Scheibes Kolumne Versiffte Autobahn-Klos

Die Vorzüge der modernen Zivilisation schwinden ganz schnell, wenn man die eigenen vier Wänder verlässt. Das musste auch stern.de-Autor Scheibe feststellen, als er von Berlin nach Paderborn sauste. Den Kaffee davor hätte er sich besser verkneifen sollen.

Liebe Leser, es ist an der Zeit, ein heikles Thema anzuschneiden. Doch ich möchte nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern lieber ganz langsam die Spannung aufbauen.

Zuhause ist alles gut

In meinen eigenen vier Wänden befinde ich mich längst im nächsten Jahrtausend. Mein Computer ist mein Castle. Ich arbeite an dem Ding, schaue im Fenster fern und höre meine Musik direkt von der Festplatte. Was ich so zum Leben brauche, bestelle ich direkt im Internet. Und selbst einen Trip zur "Blue Man Group" in Berlin buche ich per Mausklick, anstatt zur Abendkasse zu fahren.

Doch jeder, der halbwegs klug ist, weiß, dass es oft nur ein paar Schritte bedarf, um die Fesseln der Zivilisation vollständig abzuschütteln und in der Steinzeit zu landen. Mir ging das am letzten Mittwoch so. Da wollte ich mal eben schnell mit dem Auto nach Paderborn fahren, um einen Geschäftspartner zu besuchen. Normalerweise haue ich mir dann morgens nur noch rasch eine Cola hinter die Binde, um wach zu werden. Dann kann ich stundenlang fahren, ohne zwischendurch aufs Klo zu müssen. Ein Zustand, um den wir Männer von allen Frauen beneidet werden, die sozusagen bei jeder Abfahrt einmal anhalten müssen.

Alles kam anders

An diesem Mittwochmorgen war ich aber ganz besonders müde. Und so knallte ich mir erst einen Kaffee hinter die Binde und dann noch einen Energy Drink. Kein Wunder. In der Nacht zuvor hatte ich noch bis morgens um zwei gearbeitet. Morgens dann um sechs aufstehen - das sind nur vier Stunden Schlaf. Dank der osmotischen Wirkung der beiden Getränke erwischte mich das Gefühl aber gleich hinter der ehemaligen Transit-Strecke in Helmstedt: Junge, du musst ganz dringend mal auf die Toilette.

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Nun hasse ich es, unterwegs anzuhalten, wenn ich gerade so schön am Fahren bin - und ließ deswegen lieber drei, vier Tankstellen mit Gasthof an mir vorbeisausen. Nachdem ich aber schon einmal mit einem solchen Gefühl der unbedingten Dringlichkeit mitten in einen Stau hineingefahren und dann wartenderweise fast geplatzt bin, wollte ich es nicht noch einmal darauf ankommen lassen. Und so hielt ich dann doch bei einem kleinen Parkplatz inklusive Klohaus. Das war doch perfekt: Anhalten, reinhüpfen, den Kaffee loswerden und danach gleich wieder ab ins Auto.

Der Schein trügt

Von außen sah das Klohäuschen sehr nett aus. Ein ziegelroter Backsteinklotz mit je einem Eingang für Männchen und Weibchen. Kaum hatte ich aber die Tür aufgezogen, hieb mich der strenge Raubtierhausgeruch fast um. Genau in dieser Sekunde verabschiedete ich mich von den Vorzügen der Zivilisation und kehrte wieder in die Steinzeit zurück. Drei Pissoirs hingen nebeneinander an der Wand. Die beiden äußeren waren bereits besetzt - von zwei muskelbepackten Truckern, die so breit waren, dass ich mich mit Gewalt hätte zwischen sie drängen müssen. Dazu war ich aber nicht bereit. In der schummrigen Atmosphäre hätten sie das vielleicht als Aufforderung zu einem Techtelmechtel missverstehen können.

Also ging ich ins ins abgetrennte Klobabuff, das sich aber leider nicht abschließen ließ. Wozu auch? Hier wechselte ich gefühlsmäßig plötzlich von der Steinzeit in ein heruntergekommenes Urwaldgefängnis irgendwo im südamerikanischen Busch. Mitten im Raum stand einsam und verlassen ein silbermetallenes Klo ohne Deckel, in dem eine dunkle Brühe mit seltsam undefinierbaren Bröckchen schwamm. Klopapier gab es nicht, eine Bürste auch nicht. Todgeweihte, die ihr diesen Raum betretet, lasset alle Hoffnungen fahren!

Bloß nicht sitzen!

Frauen fordern ihre Männer gerne auf, sich beim Pinkeln besser hinzusetzen. No way! Auf diesem Klorand sitzen sicherlich Bakterien, die jeder einem dunklen Kriegsgott dienende Wissenschaftler nur allzu gerne in seine schmierigen Finger bekommen hätte. In diesem Außenposten des Universums musste man sicherlich schon froh sein, wenn man mit einem noch Monate später gut sichtbaren grünlich-juckenden Ausschlag das Weite nicht nur sucht, sondern auch findet. Mit Todesverachtung im Blick und aus der größtmöglichen Entfernung "zielte" ich und brachte die Sache so schnell wie möglich hinter mich. Die Erleichterung war groß, als ich an den beiden Truckern vorbei aus dem Häuschen wieder in die Sonne huschen konnte. Bloß weg hier.

In Paderborn der nächste Fehler: Ich trank noch einen Kaffee! Als ich dann abends wieder nach Hause sauste, brachte ich wieder nicht die Vier-Stunden-Distanz hinter mich. Diesmal hielt ich aber an einem ordentlichen Gasthof an. Und siehe da. Ich mogelte mich an einem Wache schiebenden Klomann vorbei und staunte über edle und blankpolierte Keramikbecken an den Wänden. Alles war sauber und gepflegt. Auch der Abstand von einem Becken zum anderen war größer als ein "gefühlter" Trucker. In dieser Atmosphäre kann man(n) sich herrlich entspannen. Da fehlte nur noch ein Aufsatz im Pinkelbecken - etwa ein Tor mit Ball, den man mit seinem Strahl in selbiges lenken kann.

Vision

In Augenhöhe informierte ein Text darüber, dass dieses Pinkelbecken wasser- und chemiefrei funktionierte. Komisch: Ich war fertig, als ich auch mit dem Text fertig war. Absicht oder Zufall? Auf jeden Fall kam mir in diesem Moment die Vision, wie man die öffentlichen Klos aus der Steinzeit ins nächste Jahrtausend holen kann: Internet-Displays in Augenhöhe, die ständig aktuell die neuesten Artikel aus stern.de zeigen. Da würde man dann auch viel lieber Pinkelpausen an Deutschlands Autobahnen einlegen. Bis es so weit ist, werde ich mir aber in Zukunft einen Kaffee verkneifen.

Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania

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