Amazons Kindle Fire HD Feuer frei im Tablet-Krieg

  • von Karsten Lemm
Amazon geht in die Offensive: Mit dem Kindle Fire HD startet der Onlinehändler einen Frontalangriff auf Apple und Google. Seine schärfste Waffe: der Preis.

Jeff Bezos lässt auf sich warten. Wumm, wumm, wumm, donnert der Bass aus den Lautsprechern, während eine Disco-Sängerin flötet: "Fire away, fire away ..." Das tut der Amazon-Chef dann tatsächlich, als er kurz darauf die Bühne betritt, in einer ausgedienten Flugzeughalle am Airport von Santa Monica, die sein Unternehmen für diesen Morgen angemietet hat. Schon der Ort der Pressekonferenz soll zeigen: Heute geht es um das Außergewöhnliche. "Kunden sind schlau", sagt Jeff Bezos gleich zum Auftakt der Veranstaltung, und dass Tablet-Rechner mit Googles Android-Software bisher kaum Freunde gefunden hätten, sei auch gar kein Wunder: Solche Geräte "sind Gadgets", Spielzeug also, lästert Bezos. "Und die Leute wollen keine Gadgets mehr. Sie wollen Dienste, die immer besser werden: jeden Tag, jede Woche, jeden Monat. Jahr für Jahr."

Wumm! Internetdienste, so sieht es Bezos, sind traditionell eine Stärke seiner eigenen Firma; seit Jahren schon ist Amazon dabei, unterschiedliche Angebote aufzubauen, die online ihre Stärken ausspielen. Erst kam der Kindle als digitales Taschenbuch mit schier endloser Auswahl aus dem Amazon-Buchladen; dazu Musik, Filme und Videos - zum Kaufen und Herunterladen oder immer öfter auch als persönliches Unterhaltungsprogramm per Abruf aus dem Netz.

Hardware als Service

Genau dazu hatte Amazon im vorigen Jahr den Kindle Fire vorgestellt, ein Multimedia-Tablet für gerade mal 200 Dollar, das mehr dem größeren, teureren iPad ähnelt als seinen schwarzweißen, literaturverliebten Kindle-Brüdern: Farb-Display, Fingergesten, Musik und Videos via Streaming, wann immer, wo immer. "Der Kindle Fire ist ein Service", sagt Bezos: eingebettet in das Amazon-Angebot, nicht einfach ein Gerät für sich allein. Was das bedeutet, führt er anschließend an zwei neuen Modellen vor, Kindle Fire HD genannt, die auch Apple, dem bisher unangefochtenen Tablet-Marktführer, das Leben schwerer machen sollen.

Schneller ist der Fire HD, er besitzt einen hochauflösenden Bildschirm mit 7-Zoll-Diagonale (17,8 Zentimeter), dazu 16 Gigabyte Speicher, Dolby-Sound, WLAN und eine Frontkamera für Videotelefonie, etwa mit Skype. Zum Kampfpreis von 199 Euro bringt Amazon diesen Fire HD im Oktober erstmals auch nach Europa. Die zweite HD-Variante dagegen, mit einem 8,9-Zoll-Display und mehr Speicherplatz, bleibt vorerst Kunden in den USA vorbehalten. Amerikaner können sich aussuchen, 299 Dollar für ein reines Wlan-Tablet zu zahlen oder 499 Dollar für einen Kindle Fire, der mit der jüngsten Mobilfunktechnik 4G/LTE auch unterwegs überall im Netz surfen kann. Den Vertrag dazu bietet Amazon gleich mit an - für lediglich 50 Dollar im ganzen Jahr, Hunderte von Dollar billiger als seine Rivalen. Allerdings sind dabei lediglich 250 Megabyte an Übertragungsdaten pro Monat inbegriffen.

Die Software hat dazugelernt

Wer aufs HD-Display verzichten will, kann zum ursprünglichen Kindle Fire greifen, den Amazon leicht aufgefrischt weiterhin anbietet: 159 Euro beträgt damit in Deutschland der Einstiegspreis in Amazons digitales Unterhaltungsprogramm, das nach Angaben der Firma mehr als 22 Millionen Filme, Lieder, Bücher, Fernsehserien und Videospiele umfasst. Die Kindle-Software - bisher in den Augen vieler Kritiker noch unausgereift - ist deutlich überarbeitet worden und hat einige Tricks dazugelernt. Die "X-Ray"-Funktion etwa lässt Nutzer wie mit einem Röntgenblick ins Innere von Filmen aus der Amazon-Videothek schauen: Auf ein Fingertippen hin pausiert der Film, und auf dem Bildschirm erscheinen Informationen zu Schauspielern, Regisseuren und verwandten Titeln. Ähnlich zeigt der Kindle bei Büchern Autoren-Biografien, Handlungsstränge und weiterführende Wikipedia-Einträge. Eltern erlaubt Amazon es künftig, für übereifrige, junge Kindle-Nutzer festzulegen, wie lange sie spielen, schauen, lesen dürfen.

