Zwischen Bund und Kommunen ist ein heftiger Streit über die Arbeitsfähigkeit von ehemaligen Sozialhilfe-Beziehern entbrannt. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement warf den Städten und Gemeinden vor, dem Bund massenweise arbeitsunfähige Sozialhilfe-Empfänger übergeben zu haben: "Wir sind von den Krankenkassen darauf hingewiesen worden, dass selbst Komakranke als arbeitsfähig erklärt wurden, oder auch Aids- und Suchtkranke." Der Deutsche Städte- und Gemeindebund wies die Vorwürfe nun zurück.
Bei der Diskussion geht es ums Geld: Sind ehemalige Sozialhilfeempfänger erwerbsfähig, fallen sie unter ALG II und werden damit vom Bund finanziert. Sind sie nicht erwerbsfähig, müssen die Kommunen für sie Sozialgeld zahlen.
"Zugang von Personen, die nicht erwerbsfähig sind"
Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte den "Zugang von Personen, die nicht erwerbsfähig sind". Genaue Zahlenangaben seien aber zunächst nicht möglich, sagte Sprecherin Angelika Müller. Eine systematische und abschließende Bearbeitung aller Arbeitslosengeld-II-Empfänger werde erst Ende Juni abgeschlossen sein.
Clement wundert sich laut "Financial Times Deutschland" (FTD) über die Einstufung von bisherigen Sozialhilfe-Empfängern für das neue Arbeitslosengeld: "Wir sind schon erstaunt über die vielen Menschen, die dem Bund zum Hartz-IV-Start von den Kommunen zugewiesen wurden. Das geschah teilweise wildwüchsig." Laut Bundesagentur werden jetzt nach und nach die ehemaligen Sozialhilfe- und neuen ALG-II-Empfänger zu Gesprächen eingeladen. Zur Klärung der Erwerbsfähigkeit könne auch der ärztliche Dienst eingeschaltet werden.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sagte, dass die Regelung, wonach eine Person dann als erwerbsfähig gilt, wenn sie mindestens drei Stunden täglich arbeiten kann, auf ausdrücklichen Wunsch der Kommunen in das Gesetz aufgenommen worden sei, "um gerade Verschiebebahnhöfe zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II zu vermeiden". Die jetzt genannten Zahlen zeigten drastisch die Realitäten am Arbeitsmarkt.
Sehr drastische Realitäten hatte auch die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) gemeldet: Dem Bundeshaushalt drohe wegen Hartz IV ein neues Loch von rund 6,4 Milliarden Euro. Hochgerechnet auf das ganze Jahr ergäbe sich eine zusätzliche Summe von 22 Milliarden Euro, also 7,4 Milliarden mehr als die vom Bund veranschlagten 14,6 Milliarden Euro. Weil der Bund bei den Kosten für Unterkunft und Heizung hochgerechnet eine Milliarde Euro sparen könnte, geht das Blatt von Mehrkosten von maximal insgesamt 6,4 Milliarden Euro aus.
Zahlen aus der Luft gegriffen
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß weist den Bericht aber zurück. "Die Zahlen sind aus der Luft gegriffen", sagte Poß am Reuters TV. Es handele sich um eine Hochrechnung des Status quo vom Januar. "Das wird sich im Laufe des Jahres ändern." Zusätzliche Belastungen für die Bundeskasse schloss der Haushalts- und Finanzexperte nicht aus. Diese würden aber unter dem berichteten Wert von 6,4 Milliarden Euro liegen: "Es wird zu anderen Größenordnungen kommen."
Rückendeckung erhält Poß vom Bundesfinanzministerium. Ein Sprecher sagte, der Bund habe im Januar rund 0,6 Milliarden Euro mehr ausgegeben als veranschlagt. Alle weiteren Schlüsse, die die die "SZ" aus den Zahlen gezogen habe, wies der Sprecher aber als "hoch spekulativ" zurück. Bei der Bundesagentur war zunächst nicht bekannt, wie viel ALG II im Januar und wie viele Vorschüsse auf den Februar schon im Januar gezahlt wurden.
Bis Jahresmitte Klarheit schaffen
Zu den neu gemeldeten ALG-II-Empfängern sagte Poß, dass "einzelne Kommunen" Mitverantwortung tragen würden. "Es gab sicherlich großzügige Auslegung der Kommunen in der Frage, wer denn erwerbsfähig ist und darüber wird man sich sicherlich in den Streitfällen in den nächsten Wochen und Monaten verständigen können." Zugleich zeigte er sich zuversichtlich, die Anlaufschwierigkeiten der Reform innerhalb der nächsten Monate in den Griff zu bekommen. Bei einer komplexen Organisationsreform sei es schwierig, sofort alles stimmig zu gestalten: "Aber ich bin ganz sicher, dass wir bis Jahresmitte Klarheit auch in den Streitfällen haben werden."