Dass Tim Cook heute das wertvollste Unternehmen der Welt führt, verdankt er vor allem seinem Blick für Details. Bevor er 2011 den Chefsessel von Apple-Gründer Steve Jobs übernahm, hatte sich Cook dessen Vertrauen mit einem Mammutprojekt erarbeitet. In jahrelanger Arbeit hatten er und sein Team eine Lieferkette aufgebaut, die so robust und effizient war wie keine der Konkurrenten - und so Apples Siegeszug ermöglicht. Jetzt muss er sie neu denken.
Denn Apples gigantischer Erfolg war nicht nur auf der visionären Idee des iPhones und seiner Umsetzung aufgebaut. Mindestens genauso wichtig war, dass der Konzern auch durch Schwierigkeiten hindurch immer zuverlässig liefern konnte. Und durch die enorme Kosteneffizienz dabei riesige Gewinnmargen vorzuweisen hatte. Die wichtigste Säule dafür war das von Cook aufgebaute hochkomplexe Geflecht aus Zulieferern und Produktionsstätten in China. Doch genau die wankte in den letzten Jahren zunehmend.
Kein einfacher Ausstieg
Schon zu Beginn der Corona-Pandemie hatte Apple angesichts der ersten Lockdowns in chinesischen Städten begonnen, sich nach Alternativen umzusehen. Und sich deutlich breiter aufgestellt. Die Produktion der beliebten, aber technisch weniger komplexen Airpods wurde teilweise nach Vietnam ausgelagert. Auch in Indien streckte man vorsichtig seine Fühler aus. Angesichts der zunehmenden Eskalation des Infektionsgeschehens im Reich der Mitte legt der Konzern dort nun einen ordentlichen Zahn zu. Nach aktuellen Berichten plant der Konzern, bis 2027 die Hälfte aller iPhones in Indien fertigen zu lassen.
Dass die Umstellung langwierig ist, hat einen einfachen Grund. Anders als viele andere westliche Unternehmen hat Apple nicht einfach seine Fertigung nach China ausgelagert, um Kosten zu sparen. Stattdessen hatte sich der Konzern in einem feinmaschigen Netz aus Unternehmen, Fabriken und spezialisierten Arbeitern vor Ort geradezu ein vollständig neues Geschäft aufgebaut.
Über Jahre waren Spitzenentwickler, Designer und Ingenieure des Konzerns teils Monate vor Ort gewesen, um alles exakt auf die Bedürfnisse und Anforderungen Apples anzupassen, von den perfekt ausgebildeten Angestellten bis zu exakt nach Apples Vorstellungen gestalteten Maschinen. Es sei nicht so, dass Apple vom Know-How vor Ort angezogen worden sei, sagte der auf Lieferketten spezialisierte Wissenschaftler Kevin O’Marah gegenüber der "Financial Times". Im Gegenteil: Die Technik-Kompetenz gebe es, "weil Apple dorthin ging und sie aufgebaut hat".
Komplex, robust und effizient
Jahrelang war genau das ein riesiger Faktor im Erfolg des Konzerns. Als in Folge des Homeoffice-Booms ein Mangel an Chips viele Hersteller in Lieferschwierigkeiten brachte - Sonys Playstation 5 ist auch zwei Jahre nach Erscheinen nicht immer ohne weiteres erhältlich -, schien Apple als einziger Hersteller quasi komplett unbeeindruckt davon. Es werden nach wie vor 95 Prozent aller wichtigen Apple-Produkte in China gefertigt.
Und obwohl Chinas Smartphone-Hersteller nirgendwo sonst so erfolgreich sind wie in der Heimat, ist der chinesische Markt mit seiner schieren Größe auch für Apple nicht wegzudenken: Ein knappes Fünftel seiner Einnahmen macht Apple direkt in China.
China wird zum Problem
Nachdem Apple jahrelang von der engen Bindung an China profitierte, entwickelt sie sich in den letzten Jahren zunehmend zu einer Bürde - finanziell wie politisch. Wohl auch weil durch die strikten Corona-Maßnahmen in China viele Fabriken stillstanden, sanken die Verkäufe im letzten Weihnachtsquartal deutlich. Bis zu sechs Millionen iPhones weniger soll Apple in seinem wichtigsten Quartal des Jahres abgesetzt haben. Das entspricht einem Rückgang um knapp 7,7 Prozent.
Gleichzeitig wächst der Druck der Heimat. China wird in den USA zunehmend als größter globaler Konkurrent wahrgenommen, die chinesische Härte gegenüber dem eigenen Volk geradezu als Gegenmodell zum selbsternannten "Land of the Free".
Vor allem Apples Rolle in den Protesten gegen die drakonischen Corona-Maßnahmen sorgte für Gegenwind. Als die Protestierenden Apples Drahtlos-Technologie AirDrop nutzten, um auf den Demos Bilder zu verschicken, beschränkte der Konzern kurz darauf die Möglichkeit zum Teilen von Dateien darüber. Kritiker werteten das wegen des Zeitpunkts als Einknicken des Konzerns gegenüber der chinesischen Regierung.
Suche nach Alternativen
Sich weniger abhängig von China zu machen, dürfte für Apple allerdings extrem schwer werden. Kaum ein anderes Land bietet die Kombination aus großer Bevölkerung, teils hochgebildeten Arbeitskräften und der entsprechenden Infrastruktur. In Apples Fall kommt der hohe Spezialisierungsgrad der Liefer- und Produktionsketten erschwerend hinzu.
Wie schwer das werden kann, zeigen die ersten Gehversuche in Indien und Vietnam. Bereits 2017 begann Apple, in Südasien seine günstigeren iPhone SE zu fertigen. So nahtlos wie in China ist die Produktion allerdings nicht. "Es gibt dort keine Zulieferer", erklärt Analyst Steven Tseng gegenüber der "Financial Times". "Sie müssen alles aus China einschiffen." Die entsprechende Infrastruktur und das Knowhow aufzubauen, um auch die Highend-Modelle dort fertigen zu können, wird Apple vermutlich noch Jahre kosten.
Eine Abkürzung erhofft Apple sich offenbar durch einen cleveren Trick: Man nimmt seine bereits etablierten Partner einfach in die neuen Produktionsländer mit. Der taiwanische Fertigungsgigant Foxconn baut etwa auch in Indien die iPhones des US-Partners. Diese Strategie scheint Apple nun ausweiten zu wollen. Nach Berichten von "Bloomberg" genehmigte Indien gerade auf Druck des Konzerns mehr als einem Duzend Zulieferern, ihr Geschäft auch auf den südasiatischen Staat erweitern zu dürfen. Die Unternehmen wie Luxshare oder Sonny Optical: Sie haben ihren Hauptsitz in China.
Quellen: Financial Times, Bloomberg, South Asia Morning Post