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Konjunkturprogramm Wir sind noch zu retten

Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung plant die Bundesregierung Ende Januar ein zweites Kunjunkturprogramm. Bisher wollte sie die drohende Rezession nur mit vier Milliarden Euro bekämpfen. Das war viel zu wenig. Ein Plädoyer für mehr Mut in Zeiten der Krise.
Von Andreas Hoffmann

Es riecht nach Glühwein. In Eisenpfannen dampft Grünkohl. Männer und Frauen in wattierten Jacken schieben sich über die Weihnachtsmärkte. Es ist Dezember, man sucht nach Geschenken, den Ring für sie, die Krawatte für ihn, Spielzeug für den Kleinen. Die Leute kaufen wie immer, sagen Einzelhandelsexperten. Wie immer? Nichts ist wie immer. Es ist Krise. Bankenkrise. Finanzkrise. Konjunkturkrise. Nur sind die schlechten Nachrichten in vielen Köpfen noch nicht angekommen.

Man riecht die Krise nicht, schmeckt sie nicht, sieht sie nicht. Es fehlen die Bilder, es rasen keine Flugzeuge in Wolkenkratzer wie am 11. September 2001, kein Kanzler stapft in Gummistiefeln durch überschwemmte Innenstädte wie Gerhard Schröder während der Elbeflut 2002. Die Krise wirkt fern. Harmlos. Als ginge sie uns nichts an. Tut sie aber.

Weltweite Angst

Die Prognosen schwärzen sich ein von Woche zu Woche. Im kommenden Jahr könnte Deutschlands Wirtschaft um ein Prozent schrumpfen oder mehr. Hunderttausende könnten ihre Jobs verlieren. Im Rest von Europa, in Asien, in den USA sieht es noch schlechter aus. Eine Rezession naht, weltweit droht die Wirtschaft ins Trudeln zu geraten, fürchten Fachleute wie Wolfgang Wiegard vom Sachverständigenrat: "Früher gab es Regionen, die stabilisierend wirkten. Die fehlen jetzt."

Dagegen müsste man etwas tun. Sofort. Doch Angela Merkel redet lieber über "Maß und Mitte". Finanzminister Peer Steinbrück wettert gegen die Experten, die ihm nur raten: "Nimm viel Geld in die Hand." Seine Zurückhaltung kann man verstehen. Es war ja vernünftig, Schulden abzubauen, damit unsere Kinder einmal weniger abstottern müssen. Diesen Kurs verlässt man nicht ohne Not. Außerdem: Hatte sich der Staat nicht stets verhoben, wenn er die Wirtschaft anstoßen wollte?

Natürlich können wir nicht einer Weltrezession trotzen. 80 Millionen Deutsche halten keinen globalen Trend auf. Aber die Folgen lassen sich mildern, sodass sich die Auftragsbücher der Firmen langsamer leeren und hierzulande vielleicht nur 200.000 ihre Arbeitsplätze verlieren und nicht viel mehr.

Die Krise ließe sich erträglicher machen. Dazu muss der Staat Geld ausgeben. Sehr viel Geld. Er hat nur eine Wahl: Gibt er es selbst aus, oder gibt er es den Leuten, damit sie es ausgeben. SPD, Grüne und Linke setzen auf den Staat und fordern mehr öffentliche Investitionen. FDP und Union setzen auf die Bürger und fordern niedrigere Steuern. Darüber streiten sie. Und darüber, wie viel sie ausgeben wollen. Reicht das aktuelle Konjunkturpäckchen, das den Staat im kommenden Jahr läppische vier Milliarden Euro kostet? Oder sind weitaus höhere Summen nötig - wie in den USA, Großbritannien oder Japan?

Keine Entspannung

Walther Otremba hat sich schon entschieden: für mehr. Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium sagt: "Wir werden bei der Konjunkturpolitik bald nachlegen müssen." Otremba denkt vor, was Minister Michael Glos sagt, außerdem sitzt er in dem Gremium, das den angeschlagenen Banken helfen soll. "Wir stecken im Morast. Es gibt noch keine Zeichen der Entspannung", sagt Otremba.

Eher naht eine Eskalation. Der US-Autohersteller General Motors könnte zusammenbrechen und die deutsche Tochter Opel mitreißen. Weitere Banken und Hedgefonds könnten in die Knie gehen. Kredite würden noch knapper. Die Börsen würden weiter abstürzen. "Deutschland steht vor der größten Finanzkrise, die es je erlebt hat", sagt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank.

