Martin Winterkorn ist zurückgetreten. Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG zieht damit die Konsequenzen aus der wohl größten Krise der Unternehmensgeschichte. Auch wenn der Anlass erst seit wenigen Tagen bekannt war, so ist sein Schritt überfällig gewesen: Eine Täuschungs-Software in Dieselmotoren hatte bei Tests die Einhaltung der gesetzlichen Regeln vorgegaukelt, im Alltag die Abgasreinigung aber ausgeschaltet. Millionen VW, Audi, Skoda und Seat mit Zwei-Liter-TDI-Motoren vom Typ EA 189 bliesen so jahrelang Dreck in die Luft. Aufgeflogen ist das Ganze in den USA, doch die Software steckt nach Firmenangaben in elf Millionen Motoren weltweit.
In der Hand von Juristen
Dass so etwas ohne Wissen des als begnadeter Techniker bekannten und straff von der Spitze führenden Winterkorn passiert ist - kaum vorstellbar. Doch der ehemalige Vorstandschef sagt, er sei sich keines Fehlverhaltens bewusst. Und auch das Präsidium des Aufsichtsrates, das heute fast den ganzen Tag zusammen saß, spricht ihn ausdrücklich von jeder Kenntnis frei. Trotzdem werden sich in den nächsten Monaten verschiedene Staatsanwaltschaften mit dieser Frage beschäftigen. Volkswagen selbst erstattete in Braunschweig Anzeige, in den USA ermittelt man ebenfalls gegen den Konzern. Zumindest sein Nichtwissen wird sich Martin Winterkorn als Chef vorwerfen lassen müssen.
Aber die Personalie Winterkorn ist nur die erste. In den nächsten Tagen werden weitere Köpfe rollen. Das hat das Aufsichtsratspräsidium ebenfalls deutlich gesagt. Auch das ist richtig, denn das System Volkswagen ist gescheitert. Die Art und Weise, wie das Unternehmen mit seinen über 600.000 Mitarbeitern geführt wurde, war anachronistisch. Die Vorstellung, ein kleiner Vorstand könne zentralistisch einen fragilen Monsterkonzern mit zwölf Marken, über hundert Fabriken und hunderten Modellen führen, war absurd.
Trotzdem wurde das in Wolfsburg seit Jahren so praktiziert. Es war ein Management aus dem Firmenjet, mit einem immer älter werdenden Winterkorn, der rastlos von Kontinent zu Kontinent hetzte.
Kein Platz für Ambitionen
Am Ende, mit 68 Jahren, hat er es wohl selber eingesehen und forderte zum Abgang einen personellen Neuanfang. "Endlich", möchte man ausrufen. Endlich sollen neue Leute den Konzern führen. Das Problem dabei: Es gibt bei Volkswagen kaum junge und unverbrauchte Manager. Denn unter Winterkorn wurden Ambitionen und Führungsstärke nicht vergolten. Scharenweise verließ frustriertes Spitzenpersonal den Konzern. Gezielter Aufbau von kreativen Jungmanagern? Fehlanzeige. Es herrschte eine Kultur, in der solide Techniker zu Technokraten weitergebildet wurden. Charisma war nicht gewünscht, Blässe die Norm.
Die wenigen Lichtblicke im Personaltableau stammen von außerhalb. Allen voran Herbert Diess. Er kam von BMW nach Wolfsburg und fing erst im Juli als Markenchef von Volkswagen an. Nun dürfte der 56-jährige Manager, der damit für Volkswagen-Verhältnisse eher jugendlich ist, ganz nach oben kommen und Martin Winterkorn beerben.
Weitere werden ihm folgen
Fast im Alleingang müsste er dann den Skandal bewältigen und die Unternehmenskultur reformieren. Vom alten Team Winterkorn werden ihm dabei nur wenige helfen: Audi-Technikvorstand Ulrich Hackenberg war Winterkorns engster Vertrauter in Entwicklungsfragen. Damit trägt er eine ähnliche Verantwortung wie sein Chef. Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch soll eigentlich demnächst Aufsichtsratsvorsitzender werden. Jetzt muss er sich mit Milliardenschweren Sammelklagen wegen angeblich unterlassener Information der Finanzmärkte rumschlagen. Ende offen. Und selbst Porsche-Chef Matthias Müller, der oft als möglicher Interimschef genannt wird, ist nicht völlig unbelastet: Im Jahr 2009, als offenbar die ersten manipulierten Fahrzeuge in den USA verkauft wurden, kümmerte er sich in Wolfsburg als Leiter der Produktstrategie um alle Konzernmarken weltweit. Sein direkter Chef: Martin Winterkorn.