Schlicht und schnell - mit diesen Eigenschaften revolutionierte Google von zehn Jahren die Art, wie wir im Web suchen. Seitdem ist aus der reinen Suchmaschine das mächtigste Unternehmen im Onlinebusiness geworden, das eine Vielzahl kostenloser Produkte auf den Markt gebracht hat. Doch keines verkörpert die Ur-Stärken Googles so sehr wie der jetzt veröffentlichte Internetbrowser Chrome.
In 100 Ländern und 40 Sprachen stellt Google seit dem 2. September, 21 Uhr, seine Neuentwicklung zum Download bereit, zunächst nur für Windows. Seitdem ist die Software nach Brancheninformationen bereits mehrere Millionen Mal heruntergeladen worden. Beim ersten Programmstart nach der schnellen und unkomplizierten Installation bietet Chrome an, die gespeicherten Favoriten von Internet Explorer oder Firefox zu importieren. Sind mehrere Browser installiert, lassen sich deren Lesezeichen nachträglich einfach per Hand übertragen.
Schlicht anders
Dann läuft Chrome zum ersten Mal - und verwirrt ein wenig. Vieles, woran man sich seit Jahren des Websurfens gewöhnt hat, fehlt. Keine Menüleiste, keine Seitenbalken für Favoriten oder RSS-Feeds, nur wenige Symbole: Knöpfe für Vor- und Zurückblättern und Neuladen sowie zwei Klappmenüs für neue Registerseiten und Einstellungsmöglichkeiten.
Eine URL eingeben - und staunen. Die Geschwindigkeit, mit der Chrome Websites darstellt, ist verblüffend und schlägt alles, was zurzeit auf dem Markt ist. Auch Videos scheinen schneller geladen zu werden. Bei vereinzelten Angeboten wie Ehrensenf gibt es allerdings Probleme und der Clip startete gar nicht.
Chrome arbeitet, wie inzwischen Standard, mit so genannten Tabs: im Browserfenster können mehrere Webseiten angezeigt werden. Über Registerfähnchen (Tabs) wird hin und her geschaltet. Anders als bei Firefox und IE 7 befinden sich im Google-Browser die Tabs am oberen Bildrand, noch über der Adresszeile. Daran gewöhnt man sich aber schnell, zumal sehr praktische Features eingebaut wurden: Klickt man einen Link an, öffnet sich die neue Seite in einem Tab direkt rechts daneben - und nicht, wie bisher üblich, rechts von allen geöffneten Tabs. Warum ist darauf vorher niemand gekommen? Außerdem lassen sich sämtliche Reiter munter umsortieren und verschieben - und sogar aus dem Browserfenster heraus- und wieder hineinziehen. So lassen sich Webseiten einfach für später beiseitelegen.
Kritik von Datenschützern
Sicherheitsexperte Daniel Bachfeld vom Fachverlag Heise rät Durchschnittsnutzern davon ab, die vorläufige Version beim täglichen Surfen im Internet einzusetzen: "Das wäre ziemlich gefährlich." Chrome weise mindestens eine Lücke auf, über die Schädlinge auf den Computer eingeschleust werden könnten. "Wenn so einfache Dinge innerhalb von zwölf Stunden gefunden werden, frage ich mich, was für Fehler noch enthalten sind."
"Aus Datenschutzsicht kann man Chrome zur Zeit nicht empfehlen", sagte Christian Krause vom Unabhängigen Landesdatenschutzzentrum Schleswig-Holstein der Deutschen Presse-Agentur. Seine Kritik entzündet sich an einer Identifikationsnummer, die das Programm bei der Installation automatisch erstellt. Sie wird zwar laut Unternehmen nur für Aktualisierungen der Software eingesetzt. "Schon beim Start des Computers wird nach Updates gesucht und damit auch die Nummer übermittelt", moniert Krause jedoch. Damit seien Nutzer für Google theoretisch eindeutig identifizierbar.
DPA
Alles in einer Zeile
Am auffälligsten ist die große Eingabezeile, sie ist das zentrale Bedienelement von Chrome. Wo andere Browser verschiedene Elemente für Internetadressen, Suchanfragen und auch Bookmarks benötigen, vereint Googles Surfprogramm alles in einem einzigen Feld: Googlen und Surfen wird eins. Ganz klassisch kann man eine komplette Internetadresse angeben, die sofort aufgerufen wird. Doch ebenso ist es möglich, einfach einen Begriff einzutippen. Eine blitzschnelle Auto-Vervollständigen-Technik macht währenddessen ständig Vorschläge. Zum Beispiel Angela Merkel. Darf es der Wikipedia-Eintrag zu Kanzlerin sein? Oder ein stern.de-Artikel, der gestern bereits einmal aufgerufen wurde? Vielleicht aber auch www.bundeskanzlerin.de, welche in den Bookmarks gespeichert ist? Oder tut's doch eine Google-Suche? Diese Eingabezeile ist so mächtig, dass Lesezeichen zwar wie üblich gespeichert und abgerufen werden können, aber bei Chrome eher am Rande vorkommen.
