Keine andere Wüstenrallye ist so legendär wie die Dakar. Über 8.500 Kilometer durch Saudi Arabien – davon mehr als 4.700 auf Zeit – legten die Teilnehmer in diesem Jahr in 16 Tagen zurück. Quer durch die unterschiedlichsten Wüstenformen, von steinig bis zu turmhohen Sanddünen. Häufig waren sie dabei auf sich alleine gestellt, denn die Zahl der Etappen ohne Servicemöglichkeiten war in diesem Jahr größer als sonst. Fahrer und Beifahrer mussten entsprechend über Nacht technische Reparaturen oder Unfallschäden selbst beheben.Dass dieser Marathon Triumpfe und Tragödien schreibt, ist logisch. Und auch, dass er Piloten und Beifahrer zu Helden macht. Eine dieser Paarungen ist Nasser Al-Attiyah und Mathieu Baumel. Die beiden gewannen mit ihrem Werks-Toyota GR Hilux die Rallye Dakar 2023. Schon die völlig verregnete dritte Etappe hatte sie an die Spitze gespült, die sie bis zum letzten Tag nicht mehr hergaben. Zwar profitierten sie im Verlauf der Rallye auch vom Pech anderer, verstanden es aber, ihren großen Vorsprung taktisch geschickt zu verwalten. Für Al-Attiyah ist es bereits der fünfte Sieg bei der Dakar.
Zu Helden wurden auch Rekord-Rallyeweltmeister Sebastien Loeb und sein Co-Pilot Fabian Lurquin. Unterwegs im Prodrive Hunter, einer britischen Spezialentwicklung, die vom BRX-Team eingesetzt wird, waren sie zu Beginn der Geheimtipp hinter den favorisierten Werksmannschaften von Toyota und Audi. Reifenschäden und ein Unfall auf der fünften Etappe warf das Duo weit hinter die Führenden zurück. Mehr als zwei Stunden Rückstand auf die Spitze schienen aussichtslos zu sein. Doch Loeb fuhr wie ein Besessener, setzte alles auf eine Karte und schaffte es, sechs Wertungsprüfungen in Folge zu gewinnen. Das hatte bislang noch niemand bei der Rallye Dakar geschafft. Am Ende brachte ihm die wilde Aufholjagd Rang zwei im Gesamtklassement ein.
Heldenhaft war auch Rallyestar Carlos Sainz unterwegs. Nachdem die drei elektrisch angetriebenen Werks-Audi durch Pech, Defekte und Unfälle während der ersten Hälfte der Rallye mit aussichtslosen Rückständen zurückgefallen war, folgte der Spanier der Devise seines Teamchefs. Noch möglichst viele Etappensiege zu erringen, hatte Rolf Michel seinen beiden Piloten Sainz und Ekström mit auf den Weg gegeben – der dritte Audi von Stéphane Peterhansel war bereits durch einen Unfall ausgeschieden. Und Sainz gab Gas, gewann Etappe acht, fing sich aber eine Zeitstrafe ein. Auf Folgeetappe übertrieb er es jedoch und überschlug sich mit dem Audi RS Q e-tron an einem Dünenkamm. Dass er mit Schmerzen vom Rettungshubschrauber geborgen wurde, passte „El Matador“ gar nicht: Nach 20 Minuten Flugzeit wies er den Piloten an, zu wenden und zur Unfallstelle zurückzukehren, wo Beifahrer Lucas Cruz auf ihn wartete. Doch alles Engagement half nichts. Nach mehreren Stunden stellte sich der Wagen als irreparabel heraus.
Zu den großen Heldentaten gehört auch der Auftritt des völlig unbekannten, jungen Brasilianers Lucas Moraes und seines deutschen Beifahrers Timo Gottschalk. Für Moraes war es die erste Dakar-Teilnahme überhaupt. Aber mit der Ruhe eines Vollprofis und der Gelassenheit eines alten Haudegens fuhr der Toyota-Pilot konstant schnell, hielt sich aus unnötigen Positionskämpfen mit Sebastien Loeb heraus und landete im Schlussklassement auf Rang drei. Ähnlich konstant war auch die letzte verbliebene Audi-Paarung unterwegs, Mattias Ekström und Emil Bergkvist. Statt um spektakuläre Etappensiege zu kämpfen, ging es ums zuverlässige Ankommen: Immer auf den Plätzen zwei, drei oder vier waren sie zwar nie ganz vorne, zeigten aber das Potenzial des Autos, dem von so vielen so viel mehr zugetraut worden war.
Nach der Dakar ist vor der Dakar. „Eigentlich sind wir jetzt schon wieder zu spät für die Weiterentwicklung dran“, grämt sich Audi- Techniker Benedikt Brunninger: „Allein die Fertigung der Carbonteile dauert unglaublich lange.“ Und Aufgaben gibt es genügend, nicht nur für die Teams. An erster Stelle sind der Veranstalter und der Automobilweltverband gefragt, das Reifenproblem zu lösen. Alle Autos sind mit Einheitsreifen unterwegs, die in diesem Jahr reihenweise zu Reifenschäden führten. Mattias Ekström hatte auf einer Etappe gleich drei davon. Dabei sind die Fahrzeuge nur mit zwei Ersatzrädern ausgestattet. Hauptproblem ist, dass der Reifentyp entwickelt wurde, als die Autos noch 200 bis 300 Kilogramm leichter sein durften.
Nicht weniger drängend ist die Frage, wie man die Veranstaltung und die zugehörige Raid-Rallye-Weltmeisterschaft umweltfreundlicher machen kann. Den Einsatz einer Hybridtechnologie, wie sie in der Rallye-Weltmeisterschaft WRC verwendet wird, lehnen die meisten Teams und Hersteller ab. Sie machen die Fahrzeuge erheblich teurer und aufwändiger, was zu einem dramatischen Rückgang an Privatteams in der WRC geführt hat. Und mehr noch als dort gilt bei der Rallye Dakar, dass sie in erster Linie von privaten Teilnehmern getragen wird, nicht von einem knappen Dutzend Werkswagen. Dass sich Audi an dieser Diskussion nicht beteiligt, ist angesichts des Antriebskonzepts des RS Q e-tron logisch. Dafür gibt es aber genügend andere Baustellen für die Rallye Dakar 2024.