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Wissenschaftlerin Ina Körner "Küchenabfall landet im Restmüll und wird verbrannt - das muss sich ändern"

Ina Körner
All das könnte weiterverarbeitet werden: Wissenschaftlerin Ina Körner beschäftigt sich mit den verschiedensten organischen Abfällen.
© Lars Berg/stern
Kartoffelschalen, Kaffeefilter und welker Salat - all das könnte weiterverarbeitet werden, doch das meiste landet im Müll. Eine gigantische Verschwendung, findet die Wissenschaftlerin Ina Körner. Sie sieht im Biomüll eine Ressource und hat konkrete Wünsche an die Verbraucher.

Deutschland sitzt auf einem Schatz: Kartoffelschalen, welker Salat, Kaffeefilter. All das könnte weiterverarbeitet werden, zu wertvollem Kompost oder Biogas. Doch immer noch landet davon das meiste im Restmüll. Die Wissenschaftlerin Ina Körner, 51, will das ändern. Die Verfahrenstechnikerin forscht an der Technischen Universität Hamburg am Institut für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz zu Bioressourcen. Davor befasste sie sich bereits mit verschiedensten organischen Abfällen, von Lebensmittelresten über Hühnermist bis zu Toilettenabwasser, "also mit allem, womit sich eigentlich niemand beschäftigen mag." Der stern sprach mit ihr über Chancen und Wege zu einer besseren Verwertung von Küchenabfällen.

Frau Körner, haben wir ein falsches Bild vom Biomüll?

Sagen wir es so: Wir erkennen sein Potenzial nicht. Ich selbst habe mir ja den Begriff "Müll" abgewöhnt. Das klingt so abwertend. Besser finde ich "Bioabfall", noch besser aber ist "Bioressource", denn es gibt ein beachtliches Verwertungspotenzial.

Haben wir denn so viel davon, dass man etwas damit anstellen kann?

Ja. Es gibt die gesetzliche Verpflichtung getrennt zu sammeln. Seit 2010 hat sich in Hamburg die mit Biotonnen eingesammelte Bioabfallmenge mehr als verdoppelt. Mehr als 80 Prozent der Hamburger Haushalte haben heute eine Biotonne. Darin landen aber vor allem Gartenabfälle – Gras, Laub, Zweige. Der meiste Küchenabfall landet im Restmüll und wird verbrannt. Nur ein kleiner Küchenabfall-Rest, in unseren Untersuchungen waren es zwischen zwei bis 18 Prozent, wird verwertet – zu Biogas und Kompost. Das ist zu wenig, das muss sich ändern.

Was könnte der Grund dafür sein?

Es liegt wohl daran, dass die Biotonne in Hamburg nur alle zwei Wochen entleert wird und die Leute den Bioabfall schneller loswerden wollen. Mit der Zeit stinkt er zunehmend und ist für viele ein bisschen eklig. Die Bioabfalltonne steht zudem häufig auch im Garten. Da ist es praktischer, den Küchenabfall in die Restmülltonne zu werfen, weil die öfter geleert wird oder leichter zugänglich aufgestellt ist.

Ina Körner, 51, ist Dozentin am Institut für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg. Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Expertin, die in Holz- und Faserwerkstofftechnik sowie Biotechnologie promovierte, unter anderem mit der Kompostierung und Vergärung von Bioabfällen und ist an mehreren internationalen Forschungsprojekten beteiligt.
Ina Körner, 51, ist Dozentin am Institut für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg. Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Expertin, die in Holz- und Faserwerkstofftechnik sowie Biotechnologie promovierte, unter anderem mit der Kompostierung und Vergärung von Bioabfällen und ist an mehreren internationalen Forschungsprojekten beteiligt.
© Lars Berg/stern

Dann ist die Biotonne eigentlich kein geeignetes Instrument, um Küchenabfälle zu sammeln.

Genau hier setzen unsere Überlegungen an. Für neue Stadtviertel, die noch gebaut werden, könnte man von vornherein in die Küchenspüle einen kleinen Schredder, also einen "food waste disposer", einbauen. Das ist sehr praktisch. Während des Kochens kann man seine Abfälle dann in diesen Disposer geben. Der zerkleinert die Reste zu einem schlammigen Substrat, das dann in einer dezentralen Vergärungsanlage verwertet werden sollte. Am praktischsten wäre es, wenn der Disposer gemeinsam mit der Toilette an ein Vakuumsystem angeschlossen und das Gemisch direkt in die Vergärungsanlage geleitet würde. Es gäbe dann in der Familie keinen Streit mehr darüber, wer den Bioabfall nach draußen bringen muss.

Gibt es solche Anlagen schon?

