Die letzte Verhandlungsrunde im Kanzleramt dauerte sechseinhalb Stunden, dann war es vollbracht. Um kurz nach zwei Uhr am Samstagmorgen verkündete Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) als Erster offiziell, was Nachrichtenagenturen seit Mitternacht gerüchteweise gemeldet hatten. Bundesregierung, Länder, Vertreter des Opel-Mutterkonzerns General Motors (GM) sowie Vertreter des US-Finanzministeriums haben sich auf ein Rettungskonzept für den angeschlagenen Autobauer geeinigt. "Ich kann ihnen sagen, dass eine Lösung gefunden worden ist", sagte Steinbrück. Der kanadisch-österreichische Zulieferer Magna soll Opel übernehmen, die Bundesregierung gewährt einen Überbrückungskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Euro - und mit Hilfe eines Treuhänders soll gewährleistet werden, dass die deutschen Steuergelder im Fall einer GM-Insolvenz nicht in die USA abfließen.
Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, sagte Steinbrück. Diese sei aber nach den Versicherungen und Darlegungen Magnas zu rechtfertigen. Die Risiken seien vertretbar. Der Überbrückungskredit sei in dieser Höhe das letzte Angebot. Es werde nichts draufgestockt, sagte Steinbrück. So werde signalisiert, dass die Bundesregierung nicht erpressbar sei.
Deutlich skeptischer äußerte sich dagegen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Er trage des Konzept mit, sei persönlich aber "zu einer anderen Einschätzung der Risiken gekommen", sagte er. Aber auch die von ihm mehrfach ins Spiel gebrachte geordnete Insolvenz wäre mit Risiken behaftet gewesen, sagte er.
Auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sprach von einem vertretbaren Ergebnis. Er betonte, dass die Haushaltspolitiker in Nordrhein-Westfalen und in Hessen den Kreditvereinbarungen noch zustimmen müssen. Das soll am Wochende geschehen. Die Landesregierungen hätten klare Bedingungen gestellt. Diese seien weitgehend erfüllt. Das Ergebnis müsse nun noch auf seine wirtschaftliche Plausibilität hin geprüft werden.
"Das ist der Beginn einer neuen Zukunft"
Mit dem Rettungskonzept für Opel beginnt nach den Worten des Europachefs von General Motors, Carl-Peter Forster, eine neue Zukunft für den Autobauer. Opel sei im Moment "absolut gerettet", sagte Forster am Samstagmorgen. "Das ist der Beginn einer neuen Zukunft für Opel, die Mitarbeiter und die Marke." Zu dem Treuhandmodell und der Brückenfinanzierung für Opel sagte er: "Wir haben eine Brücke gebaut, um das neue Ufer zu erreichen." Diese Brücke werde halten. Neue finanzielle Forderungen des Mutterkonzerns General Motors sieht Forster momentan nicht. Ein Vertreter von Magna sagte nach den Verhandlungen, Magna wolle alle vier deutschen Opel-Standorte erhalten. "Wir sind jetzt in den nächsten Wochen unterwegs, mit allen Ländern Gespräche zu führen, wo Opel-Standorte sind. Wir sind sehr zuversichtlich, Lösungen zu finden, so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten", sagte der Ko- Vorstandsvorsitzende von Magna, Siegfried Wolf, am Samstagmorgen in Berlin. "Jeder Arbeitsplatz, der verloren wird, ist einer zu viel", sagte er. Konkrete Zahlen zu Arbeitsplätzen nannte er nicht. In Deutschland arbeiten rund 25.000 Menschen bei Opel. Es gibt Werke in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen.
Verhandlung mit vielen Beteiligten
Mit dieser Einigung geht das tagelange Ringen um die Zukunft Opels vorerst zu Ende. Eine Insolvenz des Konzerns scheint abgewendet. Die Verhandlungen waren an Dramatik kaum zu überbieten. In der Nacht zu Donnerstag schien der erste Gipfel im Kanzleramt gescheitert, weil General Motors überraschend über 300 Millionen Euro zusätzlich gefordert hatte. Darüber hatten sich deutsche Politiker auch noch am Donnerstag öffentlich empört. Eine Rettung Opels hattensich auch deshalb als schwierig gestaltet, weil es so viele Beteiligte gab, zumindest anfangs: Vertreter der möglichen Investoren Magna, Fiat und des US-Investors Ripplewood, Vertreter des Opel-Mutterkonzerns General Motors (GM), der US-Regierung - und natürlich Vertreter der Bundesregierung, wobei beide Großkoalitionäre darauf achteten, dass ihre Minister jeweils auch im Rampenlicht standen.
Unmittelbar vor dem zweiten Krisengipfel im Berliner Kanzleramt hatten sich Magna und GM am Freitagnachmittag über einen gemeinsamen Rahmenvertrag für eine Mehrheitsübernahme geeinigt. Das Magna-Konzept wurde am Abend im Kanzleramt von Fachleuten geprüft. Die Verhandlungen standen unter höchstem Zeitdruck. Am Morgen hatte der italienische Fiat-Konzern seine Teilnahme an dem Spitzengespräch abgesagt. Der amerikanische Opel-Mutterkonzern GM meldet voraussichtlich am Montag Insolvenz an.
Opel-Belegschaft für Magna
Die Opel-Belegschaft hatte sich für Magna ausgesprochen, weil dieser den geringsten Stellenabbau und mit Hilfe seines russischen Partners Sberbank die Eroberung neuer Märkte in Osteuropa versprochen hatte. Nach dem ursprünglich Konzept wollte Magna in Deutschland rund 2500 Stellen streichen, davon allein 2200 im Bochumer Werk. Betriebsbedingte Kündigungen in Bochum werde es nicht geben, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) nach dem Spitzentreffen. Magna wurde 1957 vom Österreicher Frank Stronach gegründet. Firmensitz ist Aurora im kanadischen Ontario. 2008 setzte das Unternehmen 24 Milliarden Dollar um und ist damit nach Bosch und Denso der weltweit drittgrößte Autozulieferer.
General kann unterdessen für das erwartete Insolvenzverfahren mit weiteren 30 Milliarden Dollar Hilfe von der US-Regierung rechnen. Weitere 9 Milliarden sollten von der kanadischen Regierung kommen, sagte ein hoher Regierungsvertreter. GM ist auch erfolgreich im Bemühen, noch vor einem Konkursantrag möglichst viele Hindernisse für ein schnelles Verfahren aus dem Weg zu räumen: Die gewerkschaftlich organisierten GM-Arbeiter billigten die geforderten Zugeständnisse zur Sanierung des Unternehmen, darunter die Streichung von Zuschlägen und einem Stopp von Lohnsteigerungen.
Die deutsche Verhandlungstaktik zur Rettung von Opel löste unterdessen in Europa heftigen Unmut aus. Die Regierung der Region Flandern, in der sich der belgische Opel-Standort Antwerpen befindet, warnte vor einem "nationalistischen Ansatz" bei der Rettung des Autobauers. Auf einem Krisentreffen in Brüssel forderte Belgien, an einer Treuhand-Lösung müsste eine "unabhängige, nicht deutsche Person" beteiligt werden.