Eberhard Thiesens Showroom in Hamburg-Othmarschen ist eine exklusive Zeitmaschine. Auf rund 750 Quadratmetern stehen in einer ehemaligen Textilfabrik automobile Schätze aus den vergangenen 100 Jahren. Sehr selten, sehr edel und sehr kostspielig: so wie der schwarze Mercedes 770 K von 1931, ein mächtiger offener Viersitzer, der später auch in höchsten Regierungskreisen beliebt war. Dieses spezielle Exemplar aber habe "keine NS-Vergangenheit", betont Thiesen, 65. Es gehörte einst Erik Charell, Regisseur und Betreiber zahlreicher Clubs, Variétes und Theater, dem "König des Berliner Nachtlebens" jener Zeit.
Der Wagen begleitete seinen jüdischen Besitzer auf der Flucht vor den Nazis bis in die USA, erzählt Thiesen, landete später in der Sammlung eines Casinobetreibers in Las Vegas, kam auf verschlungenen Wegen in den Besitz eines bayerischen Unternehmers, der vor einigen Jahren starb. Nun versucht seine Witwe, die gehorteten Schätze möglichst diskret zu verkaufen. Und so steht der perfekt restaurierte Mercedes mit der bewegten Vergangenheit in Thiesens Showroom. "Es war schon zu seiner Zeit der teuerste", sagt der Händler, "und auch bei mir ist er zurzeit der teuerste." Preis: einige Millionen. Genauer festlegen mag er sich nicht.
Ferrari 250 GTO
Überhaupt: Geld. Viel zu viel werde in der Szene darüber geredet, meint der Mann, der sein Geld mit Oldtimern verdient. Thiesen schwärmt lieber von der Historie seiner Ausstellungsstücke, wie der des noblen Hispano-Suiza von 1931, der einst der Waffenproduzenten-Dynastie Browning in den USA gehörte. Für 500.000 Euro ist er fast ein Schnäppchen.

Seit frühester Jugend beschäftigt sich Thiesen mit altem Blech. Für ihn zählt "die Leidenschaft", die aber inzwischen "durch den Wertsteigerungsgedanken erheblich eingetrübt" sei: "Es sind viele Investoren dazugekommen, die aus rein finanziellen Erwägungen kaufen."
Denn es hat sich herumgesprochen, dass alte Autos geradezu fantastische Wertsteigerungen bringen können. Ein Ferrari 250 GTO, der 1965 für umgerechnet 10.000 Euro zu haben war, kostet heute 50 Millionen – wenn eines der weltweit 33 Exemplare überhaupt verkauft wird. Ein Mercedes 300 SL "Flügeltürer" war vor 40 Jahren ein teurer Gebrauchtwagen für umgerechnet 25.000 Euro. Heute geht unter einer Million nichts mehr. Bei manchen Porsche-Modellen haben sich die Preise seit Beginn der 2000er Jahre immerhin verdreifacht.
Die Oldtimerbranche setzt jährlich allein in Deutschland Milliarden um. Daran habe er nur einen "sehr geringen Anteil", kokettiert Thiesen.
Dabei gehört er mit seinen Standorten in Hamburg und Berlin und seinem weltweiten Aktionsradius zu den Großen in der Szene. "Ich kenne nicht alle Sammler in Hamburg, aber alle wichtigen in der Welt", sagt er. Ralph Lauren zum Beispiel, den Modezaren aus New York, in dessen millionenschwerer Kollektion "jedes Auto eine Skulptur für sich" sei. Oder Pink-Floyd-Drummer Nick Mason, der historische Rennwagen liebt. Ehrfurcht vor Promis ist Thiesen fremd. Er verkehrt mit ihnen wie mit anderen guten Kunden auch, denn: "Oldtimerbesitzer", so habe er beobachtet, "kennen keine Barrieren oder sozialen Schranken, wie sie sonst im Geschäftsleben üblich sind."

Thiesen ist ein Mann, der mit bedächtiger Stimme spricht und sich selten aus der Ruhe bringen lässt. Wenn er ins Erzählen kommt, offenbart er ein enzyklopädisches Wissen über Herkunft und Werdegang seiner Verkaufsobjekte. Über seine wichtigsten Autos führt er detaillierte Dossiers. Selbst wenn sie schon vor Jahren durch seine Hände gingen, lässt er sie nicht aus den Augen. Diese intimen Marktkenntnisse und sein internationales Netzwerk sind sein eigentliches Kapital.
Kuverts am Schlagbaum
Der gebürtige Hamburger stieg zu einer Zeit in das Geschäft ein, als Oldtimerfans bestenfalls als schrullige Außenseiter galten. "Sammler waren Randfiguren, Schrauber wurden belächelt", erinnert er sich. In den 1970er Jahren erfuhr er als Besitzer eines alten Mercedes, wie schwierig es war, Teile für das gebrechliche Vehikel aufzutreiben. Deshalb begann er, in Mercedes-Vertretungen systematisch nach alten Ersatzteilen zu fahnden. Mit deutschen Händlern war er rasch durch, deshalb machte er sich auf nach England, später Frankreich und Italien, dann Südamerika und Afrika. Mit Verkäufern in fernen Ländern kommunizierte er meist über antiquierte Fernschreiber, was nicht immer reibungslos lief. Viele Reisen unternahm Thiesen auf Verdacht. "Man wusste nie, was einen erwartet", erzählt er, "das war wie Goldgraben."
Trotz aller Widrigkeiten sei dieses Geschäft "extrem lukrativ" gewesen, berichtet der Teilejäger. Was er vor Ort billig erstanden hatte, konnte er für "Fantasiepreise" an Sammler in ganz Europa weiterreichen. Das lief einige Jahre prächtig. "Aber dann", so Thiesen, "gab es keine Teile mehr." Da kam er auf die Idee, künftig mit ganzen Autos zu handeln.

