Normalerweise tragen die Menschen, die hier über den Roten Teppich laufen, Sport-BHs, Laufhosen oder Trainingsanzüge. Sie halten Tennisschläger in den Händen, rasen im Cockpit über die Rennstrecke oder kurven auf Skiern um die Stangen. An diesem Abend nicht. An diesem Abend haben sie sich schick gemacht.
Motorsportlerin Sophia Flörsch trägt ein funkelndes Glitzerkleid. Ihr Kollege Nico Hülkenberg eine orangegetönte Sonnenbrille. Ski-Ass Maria Höfl-Riesch hat etwas Mühe, ihre schwindelerregend hohen Plateau-High-Heels über den Teppich zu manövrieren. Basketball-Legende Dirk Nowitzki muss einen exzellenten Maßschneider haben, denn sein überlanger, schwarzer Anzug sitzt perfekt. Formel-1-König Lewis Hamilton hat seine Mini-Rastazöpfe zu einer Palme nach oben gezwirbelt. Unter der bodenlangen Robe von Para-Sportlerin Oksana Masters scheinen ihre Beinprothesen leicht durch. Sie alle sind heute gekommen, um die besten ihres Berufs zu feiern: Sportler, die in ihren Disziplinen Großes vollbracht haben. Die Jury der "Laureus World Sports Awards“ hat es dabei nicht leicht, viele waren im letzten Jahr auf die eine oder andere Weise erfolgreich – und deswegen sind die Preise auch so begehrt. Ausgezeichnet wird nur, wer wirklich eine große Nummer ist.
Timing ist auf dem Roten Teppich alles
Die Gala ist dabei mehr als eine bloße Preisverleihung. Alles, was im Sport Rang und Namen hat, kommt zusammen, in diesem Jahr zum zweiten Mal in Berlin. Man kennt sich, man tauscht sich aus. Ex-Eiskunstläuferin mit Para-Radprofi. Triathlet mit Skateboard-Legende. Cricketspieler mit Fußball-Coach.
Und so ist auch an diesem Montagabend der Rote Teppich vor der Veranstaltung schnell voll. Wie wichtig dabei Timing ist, merkt man an Roman Weidenfeller. Der Ex-BVB-Keeper hat es nicht eilig, nach dem Aussteigen aus der Limousine in die Verti Music Hall zu kommen, wo die Show stattfindet. Gemächlich spaziert er über den Roten Teppich. Trotzdem ruft kein einziger Reporter seinen Namen, um nach einem Interview zu verlangen. Denn: Die Fußball-Legenden Alessandro del Piero, Luís Figo und Arsène Wenger sind kurz zuvor angekommen. Alle wollen die drei vors Mikrofon kriegen. Weidenfeller merkt’s und marschiert vorbei.
Unterdessen wird es am ohnehin schon lauten Anfang des Roten Teppichs noch lauter. Ein gutes Dutzend Fotografen schreit in den höchsten Stimmlagen die Vornamen der aus dem Shuttle gestiegenen Sportstars. "Lewis, Lewis, Leeeewis!" Alle wollen einen guten Schuss, ein gutes Bild vom exzentrisch gestylten Formel-1-Weltmeister. Doch der lässt sich nur ganz kurz blicken, verschwindet nach nicht einmal einer Minute schon wieder aus dem Blitzlichtgewitter und nimmt nicht den Weg über den Roten Teppich, sondern den Hintereingang.
Er, der später zusammen mit Lionel Messi als "Sportsman of the Year" ausgezeichnet wird, hat keine Lust auf Interviews. Anders Jens Lehmann, auch er ist Ex-Keeper beim BVB. Geduldig beantwortet er die Fragen der Reporter zur Champions League, zu Julian Nagelsmann und zur Bundesliga – solange, bis eine etwas nervöse Pressefrau kommt und wenig nachgiebig darauf hinweist, dass die Gala jetzt wirklich anfängt.