Die Fülle an neuen Funktionen soll Amazons Anspruch untermauern, ein ernstzunehmender Herausforderer traditioneller Hardware-Hersteller zu sein. Der erste Kindle Fire galt vielen Beobachtern noch als Versuch, mit einem Billigtablet preisbewusste Nutzer dazu verleiten, sich möglichst viel im Internet zu tummeln und dabei bei Amazon einkaufen zu gehen. Das aber ist Bezos längst nicht genug. "Das beste Tablet überhaupt" wolle er anbieten, ganz unabhängig vom Preis, betont der Amazon-Chef mehrfach an diesem Morgen. Und mehrfach auch nimmt er den großen Rivalen Apple ins Visier – zeigt Tabellen, die seinen feurigen Kindle mit dem iPad vergleichen, und stichelt: "Wir wollen Geld verdienen, wenn Menschen unsere Geräte nutzen, nicht wenn sie unsere Geräte kaufen." Wäre es anders, so Bezos, könnte Amazon versucht sein, die große Auswahl im Kindle-Buchladen "dazu zu nutzen, dass Menschen einzig unsere eigenen Geräte kaufen". Das ist ein Vorwurf, den Apple sich immer wieder anhören muss, weil der iTunes Store nur mit der Dreifaltigkeit iPod-iPhone-iPad zusammenspielt.

Amazon ist nicht so offen, wie es tut

Was Bezos verschweigt: Auch Amazon baut seinen eigenen Garten mit einem Zaun darum herum. Zwar lassen sich Kindle-Bücher mit Amazon-Apps auch auf Apple- und Android-Geräten lesen; doch gespeichert sind sie in einem Dateiformat, über das Bezos eifersüchtig wacht. Obendrein verwendet der Kindle Fire eine so spezielle Variante des Android-Betriebssystems, dass er eigene Software verlangt - aus Amazons eigenem App Store. "Der größte Schwachpunkt des Kindle Fire ist, dass er sich nicht mit Standard-Androidsoftware verträgt", urteilt Danny Sullivan, Technikanalyst und Chefredakteur des Blogs SearchEngineLand. "Für Kunden, die bestimmte Apps nutzen möchten, kann das zum Problem werden."

Mit der neuen Kindle-Kollektion versucht Amazon auch, sich gegen einen Vorstoß von Google auf sein eigenes Territorium zu wehren: Gerade hat der Suchmaschinenriese mit dem Nexus 7 selbst ein Mini-Tablet für 199 Dollar vorgestellt, das auf Medienkonsum abzielt und eng mit Googles Angeboten für Bücher, Musik, Spiele und Videos verknüpft ist. "In gewisser Weise entscheidet man sich als Kunde nicht mehr nur für ein Gerät, sondern auch für die Bibliothek an Inhalten, die dahinter steht", sagt Sullivan.

Strahlend weiß

Und während Jeff Bezos immer neue Lizenzverträge unterzeichnet, um sein Angebot an Musik und Filmen auszubauen - bisher liegt Amazons Stärke vor allem beim Lesen. Weder Apple noch Google noch sonst jemand verkauft so erfolgreich Bücher wie der Onlinehändler aus Seattle. Da ist es nur konsequent, dass Bezos auch für Leseratten Neuigkeiten hat an diesem Donnerstagmorgen: Der Kindle in Schwarzweiß bekommt künftig den Namen "Paperwhite", weil das Display kontrastreicher geworden ist und mehr Details zeigt – ein Stückchen näher am Ideal des gedruckten Papiers. Außerdem ist nun eine Beleuchtung eingebaut, damit es sich auch im Schummerlicht leichter lesen lässt. "Perfekt für das Schlafzimmer, genau wie bei Sonnenschein", frohlockt Bezos.

Draußen strahlt die kalifornische Sonne, als die Veranstaltung zu Ende ist, so gleißend hell, dass jedes Smartphone und jedes iPad zum Spiegel wird. Strandwetter. Kindle-Wetter?

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