Das Prinzip blieb dasselbe: im Ausland billig einkaufen und dann möglichst teuer weiterverkaufen. Aber nur selten befanden sich die aufgespürten Oldtimer in fahrbereitem Zustand. So entpuppte sich der Mercedes 500 K Spezial-Roadster aus den 1930er Jahren, den Thiesen durch den Tipp eines Bekannten im indischen Bangalore geortet hatte, bei näherer Betrachtung als Ruine. Der Wagen hatte 20 Jahre mit aufgeklapptem Verdeck im Freien gestanden. "Selbst in dem Zustand war er damals schon zwei Millionen Mark wert", erinnert sich Thiesen. Er habe dem Besitzer erst 300.000, dann 500.000 Mark geboten, ihm jahrelang geschrieben – alles ohne Erfolg. "Das hätte sein Leben revolutioniert, aber er wollte nicht", bedauert Thiesen noch heute. "Von verpassten Gelegenheiten kann ich ein Lied singen. Das vergisst man nicht."
Dagegen war die Schatzsuche anderswo deutlich ergiebiger. In der Sowjetunion waren Suchtrupps in Thiesens Auftrag unterwegs, die "quer durchs Land fuhren", wie er erzählt, "von der Ukraine bis ins Baltikum". In Scheunen und Garagen, teilweise zur Tarnung eingemauert, fanden sie rare deutsche Vorkriegsmodelle von Mercedes, Maybach, Horch oder BMW, die nach 1945 von den sowjetischen Siegern konfisziert worden waren – meist befanden sie sich in erbärmlichem Zustand, zuweilen waren nur noch die Fahrgestelle übrig. Dementsprechend günstig konnte man die Autos erwerben. "Das war wie im Schlaraffenland", sagt Thiesen. Die Ausfuhr der Wracks sei kein Problem gewesen. Der offizielle Weg führte über das Kulturministerium, weil Oldtimer als Antiquitäten einem Exportverbot unterlagen. Thiesen setzte lieber auf die Korruption im real existierenden Sozialismus. "Es gab drei Grenzen: Zoll, Polizei und Militär", sagt er, "und wir hielten an jedem Schlagbaum ein Kuvert raus." So sei man zuverlässig an den langen Schlangen wartender Lkws vorbeigewinkt worden. Sieben Jahre lang reiste Thiesen immer wieder in die UdSSR. Bis die Perestrojka kam.
Messerschmitt Bf 109
Die alte Ordnung zerfiel, stattdessen bekam es der Raritätenhändler mit der russischen Mafia zu tun, die das Oldtimergeschäft als Geldquelle entdeckte und ihren Anteil von dem Deutschen forderte. Die Lage wurde unübersichtlich – und gefährlich. "Der Waffenhandel blühte, und jeder hatte eine Kanone", erinnert er sich. Weil er ständig mit viel Bargeld unterwegs war, legte Thiesen sich einen Leibwächter zu.
Zumal ihn die Suche in immer entlegenere Gebiete führte. Denn er fahndete nun im Sammlerauftrag auch nach Panzern und Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das deutsche Kriegsgerät lag in den Weiten Sibiriens, unterm Eis am Nordmeer oder versunken in Flüssen und war meistens nur aus der Luft zu orten. Eine Messerschmitt Bf 109 bargen Thiesen und seine Helfer in der Nähe von Murmansk, einen Panzer V "Panther" holten sie nahe dem ukrainischen Tscherkassy mit einem Kran aus dem Dnjepr. Bevor sie ihn aus dem Wasser heben konnten, mussten sie den Panzer in vier Teile schneiden. Das Wrack steht heute zusammengeflickt im Technikmuseum in Sinsheim.

Irgendwann war auch in Russland nicht mehr viel zu holen. Die Lust an den großen Expeditionen war Thiesen sowieso vergangen. Schuld war das Internet. "Dadurch sind spektakuläre Funde kaum noch möglich", bedauert er. "Früher war die Recherche entscheidend, heute wird alles gleich ins Netz gestellt." Die "Zeit des Abenteuers" sei vorbei, klagt Thiesen.
Kein Ende des Oldtimerbooms
Den An- und Verkauf von Oldtimern in seinen beiden Vertretungen in Hamburg und Berlin betrachtet er nur noch als "Tagesgeschäft". Seine Expertise nutzt er vor allem, um ausgewählte Kunden beim Ausbau ihrer Sammlung zu beraten oder für sie nach speziellen Modellen zu suchen, was manchmal Jahre in Anspruch nimmt. Das sei "das Belohnendste", meint er, "Freude schenken, jemanden glücklich machen". Und sei es, indem der Betreffende ein paar Millionen für ein neues Sammlerobjekt locker machen darf.
Ein Ende des Oldtimerbooms ist für Eberhard Thiesen nicht in Sicht, selbst wenn die Preise bei einigen Modellen zuletzt etwas nachgaben. "Es gibt immer noch genügend Geld, das sich seine Anlagemöglichkeiten sucht", meint er. Für Spitzenmodelle würden weiter Spitzenpreise gezahlt. Und selbst die Diskussion um Abgasgrenzwerte und Fahrverbote werde die Begeisterung nicht schmälern, erwartet Thiesen, denn: "Das Fahren steht bei den großen Sammlern gar nicht im Vordergrund. Die haben gar keine Zeit dazu."
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