht Luis Rubiales als Kapitän des "Große-Klappe-nichts-dahinter-Teams" dar.

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