Dass es Counterstrike überhaupt noch gibt. Wo doch schon seit Jahren viel perfidere, weil realistischere Spiele im Umlauf sind. Die umwerfende wie asoziale Gangsterserie "GTA" etwa. Nicht nur, aber auch ein Ego-Shooter. Was gibt es noch? "Crysis", "Call of Duty", "Halo" und so weiter und so fort - moralisch alle genauso bedenklich wie der "Killerspiel"-Klassiker "Counterstrike", nur längst nicht so umstritten. Oder besser gesagt: nicht mehr so umstritten.
"Killerspiele führen zu Amokläufen. Basta"
Kaum begann die Aufarbeitung des fürchterlichen Blutbads von München, fiel auch schon der Satz, der, es war zu befürchten, eine zu Recht vergessene Diskussion an die Oberfläche zurückzerrte. Der Satz lautete: David S., der mordende 18-Jährige, habe "Counterstrike" gespielt. Die Reaktion darauf, der Standard-Kurzschluss der Nuller Jahre: "Killerspiele führen zu Amokläufen und gehören deshalb verboten. Basta!" Damals eine vor allem unsäglich geführte Debatte, die ihren unrühmlichen Höhepunkt 2009 in der Forderung fand, selbst ein harmloses Fantasyspektakel wie "World of Warcraft" verbieten zu wollen.
Das alles ist, wie gesagt, eine gefühlte Unendlichkeit her - doch der erste Reflex älterer Herren und Damen, die auffallend häufig aus der CSU kommen, hat sich über auch die Jahre nicht geändert. Wie viele Tote hat es durch "Counterstrike"-spielende junge Männer seitdem gegeben? Und wie viele Tote in der gleichen Zeit durch alkoholisierte Autofahrer?
Sollen nun auch Bücher verboten werden?
Ohne an dieser Stelle allzu polemisch zu werden: Aber David S. hat auch Bücher gelesen. Unter anderem, wie es heißt, "Amok im Kopf", eine Art Klassiker zum Thema Amokläufe von Schülern. Vielleicht wird der junge Mann irgendwann auch einmal die Bibel in der Hand gehabt, Brot gegessen und Wasser getrunken haben. Er wird Nachrichten im Fernsehen geschaut haben und möglicherweise hat er sogar Pokémons gesammelt. Niemand käme deswegen auf die Idee, Bücher, Wasser, Nachrichten und Pokémons zu verbieten.
Aber natürlich gilt auch: Wissenschaftlich ist der Einfluss von Ballerspielen auf Bluttaten wie nun in München noch immer nicht vollends geklärt. Es gibt durchaus ernstzunehmende Stimmen, die einen unmittelbaren Zusammenhang sehen, andere wiederum glauben, dass umgekehrt ein Schuh draus wird: Dass nämlich Menschen mit psychischen Problemen dazu neigen, ihren Hass oder Frust oder ihre Gewaltphantasien (zunächst) in Ballerspielen auszuleben. Dafür würde sprechen, dass Abermillionen von Teenagern und Erwachsenen täglich virtuell auf Menschenjagd gehen, aber nur ein sehr, sehr, sehr kleiner Teil von ihnen dies auch im echten Leben macht.
Jeder Heroin-Junkie hat auch mal Gras geraucht
Am Ende ist es die gleiche Diskussion wie bei Drogenkonsumenten: Wer Heroin-, Chrystal Meth oder Kokainabhängige nach ihrer Vorgeschichte fragt, wird zu hören bekommen, dass er oder sie irgendwann mal Gras geraucht haben wird. Ziemlich sicher werden auch Alkohol oder Zigaretten im Spiel gewesen sein - aber auch hier gilt: Jeder Junkie ist oder war auch mal Kiffer, aber nicht jeder Kiffer wird zum Junkie. Die Kriminalisierung von Schwerstabhängigen aber, und das zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte weltweit, helfen weder den Betroffenen noch der Gesellschaft - Ähnliches dürfte wohl, wenn auch in anderer Form, für die Kriminalisierung von Computerspielen gelten.
Die Tatsache, dass selbst gestandene Fachleute die ewige Frage nach der Henne und dem Ei, nach Ursache und Wirkung, nicht beantworten können, könnte auch daran liegen, dass es keine klare Antwort gibt. Statt eine abgestandene und mangels Lösungen sinnlose Diskussion immer und immer wieder aufzuwärmen, wäre es interessanter einmal schmerzhaftere Fragen zu stellen: Warum ist Gewalt eigentlich ein Tabu-Thema? Warum werden schon Kleinkinder nach einer harmlosen Rauferei zum Psychologen geschleppt? Warum brüsten wir uns, mit Worten zu kämpfen und setzten uns dennoch vor den Rechner und schießen mit großer Freude auf virtuelle Gegner? Was macht eigentlich ein barbarischer Krieg wie der Islamische Staat ihn führt, für unzählige Menschen so attraktiv? Und was tut unsere Gesellschaft eigentlich für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, einen unbändigen Blutdurst verspüren?