Mit der Zeit passt sich das Programm immer mehr dem Nutzer an, versucht, seine Aktionen vorauszuahnen. Denn auch der Browser tut das, wofür sein Hersteller ebenso berühmt wie berüchtigt ist: Er sammelt Daten über das Userverhalten. Akribisch wird jede aufgerufene Seite - und nicht nur das dazu gehörige Webangebot allgemein - protokolliert und analysiert. Allerdings verspricht Google, dass diese Informationen nur lokal auf dem Rechner des Nutzers und nicht auf den Servern des Suchmaschinenriesen gespeichert werden. Chefs, Mitbewohner und andere neugierige Zeitgenossen könnte diese Funktion sehr interessieren. Allerdings lassen sich alle Spuren einfach löschen.
Ich bin inkognito hier
Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, surft in einem "Inkognito-Fenster". Dann werden gar keine temporären Daten, keine Cookies, keine Verlaufsprotokolle abgespeichert. Spötter sprechen vom "Porno-Knopf", weil nun Ehefrauen ihren Schmuddelseiten liebenden Männern nicht mehr so einfach auf die Schliche kommen könnten. Das Feature ist außerdem ein Schlag gegen Microsoft, denn genau diese Funktion ist eine der wesentlichen Neuerungen im kommenden Internet Explorer 8. Vermarkter und Werbetreibende, für die das Verfolgen des Nutzerverhaltens unverzichtbar ist, protestieren bereits. Der ungeschlagene Meister in Sachen personalisierter Werbung ist allerdings Google selbst. Es bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß die Nutzer tatsächlich inkognito surfen möchten und dabei auf solche Annehmlichkeiten wie eine persönliche Begrüßung bei Amazon oder Ebay verzichten möchten.
Weitere Eigenschaften, die das Surfen erleichtern: Google verspricht Schutz vor gefährlichen Websites durch eine ständig aktualisierte Liste. Auch praktisch: Pop-up-Fenster werden nicht geblockt, sie springen dem Nutzer aber auch nicht ins Gesicht. Stattdessen schiebt Chrome sie an den Bildschirmrand. Wer sich das Pop-up angucken will, zieht es ins Sichtfeld, sonst genügt ein Klick auf "Fenster schließen".
Jeder darf weiterentwickeln
Mit seiner radikalen Schlichtheit unterscheidet sich Chrome besonders vom Firefox, zu dessen Stärke fast unbeschränkte Möglichkeiten des Ausbaus und der Veränderung gehören. Gemeinsam ist beiden Browsern allerdings, dass sie beide als Open-Source-Software entstanden sind und von jedermann weiterentwickelt werden können. Tatsächlich stecken in Chrome Bestandteile von Firefox selbst, aber auch des Apple-Browsers Safari.
Was sich aus Chrome entwickeln kann, ist noch gar nicht abzusehen. Unter der Haube stecken nämlich zwei entscheidende Entwicklungen. Erstens wird innerhalb der Software jeder Tab als ein eigener Prozess betrachtet: Gibt es Probleme mit einer Website, zum Beispiel weil sie nicht mehr reagiert, stürzt nicht der ganze Browser ab, sondern die anderen Tabs funktionieren weiter. Und zweitens steckt in Chrome Googles "Gears"-Plattform, die die Nutzung von Online-Anwendungen in gewissem Umfang auch ohne Internetverbindung ermöglicht. Google bietet seit Jahren fast jede Standardanwendung wie Text- und Bildbearbeitung, Kalender und Tabellenkalkulation kostenlos als webbasiertes Programm an. Chrome könnte diesen Produkten zum Durchbruch verhelfen, weil sie im Falle von Problemen mit der Internetverbindung oder anderen Browserfenstern immer noch funktionieren würden. Diese Stabilität war bisher ein Vorteil von Software, die lokal installiert wurde. Und wer ist Marktführer bei solchen Produkten? Microsoft. Der Browserkrieg weitet sich also aus.
Fazit
Surfen mit Chrome rockt. Wegen seiner smarten Tab-Funktionen und vor allem der verblüffend hohen Geschwindigkeit beim Seitenaufbau ist Googles Browser eine echte Bereicherung. Dass sich der Browser radikal am Verhalten des Nutzers orientiert, ist ungewohnt, entwickelt aber schnell seinen Reiz. Aber auch leichtes Unwohlsein. So protokolliert Chrome nicht nur alle Aktivitäten. Beim Start und beim Öffnen jedes neuen Tabs zeigt er die neun am häufigsten aufgerufenen Seiten mit Screenshot. Sehr praktisch zu Hause, allein. Im Großraumbüro wird es schon schwieriger. Dabei geht es gar nicht um Porno. Bestimmt soll nicht jeder das Fenster mit den privaten Mails sehen. Oder die Empfehlungen bei Amazon. Oder die Homepage der Bank.