Sich mit der Ukraine solidarisch zu zeigen, gehört dieser Tage zum guten Ton. Auch in der Industrie. Doch dass Energierkonzerne wie Wintershall Dea, Tochterunternehmen des Chemieriesen BASF, über ihre Firmenwebsite Mitleid und Solidarität bekunden, kommt eher scheinheilig daher. Und auch, dass das Unternehmen Russland dazu auffordert, den Angriffskrieg umgehend zu beenden und Beschäftigte und Firmenvertreter in einer gemeinsamen Erklärung "zu einem sofortigen Stopp der Kampfhandlungen" aufrufen, entbehrt nicht einer gewissen Absurdität.
Denn laut einem aktuellen Bericht der britischen Umweltorganisation Global Witness, der dem stern vorliegt, hat der Energiekonzern in diesem Jahr massiv von russischen Energielieferungen profitiert. Aus dem Gutachten geht hervor, dass Wintershall Dea seit Anfang 2022 mehr als 28 Millionen Kubikmeter russisches Gas mit einem Marktwert von mehr als 14 Milliarden Euro nach und durch Deutschland transportiert hat – sehr zulasten der Umwelt, wie die Organisation kritisiert. Zusätzlich soll der Konzern zwischen Januar und März durch die Gas- und Ölförderung in Russland 400 Millionen Euro verdient haben. Damit habe sich der Gewinn im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht, heißt es in der Mitteilung.
Anfang März hatte der Mutterkonzern BASF angekündigt, seine Geschäfte mit Belarus und Russland massiv reduzieren zu wollen. BASF gehört zu jenen Unternehmen in Deutschland mit dem höchsten Gasverbrauch. Nach eigenen Angaben beläuft sich der auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Ihren Bedarf decke die Firma jedoch nicht direkt mit russischen Ressourcen, sondern kaufe diese bei westeuropäischen Lieferanten ein – die ihrerseits in Russland einkaufen.
Auch die Tochterfirma Wintershall Dea kündigte kurz darauf an, keine zusätzlichen Energieprojekte mit russischen Partner mehr einzugehen, wohl aber die bestehende Zusammenarbeit fortzuführen. Auch an seiner Zusammenarbeit mit Gazprom hielt das Unternehmen zunächst fest, bis der Vorstand entschied, zumindest die Finanzierung von Nord Stream 2 abzuschreiben. Eine Milliarde Euro sollte das Projekt kosten. An der langjährigen Zusammenarbeit mit Gazprom hält das Unternehmen aber fest.
Kritik von Umweltverbänden – Dementi von Konzernen
Umweltvertreter bezeichneten die Kooperation als "absolut unverantwortlich", nicht nur, weil so Putins Krieg in der Ukraine finanziert würde. "BASF und Wintershall Dea heizen die Klimakrise an", kritisiert der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner, in einer Mitteilung an den stern. Den Umweltorganisationen gegenüber verteidigte der Energiekonzern seinen Kurs. Die Gasversorgung in Europa müsse sichergestellt werden, zudem sei man gegenüber den Mitarbeitern verpflichtet, laute demnach die Begründung.

Wintershall Dea gehört zu 72 Prozent dem Chemiekonzern BASF. Die restlichen Anteile liegen bei der Investmentfirma LetterOne, die durch ihre engen Verbindungen zu russischen Oligarchen bekannt ist. Kürzlich hatte "Bloomberg" berichtet, BASF plane den russischen Zweig von Wintershall Dea an LetterOne zu verkaufen. Letztere dementierten diese Meldung auf stern-Anfrage. BASF äußerte sich zurückhaltender. Eine Sprecherin bat "um Verständnis, dass wir Gerüchte und Spekulationen (in Bezug auf den "Bloomberg"-Bericht, Anm. d. Red.) nicht kommentieren". In einer schriftlichen Antwort betonte die Unternehmenssprecherin jedoch, dass das Unternehmen an seiner strategischen Entscheidung, sich aus dem Öl- und Gasgeschäft zurückzuziehen, festhalte.
Auch ein Sprecher des Tochterkonzerns verteidigte die weitere Zusammenarbeit: "Ein vollständiger Ausstieg aus allen laufenden Aktivitäten in Russland wäre eine sehr weitreichende Entscheidung, mit enormen Auswirkungen." Das Unternehemn trüge eine Verantwortung für seine Mitarbeiter und die Energieversorgung. Würde sich das Unternehmen aus den bestehenden Projekten in Russland zurückziehen, "würden Vermögenswerte in Milliardenhöhe an den russischen Staat fallen". Wintershall sei nicht das einzige Unternehmen, das sich derzeit in einem Dilemma befinde, für das es laut der Unternehmenssprecherin aktuell keine Lösung gebe. Einen Gewinn durch den Ukraine-Krieg dementiert das Unternehmen. Der Konflikt habe ganz im Gegenteil zu einer Wertminderung von rund 1,5 Milliarden Euro geführt. Wintershall Dea musste im ersten Quartal des Jahres einen Nettoverlust von einer Milliarde Euro hinnehmen.
Wintershall Dea will weiter in der Nordsee buddeln
Hinter dem geplanten Ausbau der Ölförderung auf der Plattform Mittelplate im schlwesig-holsteinischen Wattenmehr dürfte allerdings ein Kalkül stecken. Bereits vor zwei Jahren hatte das Unternehmen das Vorhaben bei der schleswig-holsteinischen Regierung beantragt. Laut Informationen des "Spiegel" geht es um Förderrechte für die kommenden 50 Jahre. Wegen Umweltbedenken war das Vorhaben zunächst im Sande verlaufen – wurde aber wegen des Ukraine-Krieges selbst für die Grünen attraktiv.
"Für die vorgeschlagene Erschließung des südlichen Teils der Lagerstätte von der bestehenden Mittelplate aus sind erhebliche Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro notwendig. Bei zügigem Abschluss des Genehmigungsverfahrens noch in diesem Jahr könnte die zusätzliche Öl-Förderung ab 2025 aufgenommen werden. Dadurch würden wir bis 2041 weitere zwei Millionen Tonnen Erdöl in Schleswig-Holstein fördern", sagte ein Konzernsprecher auf stern-Anfrage.
Aus Sicht des Unternehmens leiste die erweiterte Ölförderung einen "volkswirtschaftlich wichtigen Beitrag". So könnten mehr als 1000 Arbeitsplätze gesichert werden. Und: "Jede Tonne Öl, die in Deutschland unter Einhaltung höchster Sicherheits- und Umweltschutzstandards gefördert wird, trägt zur Verringerung der Importabhängigkeit Deutschlands bei." Schleswig-Holsteins Umweltstaatssekretär Tobias Goldschmidt begrüßte das Projekt. Auf stern-Anfrage ließ er mitteilen, er sei angesichts des Krieges in der Ukraine davon überzeugt, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Noch brauchen wir Öl und müssen bereit sein, auch hier über erweiterte Fördermöglichkeiten zu sprechen."
Kritik kommt erneut von den Umweltverbänden. DUH-Geschäftsführer Müller-Kreanner bezeichnete die geplanten Ölbohrungen als "Katastrophe für den Klimaschutz und eine Gefahr für das weltweit einmalige Ökosystem Wattenmeer". Der Krieg und die Versorgungssicherheit dürften auch angesichts der "geringen" erwarteten Fördermengen nicht als vorgeschobenes Argument herhalten. Die Organisation kündigte an, rechtliche Schritte gegen das Vorhaben zu prüfen, sollte Wintershall Dea den Antrag nicht zurückziehen.