Wer mich kennt, kennt mich mit einem Mikrofon. Zu später Stunde auf Firmenfeiern schmetterte ich immer voller Inbrunst "Hello again" von Howard Carpendale, der seit gefühlten 50 Jahren auf Abschiedstournee ist. In seinem bekannten Hit gibt es eine Textpassage, an die ich in den letzten Tagen oft denken musste:
"Ein Jahr lang war ich ohne dich
Ich brauchte diese Zeit für mich
Kann sein, dass ich ein andrer bin
Als der der damals von dir ging"
Wahnsinn: Fast ein ganzes Jahr lang habe ich gebraucht, um meine stern-Stimme wieder erklingen zu lassen. Ab dem 24. Februar 2022 hing ich mit meiner Frau lange Zeit nahezu ununterbrochen vor den News-Kanälen im Fernsehen, folgte allen Push-Nachrichten in den Sozialen Netzwerken, der unerschrockene Paul Ronzheimer, der täglich aus der Ukraine vor Ort berichtete, gehörte quasi zur Familie.
Je mehr Bilder und Informationen aus dem Krisengebiet wir aufsaugten, umso schlechter ging es uns. Die Kinder fragten beim Abendessen nicht mehr wie früher, was am Wochenende auf dem Ausflugsplan stand, sondern was passiert, wenn Putin eine Atombombe zünden würde. Ein Thema, das in unserer heilen Familienwelt bislang nie vorkam. Die nukleare Bedrohung war schließlich auch für mich und meine im europäischen Frieden aufgewachsene Boomer-Generation eher ein Relikt aus alten James-Bond-Filmen. Der britische Edel-Agent schaffte es am Ende sowieso immer, die Welt vor irgendwelchen Bösewichten und ihren Vernichtungswaffen zu retten. Aber wo war James Bond jetzt in der realen Welt, wo man ihn doch so händeringend brauchte?
Frank Behrendt: Der Guru der Gelassenheit
Frank Behrendt (Jahrgang 1963) gehört zu den bekanntesten Kommunikationsberatern Deutschlands. Der Absolvent der Deutschen Journalistenschule war Top-Manager in der Musikindustrie, beim Fernsehen und in großen Agenturen. Sein Buch "Liebe dein Leben und NICHT deinen Job" avancierte direkt nach Veröffentlichung zum Wirtschafts-Bestseller. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft zeichnete den Mann, der immer gute Laune hat, als "PR-Kopf des Jahres" aus. Weitere Infos: www.frankzdeluxe.de Direkter Dialog: frankzdeluxe@gmail.com
Meine Mutter rief oft an und fühlte sich in Anbetracht von kilometerlangen Militärkonvois, die auf die ukrainische Metropole Kiew zurollten, an dunkelste Weltkriegsbilder erinnert. Wenn sie die Sirenen in den Beiträgen des Heute-Journals hörte, hielt sie sich die Ohren zu. Meine jüngste Tochter berichtete von neuen geflüchteten ukrainischen Mitschülerinnen, die mitten im Unterricht anfingen zu weinen. "Was kann man denen sagen, damit sie nicht mehr traurig sind?", fragte meine Kleine. Ich hatte keine Antwort. Wie auf so vieles nicht.
Ich grübelte immer mehr, mein Lachen wurde gequälter. Es war eine bleierne Zeit. Der einst lebensbejahende und heitere "Guru der Gelassenheit" war zu einem Trauerkloß mutiert. Ich versuchte dagegen anzukämpfen. Ein hilfreicher Therapiefreund wurde unser Hund. "Fee", die kleine französische Bulldogge, die seit sieben Jahren unser Familienleben bereichert und ihrem Rudel in unendlicher Liebe verbunden ist, stupste mich immer wieder an. So als ob sie sagen wollte: "Komm trauriger Mensch, lass uns rausgehen und in der schönen Natur Spaß haben."
