Arbeit Schuften für einen Hungerlohn

Niedriglöhne sind trotz aller Debatten in Deutschland schon längst Realität: In mehr als 650 Berufen wird ein Stundenlohn von unter sechs Euro gezahlt.

In Sachsen-Anhalt schlägt sich ein Wachmann für 4,40 Euro Grundlohn die Nacht um die Ohren. Die Anlage, die er bewacht kostet 70 Millionen Euro. Eine Frisörin arbeitet acht Stunden am Tag und kann doch die Miete für ihre Wohnung nicht aufbringen. In Sachsen begnügt sich ein Angestellter im Gartenbau mit 2,74 Euro die Stunde.

Niedriglöhne in Deutschland sind unbeschadet aller Debatten schon längst Realität. Das belegt jetzt auch eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Opposition. Sie listet 650 Berufe auf, in denen Tarif-Stundenlöhne unter sechs Euro gezahlt werden, vielfach allerdings an Arbeitnehmer ohne Ausbildung oder mit geringer Qualifikation. Wie viele Menschen betroffen sind, ist ist nicht bekannt.

"Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig"

Die 25-jährige Frisörin aus Halle steht mittlerweile in ihrem eigenen Laden. Sie hat sich selbstständig gemacht und hofft, auf diese Weise zu mehr Einkommen zu gelangen. "Manchmal habe ich einen Monatslohn nach Hause gebracht, der war zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig", sagt die junge Frau. Die 310 Euro Warmmiete konnte sie nur zahlen, weil sie Wohngeld bekam.

Berufe mit weniger als 6 Euro Stundenlohn

BerufStundenlohnBundesland
Kaufmännischer Angestellter im Gartenbau (ohne Ausbildung)2,74 EuroSachsen
Friseur3,18 EuroThüringen
Erntehelfer 3,27 EuroSachsen
Wachmann bei Objekten der Bundeswehr3,91 EuroSachsen-Anhalt
Gebäude-Reiniger4,09 EuroSachsen
Kosmetikerin4,22 EuroBerlin
Fahrkartenkontrolleur4,49 EuroThüringen
Türsteher4,66 EuroBrandenburg
Angestellter im Gartenbau mit Fachkenntnissen, selbständige Tätigkeit4,80 EuroThüringen
Angestellter Elektrohandwerk (ohne Ausbildung4,96 EuroSchleswig-Holstein
Verkäufer in einer Bäckerei4,98 EuroBrandenburg
Hoteldiener5,12 Euro*

"Für Sicherheitsleistungen kann ein Unternehmen nichts absetzen, deshalb versuchen sie, die Preise niedrig zu halten", beschreibt der leitende Mitarbeiter eines Wachschutzunternehmens das Problem seiner Branche. Zudem gibt es einen knallharten Verdrängungswettbewerb: "Die öffentliche Hand nimmt immer nur den günstigsten Anbieter", erzählt er.

Unterstes Ende der Wertschöpfungskette

Sachsen-Anhalts Arbeitgeberpräsident Helge Fänger legt indessen den Finger auf die Wunde. "Wir haben einen breiten Sockel an niedrig qualifizierten Leuten, die kann man nur für einfachste Arbeiten an hochproduktiven Anlagen, wie etwa Fließbändern, einsetzen". Deren Dilemma ist, "ihre Stellung in der Wertschöpfungskette ist so niedrig, dass es einfach nicht möglich ist, mehr für sie zu bezahlen". Deshalb bezweifelt Fänger, dass niedrige Löhne Arbeitsplätze schaffen könnten.

Er ist, genau wie Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und die Gewerkschaften, gegen staatliche Subventionen für Niedriglöhne. "Da habe ich Bauchschmerzen", meint Fänger. Nach seiner Ansicht würde das Mitnahmeeffekte und vor allem noch mehr staatlichen Dirigismus mit sich bringen. Auch der sächsische Verband der Metall- und Elektroindustrie sieht keine neuen Arbeitsplätze durch Niedriglöhne. "Das ist gar nicht der Punkt. Es geht nicht darum, die Löhne niedriger zu machen, die Lohnkosten müssen runter", sagte Pressesprecherin Sandra Jäschke.

Berufe mit weniger als 6 Euro Stundenlohn

BerufStundenlohnBundesland
Pförtner5,16 EuroBrandeburg
Angestellter Metallhandwerk (ohne Ausbildung)5,34 EuroSchleswig-Holstein
Friseurmeister mit 10 Angestellten5,56 EuroSachsen
Technischer Angestellter mit Berufsausbildung5,64 EuroSachsen
Haushaltshilfe5,65 EuroNordrhein-Westfalen
Gaststätten-Küchenhilfe5,69 EuroSchleswig-Holstein
Ungelernter Arbeitnehmer im Blumeneinzelhandel5,78 EuroBremen
Angestellter im Gartenbau 5,83 EuroBrandenburg
Angestellter in der Forstwirtschaft mit Facharbeiterabschluss5,93 EuroThüringen
Büro- und Verwaltungsangestellter im Fleischerhandwerk5,93 EuroSachsen-Anhalt
Erntehelfer für schwere Arbeit5,28 Euro - 6,00 Euro*

Niedriglöhne oder staatliche Zuschüsse sind keine Lösung

Niedriglöhne oder staatliche Zuschüsse könnten ihn nicht dazu bringen, Mitarbeiter einzustellen, meint auch ein Raumausstatter in Halle. "Das Risiko kann ich nicht eingehen. Ich kann mich nicht binden an Leute, weil ich nicht weiß, wie lange die Aufträge reichen", sagt der 44 Jahre alte gelernte Maler, der mit seiner Frau zusammen Wohnungen vom Bodenbelag über Tapeten bis zu Gardinen und Polsterbezügen ausstattet. Wenn sie mehr zu tun haben, als sie selbst schaffen können, weichen sie auf andere Selbstständige aus.

Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Rüdiger Pohl, hält eine allgemeine Subventionierung von Niedriglöhnen für absurd. Zuschüsse sollten allerdings diejenigen bekommen, die als Langzeitarbeitslose oder Sozialhilfeempfänger eine Arbeit annehmen, deren Bezahlung unter dem Sozialhilfesatz liegt. Wer auf Grund seiner geringen oder nicht vorhandenen Qualifikation einen Lohn erzielt, der nur knapp über der Sozialhilfe liegt, "muss sich damit begnügen".

*Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

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Gitta Keil/DPA

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