Fast jeder kennt diese Geschichten. »Die, die dir das Arbeitsamt schicken, kannste gleich vergessen«, berichtet ein kleiner Mittelständler aus Nordbayern. Nur wer überhaupt keine Eigeninitiative hat, verlässt sich noch auf Hilfe der Behörde. Die Arbeitssuchenden sehen das ähnlich. Einmal hätte er sich beim Arbeitsamt um eine Stelle bemüht, erzählt ein Journalist. Bis er ein halbes Jahr später auf eigene Kappe etwas Neues fand, hörte er vom Sachbearbeiter nichts mehr. Die Erfahrung reicht fürs ganze Leben.
Frühes Ende für Jagoda?
Doch trotz dieser Alltagslästereien schlug der Bericht des Bundesrechnungshofs mit schweren Vorwürfen an die Arbeitsämter vergangene Woche ein wie eine Bombe. Die Vermittlungsstatistik ist nicht nur schlecht, sie ist noch schlechter als behauptet, vermuten die Kontrolleure. Die Nachbeben der Affäre könnten den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, diese Woche vom Sessel heben, obwohl er als Beamter auf Zeit noch für vier Jahre in sein Amt bestellt ist. Wie es mit seiner 93.000 Mitarbeiter starken Behörde weiter geht, scheint ebenfalls offen.
Bisher nur dunkle Andeutungen
Schon wenige Tage vor Veröffentlichung des Rechnungshofsbericht, wonach Arbeitsämter nicht wie behauptet jeden zweiten, sondern nur jeden fünften Jobsuchenden vermitteln, hatte Arbeitsminister Walter Riester dunkle Andeutungen gemacht. Zu dem Zeitpunkt kannte er wohl bereits die Vorwürfe eines Mitarbeiters des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland, dass geschönte Statistiken bereits 1998 auffielen, Jagoda aber nichts unternommen hat.
Job-Aqtiv-Gesetz
Er wolle mehr Druck auf die Arbeitsverwaltung ausüben, innovative Strategien fördern, sagte Riester Ende Januar ein wenig vage. Das Job-Aqtiv-Gesetz, nach dem Arbeitssuchende nach sechs Monaten private Vermittler einschalten dürfen, ist ein erster Schritt. Jetzt, da die Welle der Empörung und die Rücktrittsforderungen auch Riester erreichen, wird in seinem Haus betont, dass der Minister die »Strategie Druck« schon lange und systematisch verfolgt. Neues wie das Jugendprogramm JUMP oder das Job-Aqtiv-Gesetz seien den Arbeitsämtern aufgedrückt worden, ohne neues Geld ins System zu speisen.
Konkurrenz durch private Vermittler
Riester selbst hat in der laufenden Debatte - in der es auch um seine Selbstverteidigung und um Schadensbegrenzung einer angeschlagenen Bundesregierung geht - demonstrativ offen gelassen, ob er als Konsequenz aus dem Skandal den öffentlich bediensteten Arbeitsvermittlern noch mehr private Konkurrenz auf den Hals hetzen könnte. Damit würde er lautstarken Forderungen von Union, FDP und Wirtschaftsexperten ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen.
Wieviel Vermittler sind nötig?
Welche Konsequenzen die Umverteilung der Vermittlungsarbeit für die Bundesanstalt haben könnte, ist ebenfalls ungeklärt. BDI-Vizepräsident Hans-Olaf Henkel zum Beispiel meint, eine aufs Minimum abgespeckte Behörde könnte auch mit einem Drittel ihrer Mitarbeiter auskommen.
Jagoda mauert
Die Verteidigung der Bundesanstalt gegen derart großes Geschütz wirkte am Wochenende ein wenig kleinlaut. Eindeutig zurückweisen ließ Jagoda abermals die Rücktrittsforderungen. Bei seinem Dementi der Vorwürfe, dass die Statistik schon lange ohne Konsequenzen angezweifelt wird, ließ Behördensprecher Eberhard Mann hingegen einige Fragen offen.
Kaum Konsequenzen
Ja, es gab 1998 Informationen über angebliche Mängel der Statistik in Rheinland-Pfalz-Saarland. Ja, damals wurden ein »Leitungsgespräch« und eine Arbeitsgruppe anberaumt. Nein, die Ergebnisse der Gruppe wurden nicht vollständig umgesetzt, sagte Mann. Die Grüne dafür blieben unklar.
Behörde kennt Vorurteile
Die vom Rechnungshof gerügten Schwächen der Statistik selbst erklärt Mann zum Teil mit Vorurteilen gegen von seiner Behörde geschickte Bewerber. So ist es inzwischen Praxis in vielen Arbeitsämtern, dass Vermittler Stellenausschreibungen aus dem Internet mit dem Hinweis an Arbeitssuchende geben, sich bei der Bewerbung nicht unbedingt aufs Arbeitsamt zu berufen. Denn darauf reagieren Arbeitgeber bisweilen skeptisch. Führt dies zur erfolgreichen Vermittlung, könnte diese womöglich auch in die Statistik einfließen, erläuterte Mann. Dies alles ist aber schwer zu rekonstruieren.
Für die Behörde und ihren Chef Jagoda wird die Zeit für Erklärungen allerdings knapp. Für kommenden Freitag hat Riester seinen Topbeamten aus Nürnberg zum Rapport bestellt.