Die jetzige Krise ändert das Denken. Sie untergräbt Gewissheiten, zerstört das Zahlengefühl. Wo früher Politiker zäh um ein paar Milliarden für Arbeitslose stritten, schnüren sie nun 500-Milliarden-Euro-Pakete für Banken. Die Krise ist mörderisch schnell. Vieles geschieht gleichzeitig, als würden auf einer riesigen Schalttafel ständig neue rote Lämpchen blinken.

Länder wie die Ukraine, Island oder Bulgarien kämpfen mit dem Staatsbankrott. Die Chinesen müssen Tausende Firmen schließen, weil US-Bürger weniger Spielzeug und Elektronikgeräte kaufen. Reeder ordern weniger Schiffe, weil sie weniger Güter transportieren. Fluggesellschaften legen Maschinen still, weil Fracht und Passagiere fehlen. Es trifft Arm und Reich. Nicht nur der Banker in London oder Hongkong verliert seinen Job, auch sein Hausmädchen verliert ihren, weil er ihre Dienste nicht mehr bezahlen kann. In Dubai räumen Pakistanis die Baustellen, weil Geld für die Projekte fehlt. Als Folge überweisen sie weniger an ihre Familien in die Heimat.

Was uns das angeht? Wenn in der Welt weniger gebaut, weniger gearbeitet, weniger produziert wird, werden weniger Maschinen aus Deutschland gekauft. Wir leben vom Export. Fast die Hälfte unseres Bruttoinlandsprodukts verkaufen wir ans Ausland.

Tropfen auf den heißen Stein

Der Saal 3.101 im Lüders-Haus im Berliner Regierungsviertel ist überheizt. Einige Hundert Meter entfernt amtiert Angela Merkel. Der Finanzausschuss des Bundestags hat zu einer Anhörung über das Konjunkturpaket geladen. Es treten Männer in gut geschnittenen Anzügen auf, Frauen in adretten Kostümen, sie sprechen von der "degressiven Afa", der "Zinsschranke", dem "Steuerbonus für Handwerker", es ist geschäftsmäßig, wie immer. Große, mutige Rettungsaktionen werden hier nicht erdacht. Von Krise redet kaum einer. Außer Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konsumforschung. Er hält das Konjunkturpaket der Regierung für einen "ersten kleinen Schritt". Weitere seien nötig. Aber welche?

Konjunkturpolitik hat in Deutschland einen schlechten Ruf. In den 70er Jahren verpuffte ihre Wirkung regelmäßig, aber nun sagen Unionspolitiker wie Wolfgang Schäuble: "Wir müssen umdenken, ja sogar keynesianisch." Für einen Erfolg gibt es Kriterien: Die Maßnahmen sollten schnell wirken. Sie sollten befristet sein, weil dem Staat sonst dauerhaft Geld fehlt. Und sie sollten groß genug sein, weil sie sonst nicht wirken. Legt man diese Kriterien zugrunde, liefert der Werkzeugkasten der Konjunkturpolitik wenig Brauchbares.

Angenommen, der Staat lässt den Menschen mehr Geld, damit sie es ausgeben, und senkt Steuern. Etwa die Mehrwertsteuer, wie es der britische Premier Gordon Brown plant. Doch dies würden die Bürger erst Monate später spüren. Vielleicht. Zunächst müssen die Firmen die Preise reduzieren, was nicht alle tun werden. Wer keine Konkurrenten beachten muss, kann die Preise hoch halten. Der Kunde geht leer aus, dafür freut sich der Unternehmer über höhere Gewinne. Selbst wenn er den Steuernachlass weitergibt, sind die Folgen gering. Sänke die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent, schrumpfte der Preis einer Jeans von 70 auf 68,23 Euro.

Ähnlich wenig hilft eine niedrigere Einkommensteuer. 24 Millionen Haushalte in Deutschland zahlen keine Einkommensteuern, weil sie nicht genug verdienen. Die Steuersenkung füllt ihnen also nicht das Konto, sondern nützt jenen, die viel Steuern zahlen - und die sparen lieber. Wer Geringverdiener entlasten will, muss Abgaben senken, also die Beiträge für Renten-, Krankenoder Arbeitslosenversicherung. Auch dann bleibt wenig, um mehr auszugeben. Sinkt der Rentenbeitrag von 19,9 auf 19,6 Prozent, wie Arbeitgeber fordern, hätte ein Arbeitnehmer mit 3000 Euro Bruttolohn 4,50 Euro mehr im Monat.

