Was die Stunde geschlagen hat, dürfte dem Kader von Borussia Dortmund und seinem Coach Peter Bosz spätestens am Sonntagmorgen gedämmert sein. Da lief das Team bei der Jahreshauptversammlung des Klubs auf und wurde vom Gros der anwesenden Mitgliedern mit gellenden Pfiffen empfangen. Zu tief saß der Frust über den fahrlässig verschenkten Derbysieg, zu manifest sind inzwischen auch die Zweifel an den Fähigkeiten von Peter Bosz, die verunsicherte Truppe wieder aufzurichten.
Nun kann man bezweifeln, ob die Pfiffe dem Team den nötigen Rückenwind geben, im Fokus stand ohnehin mehr denn je der Trainer, der nach einem rauschhaften Saisonstart inzwischen von Woche zu Woche mehr an Rückhalt verliert. Die Spieler nicht fit genug, das Spielsystem zu riskant, der Coach zu unflexibel, das Training zu lasch, so vielstimmig wird inzwischen geklagt.
Der merkwürdige Mittelweg des Aki Watzke
Und es hätte wohl niemanden überrascht, hätten die Klubbosse noch am Derbyabend im Affekt den Trainer gefeuert. BVB-Boss Aki Watzke beließ Bosz zwar im Amt, nutzte die Jahreshauptversammlung aber auch nicht, dem Coach glaubhaft den Rücken zu stärken, bei der schwierigen Verarbeitung des 4:4. Stattdessen hat sich Watzke für einen merkwürdigen Mittelweg entschieden, nämlich ihn einerseits nicht zu feuern, ihm aber zugleich ein vernichtendes Zwischenzeugnis auszustellen.
Philipp Köster: Kabinenpredigt
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.
Die Aufforderung bei der Jahreshauptversammlung des Vereins, jeden Stein umzudrehen und stante pede in die Erfolgsspur zurückzufinden, ist nichts anderes als ein Ultimatum. Kaum vorstellbar nach diesen Worten, dass bei ein weiterem Punktverlust am nächsten Wochenende Bosz noch Trainer in Dortmund bleibt. Doch muss man Watzke und Sportdirektor Michael Zorc schon jetzt fragen: Was käme danach?
Der Blick auf mögliche Nachfolgekandidaten ist nämlich mehr als ernüchternd. Weit und breit ist niemand in Sicht, der dem Team kurzfristig weiterhelfen könnte. Anders als in Mittelklasse-Klubs der Liga kann nicht einfach ein Nachwuchs-Coach zum Cheftrainer befördert werden, dafür ist die Aufgabe als Chefcoach des BVB zu komplex.
Und erfahrende Kandidaten, die das Format hätten, den BVB zu trainieren, sind derzeit allesamt anderswo in Amt und Würden. Das mag sich im Falle von Lucien Favre, der am Wochenende mit Nizza gegen Olympique Lyon mit 0:5 unterging, schnell ändern, aber der käme dann nicht als strahlender Erfolgscoach, sondern als gefeuerter Trainer eines Abstiegskandidaten nach Dortmund. Und andere natürliche Aspiranten wie etwa Huddersfield-Coach David Wagner, ein alter Dortmunder Bekannter, wären ebenfalls nicht so rasch verfügbar wie gewünscht.
Das jahrelange Markenzeichen des BVB
Und man kann grundsätzlich fragen, ob man derlei hektisches Geschäftsgebaren wieder zum Dortmunder Alltag machen will. Über lange Jahre war es ein Dortmunder Markenzeichen, in verlässlichen und einander vertrauten Konstellationen zusammenzuarbeiten. Und als sich Aki Watzke und Michael Zorc vor der Saison für den Ajax-Trainer Peter Bosz als Nachfolger von Thomas Tuchel entschieden, da war diese Verpflichtung auch ein klares Bekenntnis, nach den Verwerfungen der letzten Saison zum kollegialen Stil zurückkehren zu wollen. Wenn es Watzke und Zorc mit dieser Unternehmenskultur ernst meinen, bedeutet das in dieser Situation, an Peter Bosz festzuhalten, ihm öffentlich und intern den Rücken zu stärken und mitzuhelfen, sein Spielsystem an die Mannschaft anzupassen, das es wieder so funktioniert wie zu Beginn dieser Saison. Und ebenso sehr ist Peter Bosz in der Pflicht, seine Arbeit zu hinterfragen und auf die neue Situation flexibler als bisher zu reagieren.
All das könnte ein Weg aus der Krise sein. Oder es wird mal wieder der Trainer gefeuert.
