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J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Wir führen eine offene Beziehung – doch ich bin nur der ungeliebte Kindergärtner

Johannes wünscht sich mehr aus seiner Ehe, als nur Vater zu sein (Symbolbild)
Johannes wünscht sich mehr aus seiner Ehe, als nur Vater zu sein (Symbolbild)
© svetikd / Getty Images
Johannes' Frau liebt ihren Chef – und er findet das eigentlich auch in Ordnung. Zumindest solange ihre gemeinsame Ehe nicht darunter leidet. Doch in letzter Zeit fühlt er sich immer mehr ausgenutzt. Wie kann er eine gesunde Grenze ziehen?

Liebe Frau Peirano,

vor 13 Jahren bin ich mit meiner Frau zusammengekommen. Vor sieben Jahren hatten wir eine große Krise mit einer Trennung für fünf Monate, in der sie mit einem anderen Mann zusammen war, weil ihr Nähe zu mir gefehlt hat. Unser Sohn war damals zwei Jahre alt. Mit einer Paartherapie haben wir das hinbekommen; das hatte vor allem mit Bindungsproblemen bei mir zu tun. Ich habe einer offenen Beziehung zugestimmt, in der dann innerhalb eines weiteren Jahres die andere Beziehung langsam ausgelaufen ist. Auch sie hat sich in der Paartherapie weiterentwickelt, indem sie mit der engen Bindung zu ihrer Mutter anders umgeht.

Nach zwei Jahren haben wir uns für ein zweites Kind entschieden, das hat sie sich sehr gewünscht. Dann haben wir geheiratet, dann kam unser dritter Junge. Die Kinder sind großartig; wir sind ein gutes Team als Eltern. Bis dahin, sagt meine Frau, sei alles ganz gut gewesen. Dann habe meine Nähe wieder abgenommen. Ich sei zärtlich, liebevoll und es klappe auch alles im Bett, aber es sei eintönig, und ich würde nicht genug aus mir herausgehen.

Nun bin ich sonst im Leben nicht schüchtern; ich habe einige Leitungsämter als Hochschullehrer hinter mir. Sachbezogen bin ich selbstbewusst und streitbar, auch vor vielen Menschen. Bei meinen eigenen Interessen, die nicht sachlogisch begründet werden können, habe ich allerdings durchaus auch im Berufsleben Entwicklungsmöglichkeiten, diese zu artikulieren. Ich kümmere mich um meine Mitmenschen und bin sehr fürsorglich und sehr verlässlich.

Meine Frau hat sich in ihren Chef verliebt, mit dem sie ganz eng zusammenarbeitet. Ich hatte gemerkt, dass sie angespannt war und zu Hause wenig Energie für die Kinder und praktisch keine für mich hatte. Deshalb habe ich ihr einen Urlaub bei ihrer Schwester vorgeschlagen, die in Kalifornien ist, und bin mit den Kindern während dieser Zeit zu Hause geblieben. Kurz vor dem Urlaub hat sie dem Chef ihre Liebe gestanden und in dem Urlaub hat sich ihr Chef über intensives Chatten und Videotelefonie auch in sie verliebt.

In den Tagen nach der Rückkehr habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt, dies zur Sprache gebracht und gleich auch den Chef als Grund erraten. Ich liebe meine Frau und würde unsere Familie nicht so einfach aufgeben. Auch hatte ich mir, naiv bin ich nicht, vor der Eheschließung überlegt, wie ich mit einer erneuten Dreieckskonstellation umgehen würde, und zwar wie vor sieben Jahren. Sie hat um Zeit gebeten und gesagt, sie wolle mich nicht verlassen. Ich habe wieder eine Öffnung der Beziehung vorgeschlagen, auch weil es völlig weltfremd wäre zu fordern, dass sie von ihrem Chef Abstand hielte. Sie war sehr erleichtert und hat gesagt, dass sie mich gar nicht verdiene.

Nach ein paar Tagen zeigte sich immer mehr, dass sie nicht wie bei dem ersten Mann wirklich eine offene Beziehung führt. Ich bin seit Wochen auf dem Abstellgleis. Natürlich bin ich nicht von Sex in ihrer Verliebtheitsphase ausgegangen, danach wäre mir wohl auch nicht. Ich forderte Gespräche über unser gemeinsames Leben ein; dieses blockt sie häufig ab und kommt mit Schuldzuweisungen. Nur wenn ich provoziere, entwickeln sich manchmal gute Gespräche. Aber das ist riskant für unseren Umgang miteinander. Hinweise, woran ich arbeiten kann, schätze ich und nehme sie schon ernst, finde es aber sehr einseitig und verliere das Vertrauen darauf, dass sie auch bereit ist, etwas in unsere Beziehung zu investieren. Von der Idee einer Paartherapie ist sie im Moment wenig angetan; sie stellt wie vor fünf Jahren alles als mein Problem dar.

Was soll ich tun, damit zwischen uns etwas Intensives ohne Sex bleibt, an das wir vielleicht in ein paar Monaten anknüpfen könnten? Ich habe weniger Angst davor, dass es mit dem Chef bei ihr lange hält. Das ist gut möglich, und dann ist das so; und ich trauere und wünsche beiden viel Glück. Aber ich möchte nicht langfristig in die Falle tappen, als ungeliebter Kindergärtner zu enden, dessen Fürsorge das andere Liebesnest ermöglicht und der den Kindern vielleicht ein problematisches Vorbild ist, weil er nicht vorlebt, wie man sich holt, was man braucht.

Herzlichen Dank und Gruß

Johannes T.

