Angesichts stagnierender und übersättigter Märkte in Europa und Amerika gilt China vielen Managern als Wirtschaftswunderland. Nicht nur die Größe des Marktes lässt sie schwindelig werden, auch die straffe Führung loben sie. "Dort wird in drei Sekunden entschieden, worüber in Deutschland drei Wochen diskutiert wird", sagte Ulrich Schumacher, Ex-Chef des Chipherstellers Infineon. Sie hofieren eine Diktatur, die Menschenrechte mit Füßen tritt.
Als der bayerische Ministerpräsident Stoiber deutsche Unternehmer in China fragte, was er bei seinen Gesprächen in Peking für sie tun könne, setzte der Chef von Siemens China zu einem Klagelied an. Aber nicht über korrupte Beamte beschwerte er sich, nicht über Gerichte, die stets gegen Ausländer entscheiden, oder über den offenen Diebstahl von Technologie und Ideen, sondern über die deutsche Politik.
Doch wenn es um Exportsubventionen geht, rufen die Firmen, ganz sozialistisch, nach dem Staat. Die Transrapid-Strecke in Shanghai hat den deutschen Steuerzahler 100 Millionen Euro gekostet. Für 50 Millionen musste die Bundesregierung bayerischen Mittelständlern Patente für die Betonträger abkaufen und den Chinesen schenken. Weitere 50 Millionen erhielt das Transrapid-Konsortium. Weil die Magnetschwebebahn nur zu einem Viertel ausgelastet ist, sind Nachfolgeaufträge aber unwahrscheinlich. Es sei denn, Berlin finanziert eine neue Trasse und Siemens und Thyssen-Krupp händigen den Chinesen die kompletten Blaupausen aus.
Meisterhaft verstehen die es, Investoren ins Land zu locken, sich flugs deren Know-how anzueignen und sie dann vom Markt zu drängen. Vor fünf Jahren waren 80 Prozent aller verkauften Handys von Nokia, Motorola und Siemens. In Rekordzeit haben die Chinesen die Hälfte des Marktes erobert, auf dem 280 Millionen Handys verkauft worden sind.
Der Staat zwingt ausländische Firmen zum Technologietransfer. Nach einer Regierungsvorlage sollen 50 Prozent aller im Lande hergestellten Autos bis 2010 chinesisch sein - eine offene Kampfansage an VW, General Motors und Toyota, die mit anderen Ausländern bisher 90 Prozent des Marktes beherrschen.
In den nächsten sechs Jahren wollen ausländische Autobauer ihre Produktion in China auf 14 Millionen Fahrzeuge ausweiten. Bereits für 2005 rechnet das Beratungshaus Merrill Lynch mit einer Überkapazität von mehr als einer Million. Dann muss die Ausfuhr aus China angekurbelt werden. Volkswagen China, das bereits Polos nach Australien verkauft hat, will in 83 weitere Länder exportieren. Wie zuvor bei Fernsehern, Handys und Fahrrädern sind die Folgen klar: weltweit sinkende Preise, Entlassungen in den Stammwerken. Der vor kurzem zurückgetretene italienische Wirtschaftsminister Giulio Tremonti bezeichnet die EU-Politik gegenüber China schlicht als "selbstmörderisch". Siemens, das in China 30 000 Menschen beschäftigt, kündigte an, eine weitere Milliarde Euro zu investieren, BASF steckt zwei Milliarden in zwei Werke in Nanjing und Shanghai, Bayer macht 370 Millionen Euro locker.
Buchtipp
Joe Studwell: "The China Dream. The Elusive Quest for the Greatest Untapped Market on Earth", Grove Press, 13,95 Euro
Wie beim New-Economy-Boom reden fast alle nur von den Chancen, die China bietet. Die Manager vor Ort beeindrucken ihre Vorstände im fernen Westen mit imposanten Wachstumsraten. BMW verkaufte 2003 in China 130 Prozent mehr Autos als im Vorjahr. In absoluten Zahlen sind das 15.393 Fahrzeuge - weniger als in Bayern. Ausländische Banken und Versicherer haben jeweils rund 1,5 Milliarden Dollar im Land investiert und damit einen Marktanteil von gerade mal 1,5 Prozent erreicht. Sie schreiben tiefrote Zahlen. Der Kölner Gerling-Konzern gab entnervt auf.
Zudem sitzen die Banken in China auf einem gigantischen Berg fauler Kredite. Die Schätzungen gehen bis zu 500 Milliarden Dollar. Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist so groß, dass die Unruhen auf dem Land zunehmen. Laut Gini-Index, der soziale Unterschiede vergleicht, ist das kommunistische Land auf Platz 104 abgerutscht - zwei Plätze hinter Kirgisistan und einen vor El Salvador.
Chinas Wachstum ist überhitzt und auf Pump gebaut. Während die Rohstoffpreise steigen, China also immer teurer einkaufen muss, sinken aufgrund des Überangebotes die Preise, erst in China, dann im Export. Die Erlöse der Unternehmen sinken. Schon prophezeit der Londoner Finanzjournalist Joe Studwell*: "China wird für viele westliche Unternehmen das sein, was Vietnam für das amerikanische Militär war."