Youtube bereitet sich auf das neue Fernsehzeitalter vor. Das weltgrößte Onlinevideoportal startet das größte Redesign in seiner sechsjährigen Geschichte, mit dem es sich als Anbieter von Millionen Kanälen auf internetfähigen Fernsehern in Stellung bringt. Die Google-Tochter rückt auf ihrem überarbeiteten Portal nicht mehr einzelne Videos, sondern die Spartenkanäle in den Mittelpunkt. Seit Donnerstag kann jeder Nutzer eine eigene Youtube-Homepage einrichten, auf der er seine bevorzugten Kanäle auswählt, die laufend aktualisiert werden. Damit soll vor allem mehr Ordnung in das mit Millionen Videos überladene und unübersichtliche Angebot gebracht werden, in dem die Inhalte der meisten Anbieter bislang untergehen.
Nach dem Redesign können Nutzer wie beim Fernseher von einem Kanal zum anderen umschalten, anstatt wie bisher mehr oder weniger planlos durch Millionen Videos von Profis und Amateuren zu wühlen. "Kanäle werden die Stars auf Youtube - und alle Kanäle, die auf Youtube gut laufen, werden auch auf Fernsehgeräten großartig sein", sagte Youtube-Produktmanager Shiva Rajaraman der "Financial Times Deutschland".
Spartenkanäle statt Amateurvideos
Mit dem fernsehfreundlicheren Angebot positioniert sich das derzeit überwiegend auf Computern genutzte Videoportal als Alternative zu herkömmlichen TV- und Kabelsendern. Nutzer können die Youtube-Spartenkanäle - vom Disney- oder HBO-Channel über den Coldplay-Nischenkanal bis hin zum Kochkanal für Vegetarier und den Chelsea-Sender für Fußballfans - auch auf Handys und Tablets und bald auf der Microsoft-Spielkonsole Xbox nutzen. "Wir arbeiten hart daran, das Beste von Online und TV zu verbinden", sagte Produktentwicklungschef Shishir Mehrotra am Donnerstag in der Youtube-Zentrale im Silicon Valley. "Wir sind überzeugt, dass das Wort ‘Online-Video' irgendwann verschwinden wird - mit ‘Video' sind dann alle Geräte gemeint, nicht nur Computer." Mehrotra zufolge wird es bald Millionen solcher Spartenkanäle von Anbietern wie Youtube geben.
Das Videoportal baut sein Angebot an professionellen Diensten schon länger aus. Das Überangebot an Amateurfilmchen, die sich nicht an Werbetreibende vermarkten lassen, soll durch Filme und Inhalte von Filmstudios, professionellen Musikern und anderen Herstellern qualitativ anspruchsvollerer Videos ersetzt werden. Im November etwa hatte Youtube einen Gemeinschaftskanal mit Walt Disney angekündigt und 100 Videokanäle mit Schwerpunkten wie Unterhaltung, Sport und Musik und vorgestellt. Für letztere konnten Stars wie Madonna und Ashton Kutcher gewonnen werden, die eigens für Youtube Inhalte kreieren werden.
Auf der Suche nach neuen Werbeeinnahmen
Das am Donnerstag vorgestellte Design, an dem in den kommenden Wochen und Monaten weiter geschraubt wird, soll nicht nur mehr Nutzer und hochkarätige Inhalteanbieter wie Filmstudios zu Fans machen. Youtube soll damit auch attraktiver für Werbetreibende werden. Das Videoportal, für das Google 2006 1,65 Milliarden Dollar bezahlt hatte, galt lange als Millionengrab für den Suchkonzern. Die Infrastruktur für den Betrieb des Portals ist kostspielig: Jede Minute werden 48 Stunden Video hochgeladen, täglich werden drei Milliarden Videos angeschaut. Ob Youtube mittlerweile Geld verdient, wollte Mehrotra nicht sagen. Auch zum Umsatz sagt er nichts Konkretes, nur so viel: "Wir verdoppeln den Umsatz seit 2009 jährlich." Drei Milliarden der wöchentlich angeschauten Videos sind laut Mehrotra mit Werbung bestückt. Analysten schätzen Youtubes Umsatz in diesem Jahr auf 1,6 Milliarden Dollar.