Einmalige Unterstützung

Besser wirken Konsumschecks, Gutschriften, mit denen die Bürger kaufen können, was sie wollen. Die Idee befürworten Experten wie Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bundesbank-Chef Axel Weber oder der Steuerrechtler Clemens Fuest, der Steinbrücks wissenschaftlichen Beirat leitet. Der Vorteil: Das Geld kommt direkt an und hilft Geringverdienern. Sie würden mehr kaufen und die Wirtschaft ankurbeln. Dem Staat fehlt nicht dauerhaft Geld, weil er die Schecks nur ein-, zweimal austeilt.

Die Kosten dürften bei zehn Milliarden Euro liegen, wenn der Staat jedem Bürger 125 Euro anweist, rechnet Experte Horn vor. Der Aufwand wird aber nicht gering sein, weil die Einwohnermeldeämter 80 Millionen Schecks verschicken müssten. Und: Wer bekommt sie? Auch Besserverdiener und Milliardäre wie Aldi-Chef Theo Albrecht? Es gibt viele Fallstricke, aber die USA, die Schecks schon länger nutzen, schafften es so, ihr Wachstum leicht zu stabilisieren. Das ist nicht viel, aber etwas.

Das Geld für die Konjunktur könnte der Staat auch selbst ausgeben. Es gibt viel zu tun. Straßen müssen erneuert werden, das Schienennetz ist nicht in bestem Zustand. Eltern suchen nach Betreuungsplätzen für Kinder, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. In den Schulen fällt Unterricht aus, weil Lehrer fehlen, mancherorts unterrichten Pensionäre, Anwälte, Ingenieure. Studenten klagen über baufällige Räume und zu wenige Professoren. Experten schätzen den Investitionsstau an Hochschulen auf 20 Milliarden Euro. Einige der Mängel könnte der Staat lindern, Firmen bekämen Aufträge, Menschen Arbeit. Das wäre gut für die Konjunktur.

Bedenken in den Papierkorb werfen

Es gibt nur einen Nachteil: die Zeit. Öffentliche Investitionen lassen sich nicht über Nacht in Gang setzen. Es muss geplant, Aufträge müssen ausgeschrieben, Angebote geprüft werden. Für den Bau neuer Gleiswege kalkuliert die Bahn fünf Jahre ein. Vorhaben für Straße oder Schiene, die bereits verabschiedet sind, gibt es kaum noch. Mehr Lehrer lassen sich nicht einfach einstellen, weil es viel zu wenige gibt und die Ausbildung sechs, sieben Jahre währt. Maroden Schulen und Universitäten kann der Bund nicht einfach Geld spendieren, weil dies Sache der Länder und Kommunen ist. Sie fürchten eher um ihre Macht als um die Konjunktur. Doch diesmal sollten sie ihre Bedenken in den Papierkorb werfen.

Der Staat kann nicht die Hände in den Schoß legen, wenn sich die Krise verschärft. Wirtschaft lebt von Vertrauen und der Psychologie. "Man muss versuchen, einem Pessimismus der Bürger entgegenzuwirken", sagt Bert Rürup. Der Staat sollte aber das Richtige tun: Konsumschecks verteilen und vor allem in Bildung investieren. 20 Milliarden Euro sollte er sich das schon kosten lassen.

Schecks nützen der Konjunktur mehr als teure Steuersenkungen, und öffentliche Ausgaben helfen, wenn Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam handeln. In einem Jahr könnten hiesige Firmen und Arbeitnehmer profitieren, später sogar noch mehr Menschen. Denn bessere Bildung erhöht die Chancen im Beruf und hilft Kindern aus sozial schwachen oder Einwandererfamilien. Vielleicht wird so aus Mehmet in Berlin-Neukölln irgendwann ein Maschinenbauingenieur. Dann hätte die Krise sogar etwas Gutes. Sie böte die Chance, das zu tun, was lange hätte getan werden müssen. Das Geld wäre gut angelegt.

Das klingt utopisch? Aber ja. Vielleicht sollten wir von den USA lernen. Das Land steckt viel tiefer in der Krise als Deutschland. Doch Barack Obama verspricht Hoffnung. Angela Merkel könnte ihn kopieren. Es braucht dazu eigentlich nur wenig: mehr Mut.

Mitarbeit: Elke Schulze, Jan Rosenkranz print

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