Es ist dreieinhalb Jahre her, da feierte Russland ein riesiges Fest: Die Weltmeisterschaft im eigenen Land versprach auch einen Schub für den russischen Fußball. Nun aber ist der Sport ein Opfer der eigenen Regierung geworden. Die Invasion Russlands in der Ukraine hat weitreichende Konsequenzen: Trainer kündigen reihenweise ihre Jobs, halbe Mannschaften verlassen die Clubs, international steht die Verbannung aus allen Wettbewerben – dem russischen Fußball droht der ungebremste Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Allein die Liga hält die Fahne noch hoch. Nach einer kurzen Diskussion über einen Abbruch läuft der Spielbetrieb weiter.
"Es war sehr hektisch. Zuerst gingen die Trainer, dann wollten auch die ausländischen Spieler weg. Es fühlte sich an wie ein sinkendes Schiff", sagte der schwedische Nationalspieler Viktor Claesson. Mit seiner Frau brauchte der 30-Jährige anderthalb Tage, um von Krasnodar aus seine Heimat zu erreichen. Den Verein unweit des Schwarzen Meeres erwischte es am heftigsten. Der deutsche Trainer Daniel Farke löste seinen Vertrag nach wenigen Wochen auf, neun Spieler gingen ebenso.
Fifa setzt Verträge ausländischer Profis aus
Es dürfte nur der Anfang sein. Am Montagabend genehmigte der Weltverband Fifa ein Sonder-Transferfenster für ausländische Spieler in Russland und der Ukraine. Ein allerdings schwammiges Entgegenkommen, denn die Verträge der Profis mit ihren Clubs werden nicht aufgelöst, sondern nur bis Ende Juni ausgesetzt.
Dass in Russland eine Menge an Realitätssinn verloren gegangen ist, zeigt die Reaktion des Verbandes auf die Fifa-Intervention. "Jeder, der mit Fußball zu tun hat, ist darüber empört. Das ist reine Politik und hat nichts mit Fußball zu tun", sagte Michail Gerschkowitsch, Mitglied des Exekutivkomitees. Zudem geht der Verband vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas gegen den Ausschluss von der Frauen-EM in England sowie der Männer-WM in Katar vor.
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Ex-Bundesliga-Profi Woronin: "Wie in einem Horrorfilm"
Dass Fußball und Politik eben nicht voneinander zu trennen sind, verdeutlichen die Worte von Andrej Woronin. Der frühere Bundesliga-Profi und ukrainische Nationalspieler war Co-Trainer von Sandro Schwarz bei Dynamo Moskau und löste seinen Vertrag auf. "Wenn ich die Fotos aus meiner Heimat sehe, dann kommt mir das so unwirklich vor. Es ist wie in einem Horrorfilm. Wir leben im Jahr 2022 und nicht während des Zweiten Weltkrieges", sagte der frühere Stürmer. In der englischen Premier League nutzen die ukrainischen Profis Oleksander Sintschenko und Witalij Mykolenko die Bühne Fußball, um Öffentlichkeit für den Schrecken in ihrem Land zu bekommen und Frieden zu fordern.
In der Heimat ist der Spielbetrieb längst eingestellt. Niemand weiß, wann und wie es dort einmal weitergehen kann. In Russland herrscht aufgrund der Reaktionen und Sanktionen nicht nur Unverständnis, sondern teilweise Trotz. "Die Ratten verlassen das sinkenden Schiff. Solche Leute brauchen wir hier nicht. Die Zahl der Legionäre in der Liga sollte ohnehin reduziert werden, damit unsere Jungs nicht länger die Bank wärmen", sagte der frühere Nationaltorwart Ansor Kawasaschwili. Vereinzelt gab es sogar Forderungen, Roman Abramowitsch solle Spartak Moskau kaufen, sobald er den FC Chelsea veräußert hat.
Spieler wollen nicht in einem Land sein, das andere angreift
Doch es gibt auch realistischer anmutende Stimmen. "Der russische Fußball fällt zurück in die 90er-Jahre", sagte der Spielerberater Wadim Schipnew. "Wir brauchen hochklassige Legionäre, damit unsere Spieler von ihnen lernen und Erfahrungen sammeln können. Lasst uns hoffen, dass es bei allem Negativen auch positive Dinge gibt."
Die wird es zunächst nicht geben. Es werden noch mehr gut bezahlte ausländische Profis das Land verlassen, da die Clubs sie womöglich nicht mehr bezahlen können. Der Rubel hat drastisch an Wert verloren, Bankgeschäfte sind eingeschränkt und Sponsoren könnten durch Sanktionen ebenfalls in Schieflage geraten. Zudem wollen Spieler nicht in einem Land sein, das ein anderes militärisch angreift.
Russland kann WM-Aus sportlich verkraften
Sportlich ist ein WM-Aus für Russland zu verkraften. Langfristig wird eher der Ausschluss vom Europapokal und das Fernbleiben von starken ausländischen Spielern die gravierendsten Folgen haben. Ohne diese Einflüsse wird der russische Fußball in seiner Entwicklung mit dem restlichen Europa nicht mithalten können.