Internetsucht. Was für ein Blödsinn, habe ich immer gedacht. Ich doch nicht. Bis Donnerstagabend. Ich komme gegen 20 Uhr nach Hause und nichts geht. Kein Internet, kein Telefon. Und nun? Ich warte auf meinen Mann. Ich weiß, kein politisch korrektes Bekenntnis, aber in technischen Dingen ist er einfach besser. "Ach, das haben wir bestimmt gleich", sagt mein Mann. Das Spruchband auf seiner Stirn verrät, was er wirklich denkt: Bestimmt hat meine Frau das verbockt. Sie hat den Rechner nicht richtig runtergefahren und nun ist er kaputt. Zugegeben, ich gehe nicht sehr sanft mit dem Rechner um. Meist bin ich tatsächlich schuld, wenn er zickt.
Mein Mann schaltet den Computer an. Startet den Router neu. Der Rechner fährt hoch, kommt aber nicht ins Netz. Auf dem Bildschirm erscheint eine kryptische Fehlermeldung. Mein Laptop meldet: "Es besteht keine Verbindung zum Internet". Alles noch mal von vorn. Nichts zu machen. Das Netz ist unerreichbar. Das Telefon tot. Wir sind abgeschnitten von der Welt.
Fluchend im Arbeitszimmer
"Bestimmt waren das die Bauarbeiter", spricht mein Mann mich frei. Vor unserem Haus werden gerade Kabel verlegt, vielleicht haben die Arbeiter die Leitungen beschädigt. Dann müsste das ganze Haus betroffen sein. Ich renne hoch zum Nachbarn. "Geht Euer Internet?" Mein Nachbar geht in sein Arbeitszimmer, schaltet seinen Rechner an. "Funktioniert einwandfrei", meldet er sich zurück.
Anruf bei Vodafone. Sämtliche Hotlines sind tot. Gespenstisch. Über sein Handy, das nicht bei Vodafone angedockt ist, kommt mein Mann schließlich ins Netz. Es dauert ewig, aber dann haben wir die Erklärung. "Bei Vodafone/Kabel Deutschland sind derzeit Internetzugang und Telefon in weiten Teilen Deutschlands gestört. Seit 17.30 Uhr gibt es überregional Einschränkungen in Teilen des Kabelnetzes. Bis zu 1,8 Millionen Kunden können nicht telefonieren und im Internet surfen. Ursache ist eine Störung in Rechnerverbund in Frankfurt und Berlin. Techniker arbeiten mit Hochdruck an der Behebung der Störung."
"Hackerangriff", sagte ich. "Womöglich Sabotage. Ein Terrorakt, der neuen Art." Mein Mann zuckt mit den Achseln. Ich ahne, was er denkt: Mit meiner Frau geht mal wieder die Fantasie durch. Und nun? Mein Mann versucht, weiter ins Netz zu kommen. So schnell will er nicht aufgeben. Das wäre doch gelacht, wenn er, der Technik-Freak, da keine Lösung fände. "Vielleicht ist die Störung ja gleich behoben. Muss ja nicht lange dauern", sagt er und verschwindet in seinem Arbeitszimmer. In den nächsten Stunden höre ich ihn ab und zu fluchen.
Andere hängen an der Flasche. Ich am Netz.
Ich lese ein Papierbuch. Das habe ich schon lange nicht mehr getan. Seit ein paar Jahren lese ich fast nur noch digital. Auf dem iPad oder dem Reader. Aber der Ebookreader ist ausgerechnet jetzt nicht geladen. Und die Bücher, die ich aufs iPad geladen habe, interessieren mich gerade nicht. Ich blättere in Michael Houllebecqs "Unterwerfung". Ein Geschenk. Wie angenehm das Lesen auf Papier doch für die Augen ist. Hatte ich völlig vergessen.
Doch ich kann mich nicht auf den Text konzentrieren. Ich will zu Facebook. Will sehen, was mein Freund Robin in Vancouver macht. Was die Kollegen so schreiben. Verdammt, es ist doch Feierabend. Aber wenigstens meine privaten Mails könnte ich doch checken. Und vielleicht ein bisschen shoppen gehen im Netz. Und die Nachrichten. Wenn jetzt was passiert, kriege ich doch gar nichts mit. Ich fühle mich irgendwie amputiert. Andere Leute hängen an der Flasche. Oder an der Nadel. Ich hänge am Netz.
Hackerangriff? Vodafone winkt ab
Am nächsten Morgen führt noch immer kein Weg ins Internet. Ich kann nicht sehen, was in der Welt los ist. Das ist morgens meine erste Amtshandlung. Ab ins Netz. Stern.de, spiegel.de, bild.de, welt.de, taz.de. Ich lade mir die Süddeutsche aufs iPad. Zum Kiosk gehen, Zeitungen holen? Irgendwie kommt mir die Idee absurd vor. Warum, eigentlich? Das World Wide Web fehlt mir. Ganz entsetzlich.
Zum Glück läuft im Büro das Internet. "Warum man in Island eine Inzest-App braucht", erfahre ich auf stern.de Meine Mails – alle belanglos. Ab zu Facebook. Robin hat in Vancouver brasilianische Rocker gefilmt. Irgendwie habe ich nicht viel verpasst. Nur die Idee, das hinter der Störung ein Hackerangriff stecken könnte, lässt mir keine Ruhe. Doch die Pressestelle von Vodafone winkt ab. "Mit einem Hackerangriff hatte das nichts zu tun." Und woran lag es? "Die genaue Ursache der Störung wird noch analysiert." 25.000 Haushalte seien noch betroffen. Die wichtigste Frage stelle ich zwei Mal: Wie lange dauert es, bis die Störung behoben sein wird? Doch die Pressestelle antwortet nicht.