Solch ein Toilettensystem ist im Projekt "Jenfelder Au" im Stadtteil Wandsbek geplant. Im ehemaligen Kasernenviertel baut Hamburg-Wasser eine dezentrale Abwasserbehandlungsanlage im Wohnviertel. Das Besondere daran ist auch, dass die Wohnungen Vakuum-Toiletten bekommen – wie in Flugzeugen. Die brauchen mit einem Liter pro Benutzung viel weniger Wasser als eine normale Toilette, die fünf bis sechs Liter verbrauchen kann. Solche Vakuumtoiletten werden übrigens seit langem in einem Wohnviertel in Lübeck genutzt.

Frau mit einer Darstellung der fünf Prinzipien des Zero Waste

Was geschieht mit dem Toilettenabwasser?

Das aus der Jenfelder Au ist konzentrierter als herkömmliches Schwarzwasser und soll dann in der dezentralen Abwasserbehandlungsanlage zur Erzeugung von Biogas verwendet werden. Wir haben im Vorfeld des Baues ein Forschungsprojekt durchgeführt und dabei untersucht, mit welchen zusätzlichen, lokal entstehenden Reststoffen man das Schwarzwasser gemeinsam vergären könnte. Küchenabfälle wären sehr gut geeignet und die Kopplung mit Disposern war in den ersten Bau-Planungen auch enthalten. Technisch wäre es möglich gewesen, aber aufgrund der Zuständigkeiten war es nicht realisierbar. Letztendlich hat man sich für Fettabscheiderrückstände aus Großküchen als Co-Substrat für die erste Betriebsphase entschieden.

Mehr zum Thema finden Sie im stern Nr. 16
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Auch nicht schlecht.

Ein erster Schritt - mit Verbesserungspotenzial. Unsere Untersuchungen zeigten, dass zu große Mengen zu Problemen bei der Vergärung führen können. Lokal ist auch nicht ausreichend Fettwasser vorhanden. Eine Alternative neben den Küchenabfällen wäre auch Rasenschnitt aus der Umgebung.

Wie wertvoll ist Bioabfall für unsere Gesellschaft?

Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Für den Bürger nicht sehr, der ihn ja loswerden möchte. Den Abfallunternehmen kostet es viel Geld den Bioabfall zu sammeln und umweltverträglich zu behandeln. Der Bürger bezahlt meist Bioabfallgebühren, durch die solche Kosten aber nur begrenzt abgedeckt werden. Eine zusätzliche Erzeugung von Wertstoffen wie Biogas ist deshalb wünschenswert, reicht aber auch nicht, um ein Geschäft zu machen. Deshalb ist der beste Abfall immer noch der, der gar nicht erst produziert wird.

Sehen Sie hier, was mit Ihrem Bioabfall in einem Biogas- und Kompostwerk passiert:

Gelber Bagger in Biogasanlage mit Biomüll auf der Schaufel

Wie stehen unsere Chancen?

Wir haben zuletzt in Lübeck Sortierungen vorgenommen und eine sehr große Menge an vermeidbaren Lebensmittelabfällen festgestellt. In der Biotonne waren etwa 40 Prozent der Lebensmittelabfälle vermeidbar. In der Restmülltonne, die ja den Hauptanteil der Lebensmittelabfälle enthält, waren es sogar nahezu 80 Prozent. Vermeidbare Abfälle sind zum Beispiel ganze Äpfel oder "unausgepackte" Lebensmittel.

Was wünschen Sie sich von den Verbrauchern?

Ich wünsche mir, dass nicht mehr so viele Lebensmittel weggeworfen werden. Wichtig ist, dass die Bürger Teil einer Kreislaufwirtschaft werden. Häufig weiß man heute nicht, wie ein Lebensmittel hergestellt wird, uwoher es kommt und wie viele Ressourcen – Land, Wasser, Nährstoffe, Energie – zur Herstellung nötig waren. Und auch nicht, was mit dem eigenen Abfall passiert. Ich denke, wenn das Bewusstsein und Informationen dazu größer wären, würden viele sensibler einkaufen und Lebensmittel auch mehr zu schätzen wissen.

Wie schafft man dieses Bewusstsein?

Zunächst brauchen wir eine bessere Datenlage, damit man situationsbedingt einschätzen kann, was wann und wo und unter welchen Umständen weggeworfen wird. Um die Bürgernähe herzustellen sind dezentrale Konzepte wichtig: also kleinräumig sammeln und die Leute mehr einbinden. Das Sammelsystem sollte ermöglichen, dass jeder Haushalt weiß, wie viel Müll er produziert und wie er im Vergleich mit dem Durchschnitt abschneidet. Für ein Stadtviertel sollte regelmäßig bekannt werden, welchen Wert die weggeworfenen Lebensmittel besitzen und welche unnötige Umweltbelastung dadurch entstanden ist.

Und die Biotonnen vielleicht nicht mehr in den Garten stellen.

