Opel bleibt bei General Motors (GM). Ein Paukenschlag der Extraklasse hat dem monatelangen Hickhack um den deutschen Autobauer eine überraschende Wende gebracht - und einen Proteststurm gegen den US-Konzern ausgelöst. Den GM-Plan, Opel zu behalten und aus eigener Kraft zu sanieren, halten Autoexperten sowie Betriebsräte für unrealistisch. Werkschließungen und Massenentlassungen würden die Folge sein, lauten die Befürchtungen am Mittwoch. Denn es ist völlig unklar, wie die Amerikaner, die gerade ein Insolvenzverfahren hinter sich gebracht haben und seither am Tropf der US-Regierung hängen, den seit langem stotternden Motor bei Opel wieder auf Touren bringen wollen.
Aus Protest gegen den abgesagten Verkauf machten die Arbeitnehmervertreter gegen GM mobil und riefen die knapp 55.000 Opel-Mitarbeiter in Europa zu Warnstreiks auf. "Die Veranstaltungen beginnen in Deutschland und werden sich auf ganz Europa ausdehnen", sagte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz. Die rund 25.000 Mitarbeiter in Deutschland würden am Donnerstag vor den Werkstoren am Stammwerk in Rüsselsheim, in Bochum, Eisenach und Kaiserslautern protestieren.
Brüderle nennt GM-Entscheidung "völlig inakzeptabel"
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle reagierte mit scharfen Worten auf die Entscheidung aus Übersee. "Das Verhalten von General Motors ist völlig inakzeptabel" sowohl den Arbeitnehmern als auch Deutschland gegenüber, sagte der FDP-Politiker. Er forderte von GM und Opel die rasche Vorlage eines Konzepts zur Restrukturierung. Der Minister bekräftigte auch, dass Opel die Brückenfinanzierung von 1,5 Milliarden Euro nun zurückzahlen müsse. "Wir werden unser Geld des Steuerzahlers zurückholen." Der Kredit, den Bund und Länder Opel Anfang Juni eingeräumt hatten, wird am 30. November fällig.
Dazu ist GM offenbar auch bereit. Eine entsprechende Zusage habe Konzernchef Fritz Henderson unmittelbar nach der Absage des Opel-Verkaufs an Magna in einem Brief an das Wirtschaftsnministerium in Berlin gemacht, berichtet die "Financial Times Deutschland". Nach Angaben von Treuhandmitglied Dirk Pfeil hat Opel den Kredit bereits teilweise getilgt. "In der Spitze hat sich Opel 1,1 Milliarden Euro geliehen, von denen 200 Millionen Euro bereits zurückgezahlt wurden", sagte Pfeil. Opel bleibe damit dem Staat noch 900 Millionen Euro schuldig.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, in dessen Bundesland das Opel-Stammwerk Rüsselsheim liegt, reagierte erzürnt auf die Nachricht aus Detroit. "Ich bin sehr betroffen und verärgert, dass die monatelangen Bemühungen, für Opel Europa eine möglichst gute Lösung zu finden, an GM gescheitert sind", erklärte der CDU-Politiker.
Mammutaufgabe der Restrukturierung
Den Stimmungswandel im GM-Verwaltungsrat in Detroit hatten vor allem die jüngsten Fortschritte bei der Sanierung ausgelöst: "Angesichts des verbesserten Geschäftsumfelds für GM in den vergangenen Monaten und der Bedeutung von Opel/Vauxhall für unsere globale Strategie hat der Verwaltungsrat beschlossen, Opel zu behalten", teilte der US-Konzern als Begründung für die überraschende Entscheidung mit. Nun solle ein "ernsthafter Restrukturierungsprozess in Europa" beginnen. Die Kosten bezifferte GM-Chef Fritz Henderson auf drei Milliarden Euro.
