An diesem Morgen kümmert sich Thierry Walter um den "Silver Star" , die Achterbahn. Er klinkt sich mit einem Seil am Geländer ein, dann steigt er hoch, 324 Stufen. Oben, in 73 Meter Höhe, wo man sich fühlt wie auf einer Kirchturmspitze, kniet er nieder. Er zieht die Schrauben an der Schiene nach. Seit 37 Jahren hält der gelernte Schlosser die Karussells im Europa-Park Rust in Schuss. "Die Achterbahn", sagt er, "ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt." Dann meldet er per Funk: "Kann losgehen!"
Der Kettenzug beginnt zu rasseln. Die ersten 36 Passagiere kommen herauf. Sie schreien schon, bevor der Wagen auf 130 Stundenkilometer beschleunigt. Von Ferne hört man sie weiter kreischen, wenn ihre Körper sich in den engen Kurven fast fünfmal schwerer anfühlen oder wenn sie sekundenlang zwischen Sitz und Bügel schweben. Walter macht das glücklich, so muss ein Freizeitpark klingen.
Unten warten schon die nächsten Fahrgäste. Das Anstehen nervt, ist aber gewollt. Etwa 20 Minuten gelten als optimal. "Eingrooven" nennen das die Parkmanager. So steigt die Vorfreude, im Bauch dieses mulmige Gefühl, in den Adern das Adrenalin. Freizeitparks sind eine Welt voller inszenierter Gefühle, ein kalkulierter Rausch.
Deutscher Gründerpreis für Roland Mack
Die Leute suchen offenbar genau das. An Spitzentagen werden hier über 50.000 Eintrittskarten verkauft. Pro Jahr kommen rund 5,5 Millionen Besucher. Das sind mehr Menschen als jedes Jahr aus Deutschland nach Mallorca fliegen. Der Europapark ist längst kein klassischer Freizeitpark mehr, sondern ein Unterhaltsungsimperium. Hier erleben Besucher Illusionen und Spektakel. Shows, Varieté und Zirkus gehören dazu, aber auch Karussells und über 100 Achter- und Loopingbahnen. Eine eigene Produktionsfirma bringt Filme in 4D ins hauseigene Kino. Fünf 4*-Sterne-Restaurants, Hotels und ein Tagungs- und Veranstaltungsort runden das Angebot ab. Herr über das Reich der Illusion und des Vergnügens ist Roland Mack. Vor über 40 Jahren gründete der Unternehmer den Park, der laut eigenen Angaben immer profitabel war. Nun erhielt Roland Mack dafür den Deutschen Gründerpreis für sein Lebenswerk.
Morgens, 8.50 Uhr, in zehn Minuten beginnt der Einlass. Am Eingang "Italien" füllt sich die Piazza. Showmusik hämmert auf die Wartenden ein, auf dem Balkon taucht das Park-Maskottchen auf, die Euromaus im blauen Frack. Sie müht sich, mit Sprüchen und Tänzchen gute Laune zu verbreiten. Dann startet eine Stimme aus dem Off den Countdown, das Absperrband fällt, Hunderte spurten los, als öffne sich das Tor zum Paradies. Die Welcome-Zeremonie, erfunden von den amerikanischen Themenparks, ist genau durchdacht: Wer sich willkommen fühlt, dem sitzt das Geld lockerer. Darauf kommt es an.

Roland Mack auf Tour
Auf der Südseite des Geländes, am Eingang "Spanien", flitzt ein brauner Golfcaddy umher. Am Steuer: Roland Mack. Er hat sich schwarzgeärgert, weil "Spanien" in einem viel zu kalten Gelb gestrichen wurde. Weil Weinfässer und Krüge als Dekoration fehlten und das Braun der Holztüren nicht spanisch genug war. Er zürnt: "Leider spüren unsere Designer und Architekten das nicht immer!" Deswegen hat er die Maler noch mal kommen lassen. Einer pinselt gerade Obststillleben an die Wand. Mack sagt: "Der Park funktioniert nur, wenn jedes Detail stimmt. Das muss sich hier genauso anfühlen wie in Marbella!"