Ich kann mir auch bedarfsgerechtere und bequemere Einsammelsysteme vorstellen. So sind heute im Winter viele Biotonnen halbleer, im Sommer dagegen übervoll. Um das zu ändern, sollte man neue Konzepte ausprobieren. 

Sollte nicht auch von vornherein eine Trennung von Küchenabfällen und Gartenschnitt vorgenommen werden?

Das wäre sehr sinnvoll. Küchenabfälle haben eine ganz andere chemische Zusammensetzung als die vom Garten. Für die Biogaserzeugung sind Küchenabfälle prima und Rasenschnitt geht auch ganz gut, aber holziger Abfall  – also Zweige und Äste – sind nicht vergärbar. Grünen und weichen Gartenabfall wie Rasen- und Blumenschnitt könnte man bedarfsgerecht in einem Sack aus Altpapier einsammeln, das Laub im Herbst auch.

Äste und Rinden dagegen …

… sind meist sowieso zu sperrig und passen schlecht in die Biotonne. Ich stelle mir optimalerweise einen Abholdienst vor, zum Beispiel im Februar oder März, wenn Büsche beschnitten werden. Ab April sollte damit aufgrund des Vogelschutzes ohnehin aufgehört werden. Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts hat die Stadtreinigung Hamburg auch schon mal einen Häckseldienst getestet. Die Bürger konnten ihren Ast- und Zweigschnitt an festgelegten Terminen zum Abholen bereitstellen. Das wurde auch gut angenommen. Der verbleibende Küchenabfall könnte dann platzsparend in kleinen Gefäßen gesammelt werden – oder in dicht besiedelten Gebieten über die bereits erwähnten Küchenabfallzerkleinerer.

Ist das denn auch umsetzbar?

Nicht für jede Gegend ist es praktikabel. Und das Ganze kostet Geld. Demgegenüber steht ein großes Potenzial.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten oder andere Verwertungsverfahren außer Biogas?

Im Rahmen von Bioraffinerieprozessen kann man organische Stoffe wie Küchenabfälle oder holzige Abfälle in die Grundbestandteile zerlegen, etwa in Zucker, Fette und Proteine, beziehungsweise in Cellulose, Hemicellulosen und Lignin. Diese Komponenten kann man dann vielfältig verwerten. Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam erzeugten zum Beispiel aus den Zuckern in Lebensmittelabfällen Milchsäure. Aus der kann man dann einen Biokunststoff herstellen. Übrigens beginnen wir in Kürze gemeinsam mit Partnern aus Frankreich, Belgien, Finnland und Deutschland ein neues Verbundprojekt, bei dem neue Verwertungsverfahren für holzige Abfälle untersucht werden sollen.

Ist Bioabfall eine lokale oder eine globale Sache?

Beides. Lokal bezüglich der Erfassung. Global beim Bedarf an Produkten aus Bioabfällen. Wenn man sich bestimmte Regionen der Welt anschaut, sieht man, dass der Boden mehr und mehr verarmt: in Afrika, wo sich Wüsten ausbreiten; in Spanien, wo riesige Landstriche kaum bewachsen sind. Aber auch bei uns ist das Problem der Bodenverarmung präsent. Humus ist sehr wichtig zum Bodenerhalt und zur Verbesserung bereits verarmter Flächen. Der ist im Kompost enthalten. Und ihn kann man aus Bioabfällen produzieren.

Also sollten wir mehr Bioabfall produzieren?

Nein, wir brauchen nicht mehr, sondern müssen den vorhandenen Bioabfall besser nutzen. Durch die Entsorgung riesiger Mengen an Lebensmittelabfällen über den Restmüll geht heute viel verloren. Eine grobe Kalkulation ergab, dass in Hamburg jährlich Lebensmittel im Wert von mehr als 100 Millionen Euro weggeworfen werden. Das Geld sollte man besser für Maßnahmen zum Erhalt unserer Umwelt ausgeben.

Was machen Sie mit Ihrem eigenen Biomüll?

Ich hatte mal einen Komposthaufen, den ich mehrere Jahre enthusiastisch betrieben habe. Dann tat vom Umschaufeln der großen Gartenabfallmengen der Rücken weh und ich hatte auch weniger Zeit. Die Stadtreinigung führte dann die Biotonne ein. Zuerst hatte ich eine kleine 120-Liter-Tonne, jetzt habe ich eine große mit 240 Liter Fassungsvermögen, weil mein Garten wächst und gedeiht. In meiner Biotonne landen auch die Küchenabfälle, die ich in der Küche in einem kleinen Eimer sammle. Einen eigenen Komposthaufen habe ich nicht mehr, aber ich kaufe regelmäßig Kompost beim Recyclinghof. Dieser hat auch eine bessere Qualität als mein eigener früher.

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