Um die Einnahmen anzukurbeln, experimentiert Youtube mit neuen Werbeformaten und Kostenmodellen. In einem Test mit ein paar hundert Werbetreibenden bezahlen diese nicht mehr für Seitenaufrufe, sondern nur noch für Werbespots, die die Youtube-Nutzer auch wirklich angeschaut haben. Nutzer, die direkt zum Video vorspulen wollen, können den Spot überspringen. Werbetreibende müssen in dem Fall nichts bezahlen. Die Hälfte der Spots auf Youtube können mittlerweile übersprungen werden. "Wir waren zuerst sehr skeptisch, ob dieses Modell namens Trueview ankommt, aber das Feedback ist sehr positiv", sagte Youtube-Manager Lane Shackleton.
Die Inspiration für Trueview waren originelle Werbespots wie die Evian-Babies-Kampagne der französischen Mineralwassermarke, die auf Youtube millionenfach angeschaut werden. "Jahrelang war Werbung wie Spinat - ein notwendiges Übel, das man schauen musste, um Inhalte zu bekommen", sagte Mehrotra. "Nun fängt gut gemachte Werbung an, wie Inhalte auszusehen."
Auf der nächsten Seite: Geht es nach Youtube, wird es künftig noch mehr Künstler geben, die ihre Karriere in dem Videoportal starten. Ein Vorbild dafür gibt es schon.
Youtube will auf alle Geräte und Plattformen
Das neue Youtube soll auch Google TV Antrieb geben. Das nur langsam anlaufende Angebot erlaubt Nutzern, das TV-Programm, Internet und Anwendungen wie Flickr oder Twitter auf dem Fernseher zu kombinieren, zu durchsuchen und anzuschauen. Gesteuert wird das Gerät mit dem Android- oder iPhone-Handy. Der Suchmaschinenkonzern verhandelt mit Fernsehherstellern wie Samsung über Geräte mit Google TV. Youtube will aber nicht nur auf Google TV präsent sein, sondern auf möglichst vielen Plattformen, - auch auf den Handys, Spielkonsolen oder Settopboxen von Google-Rivalen wie Apple oder Microsoft. Sollte Apple wie spekuliert 2012 mit einem eigenen Fernseher aufwarten, wäre Youtube auch darauf vertreten, sagte Mehrotra der "FTD": "Wir sind auf über 350 Millionen Geräten jenseits des PCs daheim - wir sind da völlig agnostisch." Der frühere Microsoft-Mitarbeiter leitete bei Google das Projekt mit dem Codenamen Mosaic, aus dem Google TV hervorging, bevor er vor drei Jahren zu Youtube wechselte.
Um Nutzer enger an Youtube zu binden, wurden soziale Netzwerke wie Google Plus, Facebook und Twitter stärker integriert. Anwender können so die Videoaktivitäten ihrer Freunde verfolgen. Youtube empfiehlt zudem Kanäle basierend auf den Nutzungsgewohnheiten.
Verbesserte Suche und Empfehlungen
Mit dem neuen Design hat Youtube auch die Inhalteanbieter stärker im Visier. Musiker, Videoproduzenten und andere Anbieter können ihre Inhalte direkt auf der Homepage ihres Publikums platzieren sowie über die sozialen Netzwerke engere Kontakte zu Nutzern knüpfen. Sie können ihre Kanäle mit unterschiedlichen Layouts übersichtlich gestalten und in so genannten Playlists organisieren. Der TV-Sender HBO könnte beispielsweise eine TV-Serie nach Staffeln organisieren, die Sesamstraße ihre Folgen wiederum nach Figuren.
"Mit dem neuen Design können Nutzer meine Videos viel schneller finden, und ich finde hoffentlich mehr Anhänger", sagte DeStorm Power. Der Sänger und Songwriter ist ohne Vertrag mit einer Plattenfirma und ausschließlich mit Youtube zum Star geworden. Die Google-Tochter hatte ihn am Donnerstag von Los Angeles ins Silicon Valley geflogen, um für die Neugestaltung des Videoportals zu werben.
Der Musiker, der früher Songs für Whitney Houston schrieb, gehört mit über 1,1 Millionen Youtube-Abonnenten zu den populärsten Musikern auf dem Portal. "Ohne Youtube hätte ich den Sprung zum selbständigen Musiker nie geschafft - und heute kommen Leute wie der Rapper 50 Cent zu mir, um für Youtube-Projekte gemeinsame Sache zu machen", sagte DeStorm.