Es ist ein Skandal, wie ihn wohl kein Plattform-Betreiber gerne hat: Weil Podcaster Joe Rogan immer wieder mit kontroversen und problematischen Aussagen zur Covid-Pandemie auffiel, kündigten Weltmusiker wie Neil Young an, dem Streamingdienst den Rücken zu kehren – und viele Fans schlossen sich an. Bei Spotify dürfte das keine Freude, aber wohl auch nicht allzu viel Ärger ausgelöst haben. Denn Rogan ist der Star einer neuen Strategie des Unternehmens.
Die Vorwürfe wiegen eigentlich schwer: In seinem Podcast "The Joe Rogan Experience" hatte der Gastgeber immer wieder wissenschaftlich höchst fragwürdigen Behauptungen zur Corona-Pandemie eine Bühne geboten. Sei es, weil er Gästen und ihren als falsch erwiesenen Aussagen nicht ausreichend widersprach oder weil er sie gleich selbst aufstellte. So würden gefährliche Fehlinformationen verbreitet, argumentieren Young und seine Unterstützer. Doch Spotify scheint sich daran weniger zu stören.
Das zeigt die Reaktion des Konzerns. In einem Statement stellte der zwar klar, dass man in den dort gehosteten Podcasts bestimmte Äußerungen zu Covid-19 und anderen tödlichen Krankheiten nicht toleriere. Die erstmals öffentlich gemachten Richtlinien zeigen aber auch, dass es für Rogan und seine Kollegen überraschend viel Spielraum gibt.
Neue Regeln ohne Härte
So dürfen sie zwar Covid, Aids oder Krebs nicht als "Hoax" bezeichnen oder dazu raten, sich absichtlich zu infizieren. Auch zum Konsum von Chlorbleiche zu raten, ist nicht erlaubt. Interessant ist, was fehlt: Die Einnahme des Entwurmungsmittels Ivermectin ist in bestimmten Kreisen – entgegen des wissenschaftlichen Konsens – immer wieder als Mittel gegen den Coronavirus empfohlen worden. Auch von Joe Rogan. Bei Spotify ist das weiter erlaubt.
Auch die zweite wichtige Maßnahme taugt kaum dazu, die Fehlinformationen im Zaum zu halten. Spotify kündigte an, sämtliche Podcasts, in denen Covid diskutiert wird, mit einem Label zu versehen und zu einer Übersichtsseite mit anderen wissenschaftlichen und journalistischen Angeboten zu dem Thema zu verlinken. Das Problem: Rogans Aussagen werden dadurch nicht relativiert, sondern quasi ebenbürtig neben wissenschaftlich deutlich stärker fundierte Aussagen gestellt. Was wahr ist, soll der Nutzer selbst herausfinden.

Das entspricht auch Rogans Vorstellung, wie man die Vorwürfe entkräften kann. Er könne ja jedesmal, wenn es fragwürdige Gespräche zum Thema gegeben hat, in der nächsten Folge einen Wissenschaftler einladen, der widersprechen darf, schlug der Moderator in einem Entschuldigungs-Video bei Instagram vor. Und stellt damit erneut die auf Fakten basierte wissenschaftliche Einschätzung auf dieselbe Ebene wie unqualifizierte Meinungen von Laien.
Rogan ist für Spotify enorm wichtig
Dass Rogan für Kontroversen sorgt, dürfte bei Spotify niemanden überrascht haben, vermutlich ist es eher bewusst einkalkuliert worden. Schließlich war Rogan schon lange dafür bekannt, kein Thema und keinen Gast zu scheuen. Zum Charme des zum Podcast-Superstars gewordenen Comedians gehörte immer auch, mit den Gästen Grenzen zu ignorieren. Sei es, indem er sich Verschwörungs-Mystikern wie Alex Jones ins Studio holte oder indem er Tesla-Chef Elon Musk überredete, während des Gesprächs zu kiffen.
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Ein Grund für die Kontroversen ist auch Rogans Gesprächsführung. Er wisse selbst oft vor der Sendung nicht, wohin das Gespräch führe. Das macht den Charme des Podcasts aus, aber eben Recherche und Fact-Checking oft schwierig, wie er selbst zugibt. "Ich weiß manchmal nicht, ob sie recht haben", erklärt er auch in seinem Entschuldigungs-Video. "Ich bin kein Arzt, kein Wissenschaftler. Ich setze mich nur hin und spreche mit Leuten. Liege ich manchmal falsch? Klar. Aber ich versuche, es zu korrigieren." Spotify war dieser Ansatz natürlich bekannt – und trotzdem legte Rogan man im Mai 2020 trotzdem 100 Millionen Dollar für einen Exklusivvertrag auf den Tisch.
"Das ist mir egal"
Einen Freischein bedeutete das aber nicht. Schon bei der Übertragung des seit 2009 bestehenden Podcast in das eigene Streamin-Programm hatte Spotify 40 Folgen entfernt. Rogan störte das nach eigenen Angaben nicht. "Sie sagten, sie wollen ein paar Folgen nicht auf ihrer Plattform haben. Und ich dachte mir: Okay, ist mir egal"; erklärte er auf die Löschung angesprochen.
Unter den Folgen waren unter anderem Gespräche mit dem rechten Influencer Milo Yiannopoulos und eben Alex Jones, der selbst bereits von Spotify – und zahlreichen anderen Plattformen – herausgeworfen worden war. Das hielt Rogan aber nicht davon ab, ihn bei Spotify noch einmal ans Micro zu lassen – wo er prompt Verschwörungs-Behauptungen über Bill Gates und die Covid-Impfstoffe zum besten gab.
Podcasts als neues Standbein
Das Spotify trotz der Kontroversen an Rogan festhält, dürfte einen einfachen Grund haben: Er kommt beim Publikum an. Seine Show war letztes Jahr der mit Abstand meistgehörte Podcast des Streaming-Anbieters. Und ist damit enorm wichtig für die größere Strategie des Unternehmens. Denn Podcasts entwickeln sich für Spotify zum zweiten wichtigen Standbein neben Musik.
Das Sendungs-Format hat für die Plattform mehrere Vorteile: Die Nutzer sind länger mit einem Inhalt beschäftigt, müssen nicht ständig neue Songs angeboten bekommen. Gleichzeitig deutet sich an, dass die Nutzer Musik nicht durch Podcasts ersetzen, sondern diese zusätzlich hören. Die Zeit, die sie auf Spotify verbringen, wird dadurch verlängert. Sendungen wie Rogans, die schnell die Drei-Stunden-Marke überspringen, sind dann natürlich besonders interessant.
Entsprechend klar ist die Wahrnehmung Rogans in der Spotify-Führung. Schon im Sommer berichtete die "New York Times" unter Berufung auf Insider, innerhalb der Konzernspitze sei die Meinung einhellig: Die Vorstellung, Rogans Kontroversen könnten irgendjemandem in der Führung Kopfschmerzen bereiten, sei schlicht "lachhaft".
Quellen: Spotify, Joe Rogan (Instagram), Spotify-Studie, NPR, Digital Music News, New York Times