Lieber Johannes T.,

Ihr Bericht hat mich sehr berührt. Sie machen auf mich den Eindruck eines Menschen, der sehr viel in die Beziehung investiert und viel reflektiert, bereit zu Kompromissen ist und der Partnerin viel Freiheit gewährt, wenn diese es braucht.

Bei Ihrem Bericht habe ich mich allerdings auch gefragt: Und was ist mit Johannes? Bekommt er genug von dieser Beziehung? Ist das Geben und Nehmen ausgewogen? Ich habe den Eindruck, dass Ihre Frau Ihr Engagement nicht so schätzt, sondern es eher ausnutzt. Vielleicht sehnt sie sich insgeheim nach jemandem, der ihr auch mal Grenzen aufzeigt?

Einige Anhaltspunkte dafür, dass Sie in Ihrer Beziehung "minus" machen:

  • Sie schreiben, dass Sie Ihre Beziehung geöffnet haben. Diejenige, die davon profitiert hat, war jedesmal Ihre Frau. Oder hatten Sie auch Nebenbeziehungen mit anderen Frauen, von denen Sie nichts erzählt haben? Eigentlich sollte ja eine Öffnung der Beziehung beiden sexuelle Freiheiten gewähren.
  • Wenn eine Beziehung geöffnet wird, sollten Spielregeln abgesprochen werden. Eine Öffnung im Sinne von: "Jeder macht, was er will und wie er es will" hat mit einer Beziehung und vertrauensvollen Bindung nichts mehr zu tun. Sondern es sollte abgesprochen werden, ob es z.B. nur um sexuelle Begegnungen ohne tiefere Gefühle geht oder jemand auch eine zweite Beziehung nebenbei haben kann. Es sollte abgesprochen werden, ob und wie über die außerehelichen Erfahrungen kommuniziert wird. Oft einigen sich Paare mit einer offenen Beziehung, dass sie absolut transparent zueinander sind, damit die Außenbeziehungen keine Mauer von Heimlichkeit und Distanz aufbauen. 
  • Bei offenen Beziehungen besteht auch ein Veto-Recht des Partners. Jeder Partner kann sagen: "Nicht mit deiner Kollegin Susanne" oder "mit niemandem aus unserem Freundeskreis." Es geht ja nicht darum, den Partner zu verletzen, sondern darum, sexuelle und emotionale Erfahrungen mit anderen zu machen, die für den Partner in Ordnung sind. Ihre Frau hat jedoch eine Außenbeziehung zu ihrem Chef begonnen, ohne vorher mit Ihnen darüber gesprochen zu haben, wie Sie dazu stehen. Das halte ich für einen Vertrauensbruch. Und zudem sind Sie jetzt, wie es scheint, der Verlierer des Ganzen, denn in der Verliebtheit zu ihrem Chef sieht Ihre Frau Ihre vermeintlichen Mängel und Defizite stärker und distanziert sich von Ihnen. Wo ist da ein Geben und Nehmen zu erkennen?

Oft ist das Öffnen einer Beziehung angedacht, damit keiner sich sexuelle Wünsche verkneifen muss oder heimlich fremdgehen muss. Damit soll der Zusammenhalt und das Vertrauen des Paares gestärkt werden. Mir kommt es so vor, als wenn bei Ihnen das Gegenteil passiert. Überspitzt gesagt: Ihre Frau macht, was sie will, und Sie werden von ihr vernachlässigt und bekommen die Schuld zugewiesen.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht und anschließend zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

So scheint die Situation völlig unausgewogen zu sein, auf Ihre Kosten.

Sie sind unzufrieden, was ich sehr gut verstehen kann, und suchen das Gespräch mit Ihrer Frau, provozieren Sie, fordern Erklärungen ein. Doch wie fühlen Sie sich? Wie geht es Ihnen damit, dass Ihre Frau einseitig die Spielregeln der Beziehung auf den Kopf stellt, ohne Sie zu fragen und ohne feinfühlig zu erspüren, ob das für Sie in Ordnung ist? Haben Sie Zugang zu Ihren Gefühlen oder spielen sich solche Probleme bei Ihnen eher im Kopf ab, in Form von Grübeln, disputieren, rationalisieren? Ich würde Sie ermutigen, sich besser zu spüren! 

Vielleicht könnten Sie noch einmal eine Paartherapie initiieren und eine deutlichere Ansage machen. Ihre Frau scheint sich an Ihre Gutmütigkeit gewöhnt zu haben, und vielleicht testet sie gerade deshalb so ungehemmt die Grenzen. Es wäre bestimmt für Sie klärend, wenn Sie Ihre eigenen Grenzen nicht nur überdenken, sondern auch erspüren. Die Gefühle spielen hier eine sehr wichtige Rolle, um sich zu verändern. 

Das Erspüren und Entdecken Ihrer Gefühle könnte im Rahmen einer Einzeltherapie geschehen. In langjährigen Beziehungen geschieht es oft, dass jemand sich so stark an seinen Partner anpasst oder sich unterwirft, dass die eigenen Gefühle und damit auch die eigenen Grenzen verwischen oder nicht mehr bewusst werden. Es wäre eine Aufgabe der Therapie, das wieder zu fühlen und dann im zweiten Schritt Ihrer Frau mitzuteilen. Damit würden Sie auch Ihrer Selbstachtung viel Nahrung geben. Ob Sie es für sich oder für die Beziehung tun, es wird sich sicher gut anfühlen! 

Ich kann mir vorstellen, dass nur ein klares: "Bis hierhin und keinen Schritt weiter, entweder wir klären es oder wir lassen es" zu gewünschten und für Sie gesunden Ergebnissen führt.

Herzliche Grüße, Julia Peirano

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