Austin Russell ist das, was man ein Wunderkind nennt. Mit zwei Jahren kannte er das Periodensystem der Elemente auswendig, mit zehn arbeitete er als Software-Berater. Gegen seine Eltern rebellierte er mit elf. Sie wollten ihm kein Handy geben, also baute er eine Nintendo DS-Handheld-Konsole in ein Mobiltelefon um. "Ich weiß noch, wie ich das im Bus auf dem Weg zur Schule gemacht habe", sagte er der Londoner "Times". "Es war eine lustige Sache am Anfang."
Kurz darauf verwandelte er die Garage der Familie in sein Labor und begann mit Lasern zu arbeiten. Mit 16 bekam er einen Job im Forschungszentrum des Beckman Laser Instituts. Mit 17 begann er ein Physikstudium an der Stanford University. Nach wenigen Monaten hörte er dort auf und gründete Luminar, um hier Lasersensorik für autonome Fahrzeuge zu entwickeln. Im Dezember 2020 ging das Start-up an die Börse. Russels Anteil ist etwa 2,4 Milliarden Dollar wert.

Vorlesungen im Schnell-Vorlauf
"Ich war ein Informationsschwamm. Es gab einen Punkt, an dem ich mehr als 1000 Artikel oder Zeitungen pro Tag las und nur überflog, um herauszufinden, wie die Dinge funktionieren." Er hörte sich Vorlesungen an der Universität online an - "aber mein Trick war, sie mit zwei- oder dreifacher Geschwindigkeit abzuspielen". Russel hat weder eine Freundin noch eine Social-Media-Präsenz, da er sich nicht ablenken lassen möchte. Zeit ist knapp. Russell sagt, dass er manchmal "100 oder 120 Stunden pro Woche arbeiten kann, je nachdem, wie intensiv die Arbeit ist". Vom Geniekult hält er aber wenig. "Ich würde gerne denken, dass ich auf der geistig stabileren Seite des Spektrums bin."
Luminar baut Sensoren
Luminar stellt nicht nur Software her. Luminar baut Lidar-Sensoren (Light Detection and Ranging). Das sind kleine Lichtradare. Der Sensor schickt einen für das menschliche Auge unsichtbaren Laserstrahl aus und misst anhand der Reflexion den Abstand zu allen Objekten, auf die er trifft. Aus den Daten wird eine dreidimensionale Karte gebaut, die dem Auto die Welt zeigt, durch die es fährt.
Der Vorteil von Lidar-Systemen ist ihre Detailliertheit und die absolute Genauigkeit aller Messpunkte. Deshalb gilt Lidar als unverzichtbar, wenn es um höchste Sicherheit geht. "Der Punkt ist, dass es einfach ist, ein automatisiertes Auto zu bauen, das 99 Prozent der Zeit sicher ist", sagte Russel dem Blatt. Die Herausforderung besteht darin, das letzte eine Prozent zu eliminieren. Autonome Autos müssen viel sicherer sein als Autos, die von Menschen gefahren werden, davon hat Russel schon als Kind geträumt. Denn es geht nicht nur ums Geld. "Es gibt jedes Jahr weltweit 1,3 Millionen Verkehrstote. Verrückt. Jedes einzelne Jahr. Es ist ziemlich verrückt."
Luminar arbeitet mit Volvo, Daimler Truck und vielen anderen Autoherstellern zusammen. Russel will mit der ganzen Branche ins Geschäft kommen. Sein Ziel ist es, dass die Lidar-Technologie von Luminar standardmäßig in alle Fahrzeuge eingebaut wird. "Unsere Mission ist es, autonome Fahrzeuge sicher und allgegenwärtig zu machen", sagt er. "Und ich denke nicht, dass wir aufhören werden, bis wir in jedem Auto, das produziert wird, ein Luminar-Produkt sehen." Luminar arbeitet daran, die Geräte kleiner und billiger zu machen. Derzeit ist man im Bereich von etwa 1000 Euro angekommen.
Intimfeind Elon Musk
Dabei geht es nicht nur um Technik, es gibt auch eine persönliche Fehde. Denn prominentester Gegner von Austin Russell ist Tesla-Chef Elon Musk. Der nannte die Lidar-Technologie mehrmals einen "Irrweg" und prophezeite jeden Autohersteller, der sich auf sie verlässt, den "Untergang". Tesla setzt vor allem auf Kameras. Sie haben auch unbestreitbare Vorteile. Sie sind wesentlich billiger, haben keine beweglichen Teile und können bei hohem Leistungsvermögen sehr klein sein.
Russell hingegen ist sich sicher, dass ohne Lidar-Sensoren nur ein teilautonomes Fahren möglich sei. Sein Argument geht dahin, dass es in Zukunft denkbar sei, dass KI aus den rein optischen Informationen sehr zuverlässig dreidimensionale Bilder berechnen kann – aber das ist eine Zukunftsvision. Während das Laser-Radar die Aufgaben schon jetzt meistert. Denn Lidar misst die Entfernungen direkt. Kamerasysteme versuchen, auf den Bildern mehrerer Kameras Objekte zu identifizieren, um so die Entfernungen zu berechnen. Die Distanzdaten entstehen erst aus diesen Rechenvorgängen.

Andere Autohersteller – ob Neugründung oder etabliert – sehen im etwas wurschtigen Auftreten von Elon Musk die Chance, an Tesla vorbeizukommen. Sie glauben, Sicherheit sei die Achillesferse von Tesla. Und Lidar ist der Schüssel. Darum ist Austin Russell von Musks Prognose wenig beeindruckt. "Wir arbeiten mit 50 kommerziellen Partnern zusammen. Und so ziemlich alle von ihnen sind mit Elon nicht einverstanden." Er hofft, dass Lidar bis 2025 die Standardlösung für die meisten High-End-Fahrzeuge gelten wird. Um 2030 werde Lidar Standard für alle neuen Fahrzeuge sein. Und im Jahr 2040 werden, so Russells Prognose, die meisten Autos gar keine menschlichen Fahrer mehr haben.