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Bautechnologie Forscher entwickeln "lebenden Beton", der sich selbst vermehren kann

Bautechnologie: Bevor der neuartige Baustoff im Alltag verwendet werden kann, wird noch Zeit vergehen (Symbolbild)
Bevor der neuartige Baustoff im Alltag verwendet werden kann, wird noch Zeit vergehen (Symbolbild)
© Tobias Hase/ / Picture Alliance
Beton ist günstig und stabil. Doch die Produktion ist klimaschädlich. Forscher haben nun einen Weg gefunden, einen selbstwachsenden Beton aus Bakterien herzustellen. Es ist nicht das einzige Experiment mit lebendigen Baustoffen.

Günstig in der Herstellung, einfach zu verarbeiten und seit Jahrtausenden etabliert: Es ist kein Zufall, dass Beton einer der beliebtesten Baustoffe der Welt ist. Schon die alten Römer kannten die Vorteile des aus Kalk, Zement und weiteren Zutaten zusammengemischten Baumaterials. Doch die schlechte Klimabalance und die Knappheit an Sand machen Beton immer unattraktiver. Eine mögliche Lösung klingt nach Science-Fiction – und könnte tatsächlich auch im All zum Einsatz kommen.

Forschern der Universität Colorado ist es gelungen, "lebenden" Beton aus Bakterien herzustellen. Das berichten sie in einem gerade erschienen Artikel in der Fachzeitschrift "Matter". Demnach unterscheidet sich die Herstellung völlig vom bisherigen Ansatz. Statt einer chemischen Reaktion, die letztlich aus Sand und Bindemitteln eine verarbeitbare Masse entstehen lässt, wird bei der neuen Methode auf eine biologische Verarbeitung durch Cyanobakterien gesetzt. Die nehmen Sonnenlicht auf und verarbeiten durch Photosynthese die Grundmaterialien. Und lassen dabei ein hartes, grünes Material entstehen.

Grüner Beton

"Es wirkt ein bisschen wie ein Frankenstein-Material", gibt Wil Srubar, der Leiter des Teams gegenüber der "New York Times" zu. Die Farbe ist eine Folge der Photosynthese, sie mag zunächst ungewohnt wirken, verblasst aber mit dem Trocknen des Materials. Ein anderer Nebeneffekt der Photosynthese macht diese Herstellungsmethode aber enorm attraktiv: Während die herkömmliche Betonproduktion in der Kritik steht, weil sie große Mengen an Kohlendioxid verursacht, ist bei der neuen Methode das Gegenteil der Fall: Bei der Verarbeitung verbrauchen die Bakterien das Klimagas und setzen wie Pflanzen Sauerstoff frei.

Um den Bio-Baustoff herzustellen, werden die Bakterien gemeinsam mit Sand und Nährstoffen in mit warmem Wasser gefüllte Formen gegeben. Dort beginnen sie, Kalziumkarbonat zu bilden. Doch der DARPA, eine vom US-Verteidigungsministerium kontrollierte Forschungsbehörde, die das Projekt finanziert, war der Prozess noch zu langsam. Um ihn zu beschleunigen, hatten die Forscher eine geniale Idee: Sie gaben handelsübliche Gelatine hinzu, die für eine schnellere Verdickung sorgt. Es sei ein bisschen "als würde man Wackelpudding machen", witzelt einer der Forscher. Nach wenigen Tagen beginnen die Bakterien abzusterben, das Material trocknet aus und wird fest.

Dann ist es nach Angaben der Forscher erstaunlich stabil, es nimmt die Form der gewählten Gussform an und behält sie auch. "Als wir das erste Mal eine größere Struktur daraus bauten, waren wir nicht sicher, ob es funktioniert", berichtet eine der beteiligten Forscherinnen der Zeitung. "Wir nahmen es aus der Form und hielten es in der Hand. Es war wunderschön, leuchtend grün." Die Offiziellen der DARPA seien zunächst skeptisch gewesen. "Jetzt will jeder eines davon auf dem Schreibtisch haben."

Einbrecher mit Brecheisen

Großes Potenzial

Die zunächst skurril klingende Herstellungsmethode ist eine der größten Stärken des neuartigen Biomaterials, das bisher nur als "Living Building Material" (Lebendiges Baumaterial), kurz LBM, bezeichnet wird. Weil unter den richtigen Bedingungen auch Wochen nach der Herstellung ein Teil der Bakterien weiterlebt, kann man aus herausgeschnittenen Teilen wieder neues Material züchten. Die Forscher haben aus einer "Elterngeneration" bereits drei "Kindergenerationen" gezüchtet, heißt es in dem Papier. Das würde bedeuten, dass man beschädigte Gebäudeteile wieder nachzüchten könnte. Oder mit einem Bakterienstamm und den richtigen Materialien auch an abgelegensten Orten bauen kann.

"Draußen in der Wüste will man nicht erst truckweise Baumaterialien heranschaffen müssen", erklärt Forscher Srubar das Interesse des Verteidigungsministeriums an dem Projekt. Hinzu kommt: Während der für die Betonproduktion benötigte reine Sand immer seltener wird, kann man für LBM auch Abfälle verwenden, so Srubar, "etwa zerriebenes Glas oder recycleten Beton." Durch die große Flexibilität könnte eine LBM-Variante auch bei der Besiedlung fremder Planeten helfen. "Wir werden sicher keine Baumaterialien ins All schleppen", ist Srubar überzeugt. 

Noch sind aber zahlreiche Hürden zu überwinden. Das Team arbeitet aktuell etwa daran, ihren Betonersatz noch stabiler und außerdem besser transportierbar zu machen. Die Bakterien müssen ihrer Ansicht nach besser vor Dehydration geschützt werden, um auch in extremeren Bedingungen ihre Arbeit verrichten zu können. Zudem wird untersucht, ob andere Bakterienarten ganz ohne die Zugabe von Gelatine ein ähnlich gutes Ergebnis liefern können. Bis die Lösung auf den Markt kommt, dürfte es also noch dauern.

Lebende Baustoffe sind nicht neu

Die Neuentwicklung ist nicht der erste Versuch, die traditionellen Baustoffe mit natürlicher Unterstützung zu verbessern. Schon 2016 stellte die Universität Delft ein Konzept vor, Bakterien direkt in Betonmischungen einzugießen. Dort "überwintern" sie, bis durch Risse Wasser eindringt – und die Bakterien beginnen, mit ihrem Stoffwechsel die Risse wieder zu schließen. Die Produkte schafften es tatsächlich auf den Markt, bisher wurden allerdings erst kleine Strukturen daraus gebaut und noch keine Großgebäude.

Auch Pilze sind immer wieder als potenzielles Baumaterial im Gespräch. Die Myzelien genannten Fäden von Pilzen lassen sich ebenfalls in Formen züchten und dann durch Brennen zu einer Art Ziegelstein verhärten. Bereits 2014 baute der Architekturfirma The Living eine knapp zwölf Meter hohe Struktur aus Pilz-Blöcken im Hof des New Yorker Museum of Modern Art, die Firma Ecovative Design bietet Möbel aus Myzelien an. Der große Vorteil der Pilz-Bauteile ist, dass sie sich beliebig züchten lassen und nach Gebrauch anders als etwa Kunststoffe einfach biologisch abbauen lassen. Einen echten Durchbruch hatten die Alternativen bislang aber nicht.

Quellen:  "Matter", "New York Times", "Wired", CNN

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