Sophia Flörsch vergisst "alles, was ich sagen wollte"
Die gut zweistündige Show wird dann zügig abgespult. Hugh Grant moderiert gewohnt charmant und souverän, es gibt Laudatio-Ansprachen und Dankesreden. Lewis Hamilton zeigt sich sehr gerührt, als er den "Sportsman-Award" erhält. Er dankt seiner Oma, die immer an ihn geglaubt habe. Lionel Messi, der zweite Preisträger in dieser Kategorie, ist nicht gekommen. Er lässt per Videobotschaft etwas lieblos ausrichten, dass er sich sehr freue. Auch Simone Biles, "Sportswoman of the Year", kann ihren Award nicht persönlich entgegennehmen, sie ist im Olympia-Trainingslager. Zumindest kann sich die Turn-Königin per Live-Schalte bedanken – und tut das auch mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Für viel Beifall sorgt der Auftritt von Sophia Flörsch, die das"Comeback des Jahres" hingelegt hat. Nur 106 Tage nach einem fürchterlichen Rennunfall in China saß die 19-Jährige wieder im Cockpit. Ihre Dankesrede ist etwas verschwurbelt – sie sei einfach "überwältigt" gewesen, erzählt sie später den Journalisten. "Alles, was ich sagen wollte, hab‘ ich vergessen." Schlimm findet das niemand, denn Flörschs Auftritt ist dadurch umso authentischer. Dass sie da oben stehe, sei für sie unwirklich, so die Nachwuchs-Rennfahrerin. "Vor euch allen, meinen sportlichen Idolen." Beim nächsten Mal, wenn sie von der Laureus Academy ausgezeichnet werde, wolle sie dann aber "Sportswoman of the Year" sein, sagt sie zum Abschluss und lacht.
Unter den Gästen ist auch Sky Brown. Die Britin ist gerade einmal elf Jahre alt – und skatet jetzt schon wie eine Große. Skateboard-Legende Tony Hawk hat am Vortag ein paar Runden mit ihr in einer Berliner Skatehalle gedreht. Brown sei "fantastisch", sagte er hinterher. Es könnte sein, dass die beiden sich in Tokio wiedertreffen. Bei den Olympischen Spielen im Sommer ist Skateboarden das erste Mal olympisch – und eine Altersbegrenzung soll es nicht geben. Hawk ist dann 52. Brown könnte die Goldmedaille holen. Es gibt gerade nur wenige Frauen, die besser fahren als sie.
Skateboarden sei für sie "das beste Gefühl überhaupt", sagt die Elfjährige in jedem Interview. Und es sind viele: Alle wollen die kleine Skateboarderin vor dem Mikrofon haben, sie plaudert ganz natürlich über ihre Leidenschaft. Der stolze Papa steht immer dabei, der ganze Rummel scheint ihm ein kleines bisschen unheimlich zu sein. Immer wieder blickt er sich um. Sind da tatsächlich noch mehr Journalisten?
Dirk Nowitzki sticht heraus – und feiert lang
Das große Interesse an seiner Person kennt Dirk Nowitzki seit Jahrzehnten. Deutschlands bester Basketballer hat seine aktive Karriere kürzlich beendet – und erhält nun den Laureus-Award für sein Lebenswerk. Nach der Verleihung kommt er zu einer kurzen Pressekonferenz. Eigentlich wollte er keine Interviews geben – aber so ganz ohne Statement will ihn natürlich keiner gehen lassen. Der Award sei für ihn "eine Riesenehre", so Nowitzki. Er habe andere Laureus-Größen wie Schwimmer Mark Spitz oder Stabhochspringer Sergej Bubka immer bewundert, nun stehe er selbst hier.

Einer wie Nowitzki sticht trotz hoher Sportler-Dichte an diesem Abend dennoch heraus – nicht nur aufgrund der schieren Größe. Nach der Pressekonferenz versuchen viele der anwesenden Journalisten, ein Selfie mit ihm zu machen, dem großen "Dirkules". Bei den meisten muss Nowitzki sich ziemlich nach unten krümmen – und bleibt dennoch gut gelaunt und höflich. Bis einer seiner Sicherheitsleute grimmig um sich blickt und den Superstar von der Bühne geleitet. Es geht zur Aftershow-Party mit den übrigen Preisträgern, Jury-Mitgliedern und Familien. Ein Shuttleservice-Fahrer erzählt am nächsten Tag, dass Nowitzki erst spät heimgegangen sei. Aber, so meint der Fahrer: "Award verpflichtet halt auch."