Den Kopf freikriegen
Das Friedenswäldchen – die grüne Oase im Kölner Süden heißt wirklich so – wurde unser magischer Happiness-Comeback-Ort. Der Hund tollte umher, die Sonne wärmte uns und wir kamen mit vielen Menschen ins Gespräch. Ich stellte fest, dass ich mit meinen schweren Gedanken nicht alleine war. Der Austausch tat gut und jede Hunderunde war ein Stück zurück auf dem Weg zum verschütteten persönlichen Lebensglück.
Meine Frau und ich begannen, das News-Trommelfeuer zu reduzieren. Manchmal schauten wir gar keine Nachrichten mehr, sondern spielten lieber Brettspiele mit den Kindern. Ihr Lachen war Musik, ihre Freude Energie. Wir schauten nur noch Serien, in denen es positive Spins gab. Krimis verschwanden aus unserer Watchlist. Wenn in einem Land unweit unserer Heimat echte Menschen starben, konnten wir es nicht mehr ertragen, fiktionale Tote in Tatort-Episoden oder Freitagskrimis zu sehen.
Der News-Entzug tat gut. Wir fuhren an schöne Orte, "einfach mal raus, den Kopf freikriegen", wie es meine weise Mutter immer so schön sagt. Ich fertigte Fotobücher mit den schönsten Highlights unseres zuvor immer so heiteren Familienlebens an. Wir hörten gemeinsam die Lieblings-Hörspiele aus Kindertagen und sangen aus vollem Hals die Erkennungsmelodien mit:
"Wir sind die fünf Freunde,
Julian und Dick, Anne und George und Timmy, der Hund,
Wir sind die besten Freunde, ja!
Wir halten dichte zusammen,
Was immer auch kommt,
Wenn's spannend wird,
Dann sind wir dabei!
Julian, Dick, Anne und George
Und Timmy, der Hund, ja!"
Immer wenn die Stelle "und Timmy, der Hund" im Refrain kam, bellte unserer. Ein köstlicher Spaß. Ich übte extra den Titelsong der Bibi-Blocksberg-Hörspiele auf dem Klavier und beeindruckte damit meine Tochter. Und abends schlief ich mit einer Folge der drei Fragezeichen ein. Justus, Peter und Bob mit ihren Abenteuern auf einem Schrottplatz in Rocky Beach zu folgen war allemal beruhigender, als Wladimir Putins neuesten Irrsinnparolen zuzuhören. Mein Learning: Oft hilft eine Reise zurück, um die Gegenwart besser zu ertragen und ein mentales Fundament für die Zukunft zu bauen.
Die Zuversicht ist zurück
Inzwischen bin ich wieder der "Alte". Frohgelaunt und mit zuversichtlichem Blick nach vorne. Das Glas ist jetzt nie mehr halb leer, selbst wenn nur ein winziger kleiner Tropfen drin ist, ist es für mich wieder voll. Trotzdem blende ich nicht die Realitäten aus, denn es ist wirklich schlimm, dass der Krieg immer noch andauert.
Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Es gab Krisen, es gibt sie und es wird sie immer geben. Aber das Leben muss weitergehen und geht weiter. Und es gibt immer noch - und immer wieder - wunderbare positive Momente, die unsere Welt liebens- und lebenswert machen.
Meine Mutter schickte mir als Inspiration ein altes Buch aus dem Bücherschrank meines verstorbenen Vaters: "Legenden um Martin Luther und andere Geschichten aus Wittenberg" heißt es und wurde von Volkmar Joestel geschrieben. Er berichtet auch über den legendären Satz, den Luther einst gesagt haben soll: "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."
Dieser Spruch, so der Autor, lässt sich Luther nicht belegbar nachweisen. Wahrscheinlich wurde er dem Reformator in der schwierigen, zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankenden Situation nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mund gelegt, vermutet Joestel. Egal. Er ist immer noch gut und der Inbegriff von Zuversicht.
Ich habe deshalb auch einen Baum gepflanzt. Keinen Apfelbaum, aber ein Olivenbäumchen. Möge es wachsen und gedeihen und noch meine Enkel erfreuen.