Mack ist 66, er trägt Jackett und Jeans, Herrenslipper und das Haar nach hinten gekämmt. Er ist so penibel, dass die Mitarbeiter oft verzweifeln. Er sagt: "Wenn irgendwas nicht so ist, wie es mir persönlich gefällt, bereitet mir das körperliche Schmerzen." Fast täglich rast der Ingenieur auf dem 134 Hektar großen Gelände umher. Zitiert Gärtner herbei, wenn in den Beeten Unkraut sprießt. Faucht ins Funkgerät, wenn irgendwo ein Lämpchen nicht leuchtet. Murks und Pappmaché sind ihm zuwider, alles im Park hat er massiv bauen lassen. Für das Schweizer Dorf ließ er sogar echte Chalets in den Alpen abmontieren. Mack sagt: "Der Aufwand rechnet sich. 85 Prozent der Gäste kommen wieder – bei Disney sind es gefühlt nicht mal 50. Ohne auf jedes Detail zu achten, wären wir niemals so weit gekommen."
Europa-Park: 230 Jahre Tradition
Die Macks wollten von jeher die Menschen in Bewegung setzen, ihnen Vergnügen und Nervenkitzel bescheren. Sie bauten schon im 18. Jahrhundert allerlei fahrbares Gerät - heute blickten die Macks auf eine über 230 Jahre lange Tradition zurück. Später fertigten sie Karussells, Autoscooter, Zirkuswagen und schließlich Achterbahnen.
Verkaufsschlager wurde die "Wilde Maus" für die Jahrmärkte von Amerika bis Katar, bei der die Wägelchen abbiegen, während der Magen noch geradeaus fährt. Macks verstorbener Vater Franz eröffnete 1975 den Park, um seine Produkte auszustellen. "Gedacht war der Park ursprünglich als lebendiges Schaufenster, als Ausstellungsraum für unsere Produkte", sagte Franz Mack in einem seiner letzten Interviews der "Welt". Die Idee für den Park entstand auf einem Bierdeckel. Gekritzelte Bleistiftskizzen waren der Anfang. Seitdem kamen mehr als 100 Millionen Besucher. Von einem Schwarz-Weiß-Foto auf dem Altar einer Kapelle – die Macks sind fromme Leute – wacht der Geist des Alten bis heute über den Tingeltangel.
Europa-Park statt Kinderspiel
Streng war der Vater, lässt Roland Mack die Zuschauer des Deutschen Gründerpreises wissen. Wollte er als Kind lieber Fußball spielen statt Karussells und Achterbahnen zu zeichnen, ganz so wie die anderen Kinder, antwortete der strenge Vater nur: "Du bist nicht die Anderen." Und der kleine Roland verstand und ging brav zum Zeichenbrett. Eine Kindheit zwischen Strenge und Spaß. So erzählt Mack vom Versteck spielen in den Requisiten, von den Zirkusleuten, die ihr Winterquartier bei den Macks aufschlugen. Noch heute lebt Mack zwischen den Scheinwelten seines Parks. "Ich wohne zwischen Dornröschen und Schneewittchen", sagte er. "Das ist schon eine sympathische Nachbarschaft."
"Wir sind wie in der Truman-Show aufgewachsen"
Mack rattert zum "Colosseo" . Aus einem Hinterzimmer des parkeigenen Hotels regiert er sein Imperium. Über der Eingangstür steht "Circus Mack'simus" . Mack hat die Herberge im Stil der alten Römer errichten lassen, inklusive Teilnachbau des Kolosseums. Sein Bruder Jürgen arbeitet als Controller für ihn, sein Sohn Michael kümmert sich vorwiegend um die Fahrgeschäfte, sein Sohn Thomas als ausgebildeter Hotelier um die fünf Hotels mit ihren 5700 Betten. Sie wohnen seit der Geburt im Park. "Wir sind wie in der Truman-Show aufgewachsen" , sagt Michael. Ist der Vater auf Reisen, ruft er schon mal in aller Frühe auf dem Festnetz an, um zu prüfen, ob sie auch brav am Schreibtisch sitzen. Über eine Milliarde Euro haben die Macks im Laufe der Jahrzehnte in ihr Lebenswerk gesteckt – diesen Schatz sollen die Jungs bewahren. Und mehren.
