So ändern sich die Zeiten: 2008 belegte "klimaneutral" bei der Wahl zum Unwort des Jahres hinter "Herdprämie" den zweiten Platz, 2019 holte sich Klimahysterie diesen Preis. Heute gilt Klimaneutralität als hehres Gut. Bei nahezu jeder Verlautbarung der Autobauer wir die Klimaneutralität als oberstes Ziel ausgegeben. Viele westliche Industrienationen wollen dies bis 2050 erreichen. Doch China, wohin viele als umsatzversprechenden Leitmarkt blicken, hat es nicht ganz so eilig. Dort soll es laut der Berylls-Studie erst 2060 so weit sein.
Chinas duale Strategie

Immerhin hat die Regierung das Ziel ausgegeben, das bereits 2030 mindestens 40 Prozent aller Neuzulassungen auf New Energy Vehicles (NEV) entfallen, also elektrifizierte Fahrzeuge. Diese Vorgabe ist nach Ansicht der Experten der Unternehmensberatung Berylls gehen davon aus, dass bereits 2030 die Hälfte der Zulassungen rein elektrische Vehikel oder Plug-in-Hybride sein werden. Also ist auch im Reich der Mitte das Aus des Verbrennungsmotors besiegelt? Mitnichten. Denn auch der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor legen in China um durchschnittlich jährlich drei Prozent zu, auch wenn der Anteil an den gesamten Neuzulassungen zurückgehen wird.
Also bilden Autos mit Diesel- und Benziner bis 2030 das Rückgrat der chinesischen Mobilität bilden und lediglich knapp ein Drittel des Fahrzeugbestands im Markt BEVs oder PHEVs sein werden. Dagegen sind rund 71 Prozent mit einem Verbrennungsmotor als Hauptantriebseinheit unterwegs, was die Mildhybriden der Fall ist. In absoluten Zahlen sind das laut den Berylls-Berechnungen zu diesem Zeitpunkt rund 300 Millionen Autos, die mit einem Verbrenner unterwegs sein werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich dieser Trend abrupt umkehren wird. Denn ein Grund für die anhaltende Nachfrage ist das Bedürfnis nach bezahlbarer Mobilität bei der immer größer werdenden Anzahl der chinesischen Autofahrer. Ein Phänomen, das in China nicht exklusiv existieren dürfte. Angesichts dieser Tendenzen ist die Entscheidung deutscher Autobauer nachvollziehbar, im Reich der Mitte weiter auf klassische Antriebe zu setzen. Mercedes nutzt die Kapazitäten des Anteilseigners Geely, um Verbrennungsmotoren in China fertigen zu lassen. Auch Audi will nach dem Verbrenner-Aus im Jahr 2033 im größten Automarkt der Welt weiterhin Modelle mit klassischem Antriebsstrang anbieten.
Dazu passt, dass die chinesische Regierung beim Kauf der Elektroautos aktuell einen radikalen Kurswechsel weg zum Fördern hin zum Fordern vollzieht. Die Subventionen beim Kauf eines Elektromobils enden Ende 2022 komplett, nachdem sie zuvor bereits reduziert wurden. Allerdings ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wenn es um die Durchsetzung der anvisierten Ziele geht, ist auch eine Kehrtwende denkbar. Das zeigt aber, dass selbst China sich auf Dauer die Förderprogramme nicht leisten kann beziehungsweise will, und zum anderen, dass der Durchbruch der Elektromobilität auch stark vom Preis der Automobile hängt.
Die chinesische Regierung will auch die Autobauer in die Pflicht nehmen und hat parallel zum Zurückfahren der Subventionen die Dual Credit Policy eingeführt. Die Dual Credit Policy sieht in den nächsten drei Jahren Quoten für die NEV-Produktion vor, zum Beispiel 16 Prozent in diesem Jahr. Erreicht ein Hersteller die geforderte Quote nicht, werden entweder Strafen fällig oder es müssen Punkte von anderen OEMs gekauft werden. Für die chinesische Regierung ist die Elektromobilität eine Ziel-Technologie. In diese Strategie passt auch, dass Peking ein knallhartes Auswahlverfahren durchzieht, bei dem diejenigen lokalen Autobauer unterstützt werden, die global wettbewerbsfähig sind. Von China für die Welt lautet das Motto nach wie vor.
Bis zum Ende der Dekade sollen mehr als 100 Gigafactories mit einer Gesamtkapazität von mehr als 2.000 Gigawattstunden (GWH) den inländischen und weltweiten Hunger nach Energiespeichern stillen. Neben CATL, werden unter anderem Geely, LG Chem und CALB aktiv sein, aber auch lokale Produzenten. Die Regierung in Peking hat auch erkannt, dass alle Anstrengungen, die Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen, wirkungslos verpuffen, wenn die Ladeinfrastruktur mit dem Anwachsen der BEVs nicht Schritt hält. Rund 6.180.000 öffentliche Ladesäulen sollen laut Berylls 2030 in China aufgestellt sein, aktuell sind es 807.000. Zum Vergleich: In Deutschland steigt die Anzahl im gleichen Zeitraum von 45.000 auf 720.000 und in den USA von 110.000 auf 500.000 Ladesäulen. Gerade die US-Zahl zeigt, dass in den beiden größten Automärkten der Verbrennungsmotor noch längst nicht zum Alteisen gehört.