Energiekrise An Putins Tropf: So kommt Deutschland vom russischen Gas los

Flüssiggas per Schiff ist eine Alternative zum Pipeline-Gas, dieser LNG-Tanker kommt allerdings aus Russland
Flüssiggas per Schiff ist eine Alternative zum Pipeline-Gas, dieser LNG-Tanker kommt allerdings aus Russland
© Sergei Krasnoukhov/ / Picture Alliance
Die Ukraine-Krise führt Deutschland vor Augen, wie gefährlich es ist, von russischem Gas abhängig zu sein. Aber was sind die Alternativen – nicht nur für diesen Winter?

Angesichts der aktuellen Ereignisse wirkt es fast schon surreal, dass die deutsche Politik noch vor sehr Kurzem den Plan verfolgt hat, die Abhängigkeit von russischem Gas weiter zu zementieren. Mit einer schönen neuen Pipeline made by Gazprom. Nun hat Bundeskanzler Olaf Scholz Nord Stream 2 offiziell gestoppt. Die Pipeline ist zwar fertig, wird aber bis auf Weiteres nicht in Betrieb gehen.

Denn spätestens seit Putins Ankündigung, in die Ukraine einzumarschieren, ist auch den größten deutschen Nord-Stream-Fans klar, dass Russland kein verlässlicher Energiepartner ist. Sondern ein politischer Gegner, der im Zweifel auch nicht davor zurückschrecken wird, Gaslieferungen als Druckmittel einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen.

Das bringt Deutschland in eine schwierige Lage, denn auch ganz unabhängig von Nord Stream 2 hat sich die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren von russischem Gas abhängig gemacht. 20 Millionen Haushalte heizen hierzulande mit Gas, die Industrie benötigt es ebenfalls und bei der Stromerzeugung, wo Gas derzeit etwa zehn Prozent ausmacht, ist der Rohstoff eigentlich auf Jahre fest als Brückentechnologie für wegfallenden Atom- und Kohlestrom eingeplant. Unterm Strich entfällt auf Erdgas derzeit etwa ein Viertel des deutschen Primärenergiebedarfs. Und Russland liefert davon mehr als die Hälfte. 

Putin sitzt am Gashahn

Doch nun bangt Deutschland, ob Putin den Gashahn im Sanktions-Schlagabtausch vielleicht sogar ganz zudreht. Diplomatische Bedenken dürfte Putin angesichts der ohnehin eskalierten Situation wenige haben. Abhalten dürfte ihn einzig die Sorge um das eigene Staatssäckel, denn Gas ist auch für Russland der wichtigste Exportschlager und Deutschland der größte Kunde.

Die meisten Experten halten es eher für unwahrscheinlich, dass Putin Deutschland komplett auf kalten Entzug setzt, die Lage ist aber unsicher. "Sollte weniger Gas geliefert werden, kann dies Deutschland durchaus ausgleichen. Sollten die gesamten fossilen Energie-Bezüge gestoppt werden, wird es erhebliche Anstrengungen bedürfen, dies entsprechend zu kompensieren", sagt Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). 

Was kann Deutschland tun?

Kurzfristig müssen die Deutschen – so hilflos das auch klingt – vor allem auf ein schnelles Ende des Winters und der Heizperiode hoffen. Denn der Konflikt mit Russland trifft die deutsche Energieversorgung unvorbereitet. Die deutschen Gasspeicher sind derzeit nur zu rund 30 Prozent gefüllt und damit deutlich leerer als üblich um diese Jahreszeit. Das liegt vor allem daran, dass der russische Staatskonzern Gazprom schon 2021 weit weniger Gas geliefert hat als in den Vorjahren, sodass die Speicherstände im Sommer nur unzureichend gefüllt werden konnten.

Laut einer Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2015, auf die das Institut der deutschen Wirtschaft verweist, ist aber im Februar ein Speicherstand von mindestens 60 Prozent erforderlich, um auch nur einen Monat lang ohne russisches Gas auszukommen, bevor Versorgungsengpässe entstehen. Das klingt dramatisch. Zumal die anderen beiden großen Erdgas-Lieferanten, Norwegen und Niederlande, signalisiert haben, dass sie Deutschland nicht mehr liefern können, die Niederländer perspektivisch sogar weniger bis gar nichts mehr. 