Es ist Vormittag, ein hagerer Mann mit Schlägermütze kehrt gerade den Gehweg neben dem Kinderkarussell in den "Niederlanden". Er ist seit sieben Uhr bei der Arbeit und hat zuvor "Skandinavien" sauber gemacht. Bis 18 Uhr wird er heute Papier zusammenfegen, Zigarettenstummel aufpicken, volle Pampers aus den Mülleimern holen. "Am schlimmsten sind die jungen Franzosen" , sagt er, "kaum sind die hier, schmeißen sie auch schon was hin." Es gibt Tage, da schleppt er 40 Eimer Unrat zu den Containern. "Wenn die Leute sagen, der Europa-Park produziert viel Müll, sage ich: Nee, unsere Gäste."
Wer diesen Job macht, heißt im Europapark Paperman. Sie halten den Park rein, fegen, kehren, putzen. Die Sauberkeit ist eine Säule des Erfolgs. Alles ist so picobello, wie die Menschen es daheim gern hätten. Zwischen zwei Mülleimern dürfen nicht mehr als 30 Schritte liegen. Ein "Heile-Welt-Archipel" nennt der Tourismusforscher Dominik Rossmann die blitzblanke Kunstwelt: "Sie ist kitschig, ohne wehzutun."
Kinder für Europa begeistern
Der Europa-Park besteht aus 17 Themenbereichen, darunter die 14 europäischen Dörfer mit passender Architektur und passenden Restaurants und überall Attraktionen, Shows, zwölf Achterbahnen. Einen Masterplan hatten die Macks nicht, alles ist nach und nach gewachsen. Doch Mack ist klar: Der Europagedanke ist aktueller denn je. Dieses Jahr eröffnete das irische Dorf. "Der Park soll gerade Kinder von Europa begeistern", sagte Mack. Und so sind es auch Familien, die die größte Zielgruppe stellen. 38,50 Euro Eintritt kassieren die Macks für Kinder, Erwachsene zahlen 44,50 Euro. Darüber hinaus geben die Besucher im Park und in den Hotels durchschnittlich rund 30 Euro aus. An einigen Warteschlangen sind Kioske aufgebaut. Allein 336 Tonnen Pommes, 745.000 Hamburger und mehr als 1,1 Millionen Brötchen gehen jedes Jahr über die Imbisstheken, dazu Paella, Shrimps und andere "landestypische Spezialitäten" . "Die Leute sind heute weit gereist und anspruchsvoller geworden", sagt Mack. Im Restaurant "Food Loop" rauscht die Pasta sogar über eine Miniachterbahn an die Tische – Loopings inklusive.
Ein bisschen Achterbahn, ein bisschen Musical
Kurz nach Mittag. Anne Schilling, eine zierliche Frau, steht mit blass geschminktem Gesicht auf der Bühne des "Teatro Dell'Arte", das mit seinen 550 Plätzen jede Großstadt schmücken würde. "Ich bin die böse Geisterhexe" , sagt die Schauspielerin. Sie trat früher im Cirque du Soleil auf, nun ist sie hier, für eine Saison. Rund 200 Euro Tagesgage bekommen die Künstler im Schnitt, dazu Kost und Logis im Wohnheim. Als Kirmeskünstlerin sieht sie sich nicht, sie sagt: "Das ist verdammt professionell hier. Die verlangen einem alles ab."
In zwei Stunden beginnt ihre nächste Vorstellung: das Musical "Spook Me!", eine Geisterweltschmonzette, eigens produziert von Macks Sohn. 40 Minuten Krawumm-Kost in Dolby-Surround, gewürzt mit ruhigen Pop-Arien, übergossen mit einer Cats-Phantom-der-Oper-Rocky-Horror-Show-Soße. Am Ende küssen sich Mann und Frau, was abzusehen war. Standing Ovations, Zuschauer raus, nächste Show, zweimal am Tag.
