Wie gut ein Land auf sportlicher Ebene ist, wird nicht selten am international anerkannten Ranking des Medaillenspiegels festgemacht. Bronze ist gut, Silber ist besser und Gold hat gewonnen. So einfach ist das. So schwierig ist das. Demnach zählt ein vierter Platz nichts. Startet also eine große Nation mit 200 Athleten und die werden immer nur vierter, zeigt das, in diesem Land leben 200 Sportler die weltweit (fast) Spitze sind.
Im Medaillenspiegel tauchen sie nicht auf und rangieren genau neben den Drei-Mann/-Frau-Nationalmannschaften von Kiribati oder Swasiland. Zu diesem Zweck (und Selbstschutz) wurde von großen Staaten die sogenannte Nationenwertung erfunden. (In Zeiten steigender Rohstoff- und Edelmetallpreise mag dieser Aspekt in den Hintergrund gedrängt werden, aber selbst mit einem Goldsegen kann ein Staatshaushalt nicht saniert werden - die Goldmedaille ist Silber und hat nur einen goldenen Überzug.)
Nun werden Punkte verteilt und hoppla, Platz acht, den der Medaillenspiegel verschluckt, gibt es wirklich. Bringt einen Punkt. Acht achte Plätze sind wie eine Goldmedaille. Trotzdem glänzt da nichts. Nur für Athleten, die dem olympischen Credo „Dabei sein ist alles!“ gefolgt sind und denjenigen, die nicht damit gerechnet haben und denen, die richtig gut sind, aber sieben andere vor sich hatten. Trotzdem sieht man sie eher selten und spricht selbst beim vierten Platz von einem undankbaren. Aber es gibt sie, die Athleten, die sich über die Plätze vier bis acht freuen. Zuhauf.
Zur Person: Frank Busemann
Der Recklinghäuser Frank Busemann (37) gewann 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta nicht nur sensationell Silber im Zehnkampf, sondern auch die Herzen der Zuschauer im Sturm. Mittlerweile arbeitet er als Referent und Motivationstrainer. Für stern.de schreibt Busemann regelmäßige Kolumnen aus London von den Olympischen Spielen.
Wo ist der Patriotismus?
Eigentlich gibt es mehr als drei Edelmetalle. Warum gibt es also nur drei Medaillen? Zu dritt spielt man Skat. Zu dritt ist immer einer über. In der Ehe heißt das Bigamie. Die Vergabe von drei Medaillen ist vollkommen willkürlich – aber sinnvoll. Erstens weil es Wettkämpfer sind, die sollen nicht Kartenspielen und zweitens, weil es sonst Teilnahmemedaille hieße und die gibt es beim Wandertag in der Eifel. Verknappung des Angebotes steigert das Verlangen.
Deshalb dürstet Großbritannien auch nach Gold. Die Gastgeber haben mit einer Riesenoffensive die Sportler gefördert. Deutsche Wissenschaftler berechneten vor den Spielen, dass die Briten Platz fünf im Medaillenrang belegen und das Deutschland den fünften Platz aus Peking verliert und lediglich siebter wird. Wo ist der Patriotismus? Den gibt es hier in London. Die Engländer feiern ihre bronzene Turnmannschaft als "History Boys". China würde sagen: Nur dritter. Alles Ansichtssache. Boulevardblätter schreiben nach vier ungoldigen Tage aber auch: "Wanted! Gold Medal". Egal wo, Hauptsache Gold. Doch so wehleidig wie wir waren Briten nicht.
Mitfiebern, schreien, jubeln, fluchen
Was haben wir gezetert und gelitten. Deutschland ohne Gold. Tag eins, Tag zwei. Nichts. Irgendwann dann Silber. Aber "besser" können nur die anderen. Können wir nicht mehr gewinnen? Haben wir keinen Biss? Bange Blicke auf das Fördersystem, die Gesellschaft, das eigene Selbstverständnis. Doch gemach, es waren nur die falschen Disziplinen zur falschen Zeit. Wäre das Vielseitigkeitsreiten am ersten Tag gewesen, wir hätten uns genüsslich zurückgelehnt, dem Chinesen um die Ecke erklärt, dass großer Sport immer ein Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier ist und er sich nicht grämen müsse, seine Mannschaft würde bestimmt noch irgendwo gewinnen.
China definiert sich teilweise über Sport, die Amerikaner können mit ihrem Schul- und Bildungssystem auf ein ganz anderes, lange gewachsene Sichtungs- und Förderungskonzept zurückgreifen. Wir hingegen müssen uns gegen immer mehr Nationen und mit immer mehr Wohlstandsproblemen auseinandersetzen. Ausreden. Deshalb konzentrieren wir uns auf das mögliche und das sind auch Medaillen.
Träume, Dramen, Helden
Es geht wie so oft um Superlative, Träume, Dramen, Helden, Verlierer. Sport ist emotional, wir können mitfiebern, schreien, jubeln, fluchen, zittern und bangen. Alles komprimiert auf wenige Tage, Stunden oder Momente. Betrachten wir den olympischen Sport objektiv, dann hat jeder Sportler, der sich abrackert und besten Gewissens alles in seiner Macht stehende tut, um seine beste Leistung auf dem größten Sportfest der Welt zeigt, Respekt und Hochachtung verdient.
Aber wie soll man festmachen, dass ein fünfter Platz für Paul Biedermann weniger zählen soll, als ein elfter Platz für Julia Rohde im Gewichtheben? Es ist schwer. Deshalb ist der bloße Blick auf Medaillen eine schöne Spielerei und nicht die ganze Wahrheit. Dennoch glänzt Edelmetall auf dem Podium der besten drei brillanter und stillt Sehnsüchte, die das Ebenbild einer Leistungsgesellschaft ist, die Sieger sehen will. Verdammter Medaillenspiegel.