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Wladimir Putin wandte sich in einer rund einstündigen Rede im Staatsfernsehen an sein Volk
© Alexey Nikolsky/Sputnik/ / AFP
Hat Putin mit seiner Rede die Welt neu geordnet? stern-Expertin zur Strategie Russlands

Hoffnung auf mehr Flüssiggas

Die Hoffnung, dass wir in diesem Winter nicht doch noch unverhofft im Kalten sitzen, beruht vor allem auf einem Trend, der in der damaligen Studie noch nicht berücksichtigt wurde: dem stark gewachsenen Angebot an Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG). In verflüssigter Form kann Erdgas nämlich auch per Schiff transportiert werden und so den Ausfall von Pipeline-Gas kompensieren. Zwar liefert auch Russland LNG, doch der größte Exporteur der Welt sind die USA.

Die LNG-Lieferungen der Amerikaner nach Europa sind zuletzt stark gestiegen, auch wenn LNG prinzipiell teurer ist als der gewohnte Pipelinestoff. Deutschland verfügt zwar selbst über keinen einzigen Hafen zur Entladung von LNG, aber in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern gibt es welche. "Es gibt ausreichend Flüssiggas-Terminals in Europa, auf die auch Deutschland zugreifen kann", sagt DIW-Ökonomin Kemfert. Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass man zur Not selbst ganz ohne weitere russische Gaslieferungen über den Winter kommen würde. 

Eine strategische Gasreserve

Aber wie geht es dann weiter? Die Frage nach der Gas-Abhängigkeit von Russland wird sich wohl kaum über den Sommer erledigen, sondern schon im kommenden Herbst erneut stellen. Das Institut der deutschen Wirtschaft nennt in einem aktuellen Gutachten einige Lösungsansätze. Zum einen muss die Politik sicherstellen, dass die Gasdepots künftig vor den Wintermonaten ausreichend gefüllt sind. Zudem könnte eine strategische Gasreserve, wie es sie auch beim Öl gibt, für akute Krisen vorgehalten werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat bereits angedeutet, entsprechende gesetzliche Speicherverpflichtungen auf den Weg bringen zu wollen. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wo das Gas herkommen soll.

Die IW-Autoren sehen das Flüssiggas LNG auch in den kommenden Jahren als wichtige alternative Gasquelle. Da Norwegen nicht wesentlich mehr Pipelinegas liefern kann und die Niederländer ihre Gasförderung wegen der Erdbebengefahr sogar beenden wollen, bleiben die LNG-Tanker als Alternative zu den russischen Pipelines. Neben den USA zählen Katar und Australien zu den größten LNG-Produzenten der Welt. Allerdings könnte Flüssiggas nur schwerlich die kompletten Gasmengen ersetzen, die Deutschland aus Russland bezieht. Denn der Rohstoff ist auch anderswo in der Welt stark gefragt, etwa in China, und die Kapazitäten kommen dem Bedarf kaum hinterher.

Langfristlösung Erneuerbare Energien

LNG-Produzent Shell warnt bereits, dass Flüssiggas aufgrund steigender Nachfrage in den kommenden Jahren zunehmend knapp werden wird. Auch der belgische Thinktank Bruegel hält fest, dass die europäischen LNG-Terminals zwar reichlich freie Kapazitäten hätten, aber fraglich ist, wieviel man bekommen kann. Die Verflüssiger produzierten bereits auf Hochtouren und hätten meist langfristige Verträge mit Abnehmern in Asien abgeschlossen.

Da tut es gut, sich zu erinnern, dass Deutschland im Zuge der Energiewende aus dem fossilen Gas ja ganz aussteigen will. Spätestens 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein will, darf es auch kein russisches Gas mehr nutzen. Langfristig helfe vor allem der Ausbau Erneuerbarer Energien, um die Abhängigkeit von russischen Gasimporten zu reduzieren, heißt es in dem Gutachten der IW-Ökonomen. Dem stimmt auch Wirtschaftswissenschaftlerin Kemfert zu: "Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien und deutlichem Energiesparen."