"Die Erlebnisse inflationieren"
"Das Europa-Park-Publikum ist eine Art Musical-Publikum" , sagt Branchenexperte Rossmann. "Bekannte Melodien, bekannte Geschichten, und dann: Tempo, Tempo." Damit bedient der Park genau den Zeitgeist. Rossmann sagt: "Alles wird schneller, multioptionaler. Die Erlebnisse inflationieren. Da passen Freizeitparks mit ihrem Erlebnisfeuerwerk bestens rein." Das volle Gefühlsprogramm, Achterbahn und Liebesgeschichte, alles dicht gedrängt, an einem Ort, an einem Tag – das ist es, was die Macks zu bieten haben.
Sorgen machte der Familie lange das Internet mit seinen virtuellen Sensationen. "Doch dann kam das Smartphone", sagt Mack. Die Leute vertreiben sich mit ihren Telefonen in den Warteschlangen die Zeit, kostenloses Wlan gibt es überall. Mack sagt: "Die Handys sind für uns ein Segen." Und dann der Marketingeffekt: Abgesehen vom Kölner Dom werden nirgends in Deutschland mehr Bilder auf Facebook gepostet als vom Europa-Park aus. Selfie mit Achterbahn, Selfie mit Euromaus, Selfie mit Karussell. Der Park als Kulisse der viralen Selbstinszenierung.
Damit das Geschäft attraktiv bleibt, muss regelmäßig ein neuer Knaller her, alle drei bis fünf Jahre eine neue Themenwelt. Aktuell tüftelt die Mack-Familie an einem neuen Park, der in unmittelbarer Nähe eröffnen soll.
Viersternehotel im Europapark: Kunstwelt für die Zielgruppe
Inzwischen ist es Abend. Thomas Mack, der Sohn, wiegt den Kopf: Ja, sagt er, es läuft gut – und trotzdem müssten sie sich dringend fortentwickeln. Müssten loskommen von diesem quietschigen Kirmesimage. Er steht in der Lobby des "Bell Rock". Das Viersternehotel im Park ist von außen wie eine Bostoner Häuserzeile gestaltet. Innen stehen die alten Möbel der Pilgrim Fathers, hergestellt in einer chinesischen Fabrik. Manchmal knarzt der Holzfußboden, von Weitem erklingt ein Piano, das Kaminfeuer knistert. All das kommt aus Lautsprechern, all das ist Illusion.
Das "Bell Rock" soll die Attraktion für Bildungsbürger werden. Forscher Rossmann: "Alle Menschen halten Kunstwelten für authentisch, wenn sie nur lange genug darin leben." Für Mack Junior geht es darum, neue Zielgruppen anzulocken, Leute mit mehr Geld, ältere Paare, Erwachsene ohne Kinder. Im angebauten Leuchtturm hat er ein Gourmetrestaurant einrichten lassen, das die Euromaus nicht betreten darf. Inzwischen ist es mit zwei Sternen ausgezeichnet.
Nicht weit vom "Bell Rock", Richtung Autobahn, soll ein gigantischer Indoor-Wasserpark inklusive Hotel Nummer sechs entstehen. Investition: mehrere 100 Millionen Euro. In der letzten Ausbaustufe könnten bis zu 12 000 Gäste gleichzeitig baden. Die Macks hoffen, so ihre Hotels und Restaurants ganzjährig auszulasten, auch außerhalb der Saison.
Geschäft für Generationen
Der Tag geht, Roland Mack bleibt. Er fährt mit dem Elektrocaddy in Richtung Holzachterbahn. Wenn er die Menschen schreien hört, ist er sicher: Das Mack'sche Geschäft kann noch Generationen weitergehen. "Eines ändert sich doch nicht", sagt er: "Jeder Opa will erleben, wie sein Enkel das erste Mal Karussell fährt. Und jeder Enkel will die Angst in Opas Gesicht sehen, wenn der in die Achterbahn steigt."