Stars der Detroit Motor Show sind riesige Gelände- und Freizeitmobile, mit denen die absatzlahme Branche wieder in Fahrt kommen will
Stimmungstief
Amerikas Autohauptstadt Detroit war noch in Feierstimmung. Nach Weihnachten und Silvester ging es am vergangenen Freitag weiter mit der glanzvollen Amtseinführung des neuen Bürgermeisters, des erst 31-jährigen Kwame Kilpatrick. Der farbige Kommunalpolitiker gilt vor allem bei der Jugend der Stadt als Hoffnungsträger. Doch kaum im Amt, hatte er schon ein Problem mehr. Denn beim ersten Höhepunkt des jungen Jahres, der North American International Auto Show, war die Stimmung im Keller.
Entlassungen bei Ford
Kurz vor der Eröffnung am Sonntagmorgen war nämlich durchgesickert, dass Ford, zweitgrößter unter Detroits Autoherstellern, mindestens fünf Produktionsstätten schließen und über 20 000 Mitarbeiter entlassen will. Ein Verlust von rund zwei Milliarden Dollar im abgelaufenen Jahr mache diese Maßnahmen erforderlich. Das deutsche Wort »Angst« prangte von der Titelseite der »Detroit News«. Und keiner der Anwesenden Auto-Bosse konnte sich erinnern, während der Detroit Motor Show jemals schlimmere Branchen-Nachrichten gehört zu haben.
Muss-ich-haben-Reaktion
Um das mobile Gewerbe trotzdem glänzen zu lassen, setzen die Hersteller während der Show, die noch bis zum 21. Januar läuft, auf ein simples Rezept: »Autos, die eine Muss-ich-haben-Reaktion beim Publikum hervorrufen«, sagte GM-Entwicklungschef Bob Lutz, nachdem er in einem Pontiac Solstice auf die Bühne gerollt war. Das schnittige Sportcabrio gehört, wenn es denn in Serie geht, mit einem Preis von unter 25000 Dollar noch zu den günstigsten Offerten der Messe. Das andere Extrem zeigte die GM-Tochter Cadillac auf demselben Stand: Der 750 PS starke 7,5-Liter-V12-Motor der Studie Cien fauchte auf der Bühne so lautstark und aggressiv, dass er selbst die dröhnende Begleitmusik noch übertönte.
Chrysler präsentierte die in Windeseile zur Serienreife gebrachte Version des Crossfire, nachdem erst vor einem Jahr die gleichnamige Studie dieses Coup?s gezeigt worden war. »Sportwagen«, kündigte Lutz an, »werden in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen.« ¿
Pick-up-Boom
Die absoluten Renner auf dem amerikanischen Markt sind allerdings immer noch so genannte Light Trucks, zu denen Geländewagen, Pick-ups und Großraumlimousinen zählen. Ein Ende des Booms ist nicht abzusehen. Im Dezember haben die drei großen Hersteller davon mehr als doppelt so viele verkauft wie konventionelle Personenwagen.
Größe zählt
Was zählt, ist Größe. Der bei GM präsentierte Hummer H2, Abkömmling eines Golfkrieg-erprobten Spezialfahrzeugs der US Army, kommt im Frühjahr auf den Markt. Sein Erfolg scheint sicher. Und Fords Chefdesigner J. Mays präsentierte das »ultimative Spielzeug für große Jungs«, einen Pick-up namens Mighty F-350 Tonka. Der Namenszusatz des 350 PS starken Turbodiesels stammt übrigens tatsächlich von einer Spielzeugmarke, die für unverwüstliche Sandkastenmodelle bekannt ist. Nachdem Mays mit dem Monsterauto in die Halle gefahren war, musste er, um aussteigen zu können, die Karosserie per Knopfdruck erst mal absenken. Sonst hätte er springen müssen.
Nachschub aus Europa
Auch Europäer und Japaner haben offenbar erkannt, wonach die amerikanischen Autokäufer verlangen. In Zukunft werden die Importeure der einheimischen Konkurrenz nämlich nicht mehr nur kleine, aber feine High-Tech-Kisten entgegensetzen, sondern große High-Tech-Kästen. Mercedes zeigt in Detroit den 360 PS starken Grand Sports Tourer, kurz GST, eine allradgetriebene Kreuzung aus Geländewagen und Großraumlimousine, die mit 5,15 Meter länger ist als die S-Klasse, 22 Zoll große Räder (Felgendurchmesser über 55 Zentimeter) hat und sechs Personen bequem befördern soll. Noch einen Passagier mehr nimmt der Volvo XC 90 auf, ebenfalls ein auf einer Limousine basierender Geländewagen, ausgerüstet mit Motoren von bis zu 272 PS.
Sogar der einstige Kleinwagenspezialist Honda präsentierte am Sonntag ein mächtiges Auto. Der Pilot, so heißt der hochbeinige Koloss, wird ebenfalls Allradantrieb bieten und bis zu acht Passagiere aufnehmen. Dabei gibt es in den USA so gut wie keine Großfamilien mehr.
Der Opel Frogster dagegen, eine niedliche Studie eines viersitzigen Cabrios, stand derweil kaum beachtet in einer Ecke. Für Detroit ist er einfach zu klein.
Von Frank Warrings