Löws Kader für die WM Warum der Fall Kuranyi zum Fall Gomez wird

Ein Kommentar von Wigbert Löer
Das Nicht-Comeback von Kevin Kuranyi lenkt den Blick auf Bundestrainer Joachim Löw und seine WM-Besetzungsliste. Mario Gomez scheint seinen Platz im WM-Flieger durch die Absage an Kuranyi sicher zu haben. Das ist schwer nachvollziehbar.

Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Der Bundestrainer Joachim Löw hat erstmal die turbulenten Tage abgewartet. Kuranyi trifft, trifft, trifft. Schießt Schalke - Schalke! - zur Meisterschaft. Wer, wenn nicht er, kann die WM-Tauglichkeit der deutschen Nationalmannschaft gewährleisten, von der viele wie so oft vor großen Turnieren nicht allzu viel erwarten?

So dachte man im März und im April, doch heute Morgen, als Löw mit seinem 2008 verstoßenen Stürmer telefonierte, sah die Welt schon wieder anders aus. Schalke wird doch nicht Meister, Kuranyi hat auch nicht mehr Tore gemacht als Lucas Barrios für Dortmund, weniger als Stefan Kießling für Leverkusen und Edin Dzeko für Wolfsburg. Und dann hört man, er wechsle vielleicht nicht nach England, nicht nach Italien, nicht nach Spanien. Sondern nach Russland. Die Kuranyi-Euphorie ist ein bisschen verflogen. So richtig aufregen mag sich da doch kaum jemand, dass er nicht mit zur WM nach Südafrika fahren wird.

Das Doch-nicht-Comeback des Torjägers aber lenkt den Blick auf Löw und seine Besetzungsliste. Donnerstag wird ein erstes Aufgebot verkündet, und zu diesem Anlass erinnert man sich an den lieben Leistungsgedanken: Nur wer gut spielt, wird zur Nationalelf berufen, so hat es Löw in den Monaten nach der Europameisterschaft verkündet. Er hat sich diesem "Leistungsgedanken" öffentlich verschrieben, immer wieder. Die Mannschaft drohte damals, nach der EM 2008, in zwei Lager zu zerfallen, in alt und jung. Löw spürte die Strömungen und versuchte, mit neuen Prinzipien dagegen vorzugehen.

Weil aber auch eine Nationalmannschaft ein Gerüst braucht, weil sie eingespielt sein muss, weil sie mehr sein muss als eine Auswahl der aktuell formstärksten Spieler, hat der Leistungsgedanke beim Bundestrainer in Wirklichkeit wahrscheinlich niemals höchste Bedeutung besessen. Miroslav Klose hat nachgewiesen, dass er während eines Turniers Tore machen kann. Lukas Podolski spielt lange Jahre schon mit Klose, mit Michael Ballack (Chelsea London), mit Bastian Schweinsteiger (Bayern München), die alle drei zur ersten Elf zählen dürften. Doch gerade Klose und Podolski dürften kraft ihrer Leistungen in dieser Spielzeit bei FC Bayern und in Köln überhaupt nicht im Aufgebot stehen. Und werden von Löw doch berufen werden, weil sie verlässliche Partner für ihn in der Vergangenheit waren, auf dem Platz, wie außerhalb.

Leistungsgedanke und Loyalität

Es ist nachvollziehbar, dass der Bundestrainer den Leverkusener Stefan Kießling beruft und wohl auch den jungen Bayern-Spieler Thomas Müller, den er zudem noch im rechten Mittelfeld einsetzen kann. Der Stuttgarter Cacau ist ohnehin ein anderer Stürmertyp als Kuranyi. Einzig die durch den Kuranyi-Verzicht wohl zementierte Nominierung von Mario Gomez leuchtet nicht ein.

Gomez zehrt in der Nationalmannschaft nicht vom erprobten Zusammenspiel mit wichtigen Stammkräften. Bei seinem bisher einzigen Turnier, der Europameisterschaft 2008, hat er seinen eigenen und den Anspruch seines Trainers bei weitem nicht erfüllt. Für ihn persönlich ist die Nationalelf keine Wohlfühloase, sondern nach der Europameisterschaft und vielen, vielen Spielen danach - eher eine Problemzone. Und aus der Bundesliga-, Pokal- und Champions-League-Saison geht Bayerns 30-Millionen-Einkauf als einer der größten Verlierer hervor.

Es ist dieser Gomez, der den Fall Kuranyi erst zu einem solchen werden lässt. Er und Kuranyi sind ähnliche Stürmer-Typen und als solche Konkurrenten um einen Platz in der deutschen Nationalmannschaft. Bei der EM gab Joachim Löw Gomez den Vorzug, der damals als Star des VfB Stuttgart voller Selbstvertrauen ins Turnier ging. Sollte er Gomez abermals nominieren, so wird deutlich, dass ihm neben dem Leistungsgedanken die Loyalität zu seinen Kräften mindestens genauso wichtig ist.

Hat Bundestrainer Joachim Löw richtig entschieden? Oder brauchen wir Kevin Kuranyi bei der WM in Südafrika? Diskutieren Sie mit auf Fankurve 2010, der Facebook-Fußballfanseite von stern.de.

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