Opel sei für einen erfolgreichen GM-Neustart wichtig, meinte die Mehrheit im Verwaltungsrat. Die Deutschen stehen für moderne Technologie und für den großen europäischen Markt. Da wollen die Amerikaner die Kontrolle nicht aus der Hand geben. "Vieles wird jetzt ohne Dritte als Partner einfacher", sagt ein GM-Insider. Und warnt zugleich: "Die Mammutaufgabe der Restrukturierung ist genauso groß wie vorher."
Dudenhöffer: "GM fährt höchstmögliches Risiko"
Der deutsche Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht die Kehrtwende in Detroit äußerst kritisch. GM habe keinen Ansatz für das Europa-Geschäft und beginne erst jetzt, den "x-ten Restrukturierungsplan" für Opel auszuarbeiten, erklärte Dudenhöffer. Dies geschehe mit enttäuschten Mitarbeitern, die nicht hinter GM stünden, mit einem geschwächten Management und hohen Verlusten. Es werde sehr schwer sein, für neue Produkte in Europa und USA Kredite zu erhalten. Damit werde das Produktprogramm auf Sparflamme laufen; der weitere Verlust von Marktanteilen in Europa sei vorgezeichnet. Ein "denkbares Szenario" ist Dudenhöffer zufolge nun die Planinsolvenz von Opel mit Werkschließungen in Bochum, Kaiserslautern, Antwerpen und Standorten wie Eisenach und im britischen Ellesmere Port. Ein Restrukturierungsplan könne zwar Kosten kappen, aber nicht die fehlende Produktbreite bereit stellen. GM kämpfe gleichzeitig an zu vielen Fronten als schwaches Unternehmen mit abgenutzten Marken. GM fahre daher mit dem höchstmöglichen Risiko.
Franz warnt vor Erpressung durch GM
Und so schlagen die Arbeitnehmer lautstark Alarm. Opel-Gesamtbetriebsratschef Franz sprach von einem "schwarzen Tag" für Opel: "Der nächste Schritt von General Motors wird sein, Regierungen und Beschäftigte in Europa zu erpressen." Franz sieht wie Dudenhöfer die Werke in Bochum, Kaiserslautern und Antwerpen von der Schließung bedroht. Nun sei "der alte GM-Plan wieder auf dem Tisch", sagte Franz. Das bedeute, dass die drei Werke "akut gefährdet sind". Die Arbeitnehmer würden nun alle Zusagen über Einsparungen zurückziehen.
Auch IG-Metall-Chef Berthold Huber reagierte empört. "Das ist ein unglaublicher Vorgang, 50.000 Beschäftigte in Europa einer monatelangen, nervenaufreibenden Hängepartie auszusetzen und am Ende eine nicht nachzuvollziehende Kehrtwende zu machen." Nun seien alle Zusagen aus der Vereinbarung der Arbeitnehmerseite mit Magna gegenstandslos. Es gelte der bisherige Zukunftsplan für Opel, der unter anderem eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2010 vorsehe.
Der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel sagte: "Wir werden auch weiterhin nicht davor weglaufen können, uns zu beteiligen. Aber wir wollen eine ganz klare Zusage haben. Für nichts gibt es nichts." Wichtig sei etwa der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen. "Arbeitsplatzabbau muss, wenn überhaupt, sozialverträglich gemacht werden." Gleichzeitig müsse auch eine langfristige Perspektive für die Werke erkennbar sein.
Mit Magna hatte die Belegschaft vereinbart, durch den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld insgesamt 265 Millionen Euro jährlich zur Sanierung beizutragen.
Einenkel geht davon aus, dass Bund und Länder trotz des abgeblasenen Verkaufs ihre zugesagten Staatshilfen auch an General Motors zahlen würden. Es gehe schließlich um viele tausend Arbeitsplätze bei Opel, um 100.000 Arbeitsplätze im Zulieferbereich sowie um 25.000 Arbeitsplätze im Kfz-Gewerbe. In der "Neue Ruhr/Neue Rhein-Zeitung" drängte Einenkel auf schnelle Entscheidungen aus Detroit bezüglich der Standorte. Die Hängepartie sei für die Mitarbeiter unerträglich. Der Finanzierungsrahmen der Bundesregierung stehe nur bis Ende November.