Im Juni 2022 erlebt der deutsche Tennisprofi Alexander Zverev den dunkelsten Moment seiner Karriere. Im Halbfinale der French Open in Paris gegen Rafael Nadal knickt der beste deutsche Tennisspieler übel um. Sieben Bänder reißen im Sprunggelenk. Die Verletzung ist so schwer, dass Zverez operiert werden muss. Vor der Entscheidung für eine OP plagen Zverev tiefe Zweifel: "Ich hatte so viel Angst, dass es für mich auf dem Niveau vorbei ist," erzählt er über den Moment in einer Dokumentation, die jetzt auf RTL+ abrufbar ist.
Was dieses Ereignis aus Sicht des Sportlers und seines Umfeldes besonders dramatisch machte, ist der Zeitpunkt. Der gebürtige Hamburger ist im Juni 2022 in bestechender Form. Gewinnt er Paris, hat er endlich den heiß ersehnten ersten Grand-Slam-Titel und steigt zur Nummer eins der Weltrangliste auf. Es wäre eine weitere Krönung seiner Karriere: Zweifacher Weltmeister und Olympiasieger ist er schon, aber der Sieg bei einem der vier großen Grand-Slam-Turniere fehlt ihm. Zverev bleibt bis in die Gegenwart "Der Unvollendete", wie RTL die Doku etwas pathetisch betitelt. Normalerweise werden Sportler oder Mannschaften so genannt, die den Zenit ihres Schaffens überschritten haben. Das kann man von Zverev, 25 Jahre alt, nicht behaupten. Er hat einen großen Teil seiner Karriere noch vor sich. Aktuell ist er auf Platz 15 der Weltrangliste abgerutscht, ist aber fit und spielt wieder Turniere.
Sein Ehrgeiz ist auch eine Gefahr
Für die Doku begleitete RTL den Tennisprofi mehrere Wochen auf den Stationen seiner Reha. Sie bilden die inhaltliche Klammer für ein Porträt, in dem Zverev ausführlich Einblick in sein Leben und seine Persönlichkeit gewährt. Es ist natürlich eine Heldengeschichte, aber nicht nur: Sie zeichnet das Bild eines Sportlers, der aus einer Tennisfamilie stammt und die immer noch das Zentrum seines Lebens bildet. Ohne Vater Alexander und Mutter Irina, selbst Tennisspieler, wäre "Sascha" nicht das geworden, was er ist. "Ich hab' schon Tennis gespielt, bevor ich laufen konnte", sagt Zverev über die Anfänge. Es gab nie etwas anderes im Leben von Zverev, auch wenn er als Kind mal Hockey und Fußball spielte.
Die Verletzung und der Kampf um das Comeback bestimmen die Gegenwart im vergangenen Sommer. In einer Szene will Zverev wie jeder andere Patient vom Arzt wissen, ob die OP notwendig sei und er wieder hundertprozentig fit werde ("Ja" und "Das kann niemand garantieren" lauten die Antworten). Mehrmals fragt er nach. Nach der OP muss er erst einmal eine Orthese tragen, eine Art Skischuh, um das lädierte Sprunggelenk zu schonen. Dann geht es nach Donaustauf in die Reha. Mit eiserner Disziplin zieht er sein Programm durch, er will so schnell wie möglich wieder auf den Tennisplatz zurückkehren. "Ich war immer sehr, sehr stolz auf meine Oberschenkel. Die existieren jetzt nicht mehr", sagt er einmal während einer Übung.
Zverev wird von einem unbändigen Ehrgeiz getrieben, auch das zeigt die Doku. Doch der unbedingte Wille, es sich und der Welt unbedingt zu zeigen, ist gleichzeitig eine Gefahr. Zum Davis Cup in seiner Heimatstadt Hamburg will er unbedingt wieder fit sein. Er liebt diesen Mannschaftswettbewerb, er findet in seiner Heimatstadt statt und er will der Welt beweisen, dass er wieder fit ist. Er trainiert und ignoriert gleichzeitig die zunehmenden Schmerzen im Fuß, bis es nicht mehr geht. Auf einer Presskonferenz muss er seinen Verzicht erklären. Im Sprunggelenk hat sich ein Ödem gebildet, Zverev wird im Jahr 2022 kein Turnier mehr bestreiten. Für ihn bedeutet das erneut einen Rückschlag. Er wollte zu früh zu viel.
Schwere Vorwürfe und Ausraster
Was Zverev antreibt, erfahren wir nicht nur von ihm. Zahlreiche Begleiter und Familienmitglieder geben vor der Kamera Auskunft: Mutter Irina, Bruder Mischa (der Vater wollte offenbar nicht vor die Kamera), Freundin Sophia Thomalla, Fitnesscoach Carlo Thränhardt (der ehemalige Hochspringer), Profi-Kollege Dominic Thieme und Tennis-Experten wie der Journalist Matthias Stach.
Sie lassen ein umfassendes Bild vom Menschen Zverev entstehen: Da sind die behütete Kindheit in Hamburg ("wunderschön") und die Hänseleien auf dem Sportgymnasium. Der Zuschauer erfährt von der Diabetes, an der Zverev seit seiner Kindheit leidet. Die Krankheit hält ihn aber nicht davon ab, sein Leben dem Tennis zu widmen. Seine Mutter, die als Tennislehrerin in Hamburg arbeitete, trainiert das talentierte Kind jeden Tag und bringt ihm die Grundlagen bei, während der Vater, ein ehemaliger Tennisprofi aus der Sowjetunion, den älteren Bruder Mischa auf Turniere begleitet. Die Familie war 1991 nach Deutschland gekommen. Freundin Sophia Thomalla plaudert über ihre Beziehung und lässt sich mit dem Freund am Strand von Monte Carlo filmen, wo die komplette Familie mittlerweile lebt. Als Zverev von seinem größten sportlichen Triumph berichtet, dem Gewinn der olympischen Goldmedaille 2021 in Tokio, steigen ihm Tränen in die Augen. Auf dem Weg zum Trumph hatte er Novak Djokovic im Halbfinale geschlagen, die damalige Nummer eins.
Die Doku berichtet genauso von dem Vorwurf der häuslichen Gewalt. 2020 hatte Ex-Freundin Olga Scharipowa behauptet, dass Zverev sie mehrfach während ihrer Beziehung misshandelt habe. Zverev stritt die Vorwürfe vehement ab. "Ich hab' gar nicht verstanden, was passiert", sagt er. Ein Gerichtsverfahren in Deutschland gewann er und die Tennisorganisation ATP stellte ihre Ermittlungen später ein. Dennoch wurde er die Vorwürfe lange nicht los. Schwerer für das zwiespältige Image, dass Zverez immer noch anhängt, wiegt, dass er früher einige Male auf dem Platz die Beherrschung verlor. Besonders drastisch war es bei einem Vorfall in Acapulco. Dort rastete er nach einer Niederlage im Doppel aus und schlug mit dem Tennisschläger auf den Sitz des Schiedsrichters ein. "Das ist der größte Fehler, den ich je machen werde wahrscheinlich", sagt Zverev heute. Freundin Thomalla berichte, dass er sich "unfassbar geschämt" habe. Auch das gehört zum Bild des "Unvollendeten", das RTL auf sehenswerte Weise nachzeichnet.
Die Dokumentation ist seit dem 18. März bei RTL+ abrufbar.
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