Mit dem Pathlite:ON bietet Versender Canyon ein vollausgestattetes Trekking- bzw. Reiserad. Das Wort "günstig" bekommt bei einem Preis von fast 5000 Euro einen merkwürdigen Beiklang, aber das Spitzenmodell 9.0 bleibt dem Grundsatz des Versenders treu, sehr viel Ausstattung für den Preis zu liefern. Bei 5000 Euro heißt das: Hier bleiben keine Wünsche offen.
Auffälligstes Merkmal ist die Ausstattung mit gleich zwei Akkus – einer integriert, einer verdeckt. Das führt zu einer Gesamtkapazität von 1000 Wh – das sind fast 400 Wh mehr als bei Boschs größtem Einzelakku mit 625 Wh. Der große Stromspeicher dient dazu, auch längere Touren mit dem Motor zurücklegen zu können. Über die Reichweite lässt sich pauschal kaum etwas sagen. Jemand, der gern bei Top-Speed und mit wenig Anstrengung unterwegs ist, kommt kaum halb so weit, wie ein anderer, der nur 20 km/h fährt und dabei tüchtig mitarbeitet. Grob kann man sagen, dass der Akku bequeme Fahrer über 100 Kilometer weit bringt, etwas ambitioniertere Radler über 150 Kilometer. Wer im Wesentlichen zwischen den Unterstützungsstufen Tour und Eco wechselt, schafft sogar über 200 Kilometer. Die Kapazität lässt sich zudem aufrüsten. Der offen montierte Akku lässt sich leicht wechseln. Wer unbedingt will, kann sich einen dritten Akku in die Gepäcktaschen stecken. Die Reichweite reicht also sicher aus. Zumal Ungeübte und Untrainierte auch mit Motor auf einem Rad mit der Zeit ermüden. Ein Nicht-Radfahrer sollte also nicht glauben, er könne Tag für Tag zwölf Stunden im Sattel sitzen, nur weil der Motor die Arbeit macht.
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Für die Tour aber nicht die Erdumrundung
Vom Konzept her ist das Pathlite:ON ein Touren- und Reiserad – aber kein Expeditionsrad. Räder, die gebaut werden, um Afrika zu durchqueren, legen besonderen Wert auf robuste verschleißfreie Komponenten und Radgrößen, die weltweit vertreten sind. Vor allem aber verzichten sie meist auf die Vorderradfederung des Pathlite:ON, um Taschen besser am Vorderrad zu montieren. Das geht beim Pathlite:ON nicht, oder zumindest nicht gut. Hier ist man auf Taschen hinten verwiesen. 25 Kilogramm darf der Träger tragen, das ist immerhin mehr, als man bei einer Flugreise mitnehmen kann. Wer noch mehr einpacken will, ist auf einen Anhänger verwiesen.
Top-Motor an Bord
Beim Antrieb wurde der aktuelle Bosch Performance Line CX verbaut, gemessen an Kraft, Größe und Sensorik gehört er derzeit zur Spitzengruppe der E-Radmotoren. Ob er der "beste" ist, muss jeder für sich entscheiden. Je nach Gefühl und Vorlieben unterscheiden sich die Top-Motoren ein wenig. Trotz der beeindruckenden 75 Newtonmeter Drehmoment bietet der CX das Fahrgefühl eines Rades und unterscheidet sich damit von noch stärkeren Antrieben, die kein echtes Fahrradfeeling aufkommen lassen. Wie immer bei den Mountainbike-Motoren von Bosch gibt es nur drei abgestufte Fahrstufen. Stufe vier – sonst Sport – wird durch einen speziellen Berggang ersetzt, der eine sehr feinfühlige Ansteuerung ermöglicht.
Passend zum Reisezweck wird im Topmodell 9:0 das große Nyondisplay verbaut, auf dem man neben gefühlt tausend Daten auch eine Navigation laufen lassen kann. Die gesammte weitere Ausstattung des Rades ist sehr wertig und durchdacht. Das fängt bei den edlen Handgriffen und dem Brookssattel an und setzt sich über die Shimano-XT-Ausstattung fort. Hier bekommt man viel fürs Geld. Bei der Kassette wurde allerdings gespart. Sie stammt aus der günstigeren SLX-Gruppe. Puristen können das Verschleißteil beizeiten aufwerten. Man kann streiten, ob es immer XT oder eine Vier-Kolben-Bremse sein muss, besser anfühlen tut es sich allemal. Es macht einfach Spaß, das Rad anzufassen.
