Die Fußball-Weltrangliste spricht eine deutliche Sprache. 70 Plätze liegen die deutsche und die österreichische Nationalmannschaft auseinander. Die DFB-Elf rangiert auf dem 4. Platz, die Österreicher liegen auf dem 74. Rang. Im EM-Qualifikationsspiel im Wiener Ernst-Happel-Stadion war von einem Klassenunterschied zwischen den beiden Rivalen allerdings nichts zu bemerken. Mit einem 2:1-Zittersieg gelang der stark ersatzgeschwächten Elf von Bundestrainer Joachim Löw der sechste Erfolg im sechsten Qualifikationsspiel - dank Mario Gomez, der mit seinem zweiten Tor in der 90. Minute für die knappe Entscheidung sorgte. Deutschland führt die Tabelle in der Gruppe A souverän mit 18 Punkten an. Verfolger Belgien kommt auf elf Punkte.
"Man muss sagen, dass wir dieses Spiel glücklich gewonnen haben. Wir haben viele Fehler gemacht. Ich glaube auch, dass unsere WM-Teilnehmer jetzt am Ende ihrer Kräfte sind. Aber es zählt auch das Ergebnis in so einem Spiel wie heute", erklärte Löw. "Glück muss man sich immer auch erarbeiten. Wir haben uns heute schwer getan, aber wenn man mit drei Punkten rausgeht, kann man zufrieden geht", sagte Kapitän Philipp Lahm.
Österreicher bis in die Haarspitzen motiviert
Die Österreicher waren bis in die Haarspitzen motiviert und wollten die letzte Chance nutzen, mit einem Sieg gegen den großen Bruder doch noch auf den Euro-Zug zu springen. Vor 47.000 Zuschauern im Wiener Ernst-Happel-Stadion entwickelte sich von der ersten Sekunde an ein unterhaltsames und temporeiches Spiel. Den Österreichern war sofort anzumerken, dass sie sich nicht verstecken wollten. Die erste Torchance der Partie gehörte den Gastgebern, als Martin Harnik nach einem Freistoß mit einer artistischen Kopfball-Einlage das Tor von Nationalkeeper Manuel Neuer nur um Haaresbreite verfehlte – ein erster Warnschuss.
Das war es aber erst einmal mit der österreichischen Herrlichkeit. Die Marschroute der deutschen Nationalelf, die mit Bastian Schweinsteiger, Miro Klose und Per Mertesacker auf drei Stammkräfte verzichten musste, war klar: Möglichst schnell den Führungstreffer erzielen und Ruhe ins Spiel bringen. Nach einem präzisen Pass von Spielmacher Mesut Özil war der Abschluss von Gomez noch nicht nicht genau genug. Wenig später landete ein Distanzschuss von Lukas Podolski nach einer Ecke nur an der Latte. Die Deutschen dominierten das Spiel jetzt klar und erspielten sich weitere Kopfball-Chancen durch Gomez (13.) und Mats Hummels (24.).
Auch Neuer patzte
Toni Kroos agierte in dieser Phase als Ballverteiler und trieb das Spiel der DFB-Elf immer wieder nach vorne. Allerdings fehlte es an schnellen Kombinationen und genauen Pässen. Nach einer knappen halben Stunde war die Luft erst einmal raus – was auch daran lag, dass Österreich sich mit viel Leidenschaft zurück ins Spiel kämpfte. Der Hoffenheimer David Alaba setzte Philipp Lahm auf der linken deutschen Abwehrseite gehörig unter Druck, weil Thomas Müller wenig Engagement in der Defensive zeigte. Manuel Neuer leistete sich einen Patzer, als er nach einer Ecke unter dem Ball durchsegelte. Die größte Chance vergab der österreichische Torjäger Jimmy Hoffer, als er Arne Friedrich mit einer Drehung überlistete und Lahm im letzten Moment den Ball am deutschen Tor vorbei lenken konnte (35.).
Umso überraschender fiel der Führungstreffer durch Mario Gomez in die Drangphase der Österreicher. Nach einem Eckball durch Kroos drückte Gomez den Ball mit dem Knie über die Torlinie (44.).
Die zweite Halbzeit begann mit einem Torschuss durch Gomez (47.) – in der Folge übernahmen die Gastgeber endgültig das Kommando. Das Ergebnis: Nach einer Hereingabe des bärenstarken Alaba wollte Friedrich vor dem heranstürmenden Harnik klären und beförderte den Ball unglücklich über die eigene Torlinie – der verdiente Ausgleich.
Eklatante Schwächen in der Defensive
Danach zeigte das deutsche Spiel wie auch schon beim Sieg gegen Uruguay eklatante Schwächen in der Defensive. Neuer musste mit einem starken Reflex einen Schuss aus spitzem Winkel von Stefan Kulovitz klären. In dieser Phase brannte es lichterloh in der deutschen Abwehr. Im defensiven Mittelfeld fehlte Bastian Schweinsteiger dem deutschen Spiel an allen Ecken und Enden. Sami Khedira war seine sechswöchige Verletzungspause deutlich anzumerken, er musste für Holger Badstuber weichen. Lukas Podoslski spielte bis auf seinen Torschuss in der Anfangsphase ganz schwach und wurde für André Schürrle ausgewechselt. Aber besser wurde das Spiel der Deutschen, das durch zahlreiche Fehlpässe geprägt war, nicht mehr.
Dann kam der große Auftritt von Gomez. Nach einer Flanke von Lahm lauerte der Torjäger am zweiten Pfosten und versenkte den Ball per Kopf in den österreichischen Maschen (90.). Gomez drehte jubelnd ab, zog sich im Überschwang der Emotionen sein Trikot aus und bekam dafür die gelbe Karte. Das war aber allen Beteiligten herzlich egal. Die Qualifikation für die Euro 2012 in Polen und der Ukraine ist den Deutschen kaum noch zu nehmen. Am Dienstag gegen Aserbaidschan in Baku wäre ein Zittersieg noch peinlicher.