Für steile Anstiege gerüstet
Hinten arbeitet eine Kettenschaltung mit dem vergleichsweise neuen 1x12 Standard. Der Umwerfer hebelt die Kette hier auch auf sehr große Kränze. Das ist nun keine Besonderheit von Canyon, macht bei E-Rädern wegen des Fehlens eines zweiten oder dritten vorderen Kranzes aber einen gewaltigen Unterschied zu den 1x10-Systemen aus. Das Pathlite:ON ist kein Mountainbike, doch Motor und Schaltung bewältigen jede Steigung. Eine Besonderheit, denn viele Tourenräder werden so ausgeliefert, dass ihnen oberhalb von zehn Prozent Steigung die Puste ausgeht.
Canyon selbst sagt, dass das Rad vorrangig für befestigte Wege gedacht ist. Die 57 Millimeter breiten Schwalbe G-One Reifen sind genoppt, haben also kein Geländeprofil, finden wegen der Breite aber auch auf unbefestigtem Untergrund Halt. Wer viel auf Matsch und Schlamm unterwegs ist, sollte zu Reifen mit mehr Gelände-Grip wechseln. Auch die Beleuchtung - Supernova M99 mini Pro – ist mit ihrem Fernlicht für Touren abseits beleuchteter Wege geeignet.
Komfortable Haltung
Die Haltung auf einem Rad hängt immer auch von der eigenen Körperform und den Einstellungen am Rad ab. Das Pathlite:ON 9.0 ist ein erstaunlich entspanntes Reiserad. Die Haltung neigt sich dezent nach vorn, aber nicht zu sehr. So hat man noch eine gute Sicht bei lockerer Kopfhaltung. Der gerade Lenker bietet eine gute Kontrolle über das Rad. Streiten kann man sich über den Vorbau. Lenker und Vorbau sind aus einem Stück, das sieht schön clean aus, erlaubt ab Serie aber keine Verstellbarkeit.
Ein Leichtgewicht ist ein Rad mit zwei Akkus und 27,5 Kilogramm natürlich nicht. Beim Transport mit dem Fahrradträger sollte man die Akkus vorher entnehmen, um den Träger zu entlasten. Um es täglich in den vierten Stock zu tragen, ist das Rad zu schwer.
An das Pathlite:ON kann man sich schnell gewöhnen. Das Rad überzeugt mit einem unaufgeregten Charakter, was heißt, dass keine Fehler bei der Konstruktion gemacht worden sind. Tatsächlich ist es wendiger, als man von der Größe vermuten würde. Beladen bleibt das Rad sehr steif und gutmütig.
Es ist als Alltagsrad für die Kurzstrecke ebenso gut wie für lange Touren zu gebrauchen. Federung, Bereifung und die direkte Steuerung bewältigen Feld, Schotterwege und leichtes Gelände. Für Fahrradliebhaber kommt das Feeling der edlen Komponenten hinzu, der Unterschied etwa in der Haptik zu der nächstgünstigeren Shimano-Gruppe ist frappierend. Der nicht verstellbare Lenker mag ein Nachteil sein, bei uns passte es optimal. Wäre es ein eigenes Rad, würden wir über ein stärkeres Ladegerät nachdenken, um die 1000 Wh schneller zu befüllen. Auf Touren kann das Standardgerät allerdings besser sein, weil man in der Gruppe nicht mehrere Turbo-Lader an eine Verlängerungsleitung hängen sollte.
Auch etwas billiger
Von der Pathlite-Serie gibt es mehrere Räder. Mit zwei Batterien ist neben dem 9.0 nur das 8.0 ausgestattet. Hier muss man unter anderem auf das große Nyon-Display verzichten, aber dafür kostet das Modell satte 1000 Euro weniger. Benötigt man die extreme Reichweite nicht, sollte man sich die Modelle mit einem Akku ansehen. Allein wegen des Gewichts sollte man die Reichweite des 9:0 zumindest gelegentlich ausnutzen.