Italienischer Bestseller Warum wir uns selbst verraten, wenn wir treu sind

"Treue" kreist um wirkliche und imaginäre Seitensprünge (Symbolbild).
"Treue" kreist um wirkliche und imaginäre Seitensprünge (Symbolbild).
©  DigitalVision / Getty Images
Marco Missirolis Buch "Treue" ist ein Welterfolg. Er weiß, welche Kosten die Treue in einer Beziehung hat und zeigt, wie "richtige" Entscheidungen ein Leben verderben können.

Marco Missirolis Buch über Untreue hat Italien elektrisiert, die Welt erobert und wird Ende des Jahre in einer Serie-Adaption bei Netflix gestreamt. Während "Mit geschlossenen Augen" von Melissa Panarello sizilianische Lolita-Fantasien wahr werden ließ, ist das Werk von Missiroli woanders angesiedelt. Sein Buch beleuchte die dunklen Seiten der Institution Ehe – trifft aber genauso auf langjährige Verbindungen ohne Trauschein zu.

Der Kompromiss ist die dunkle Seite der Ehe 

"Ich habe die Leser an einen Scheideweg gestellt, wo sie gezwungen waren, die dunkle Seite ihrer Ehe zu sehen, und vielen hat das nicht gefallen", sagte der Schriftsteller zur Londoner "Times". Treue und Untreue – das ist ein Thema, das Italien beherrscht in der Fiktion wie auch in der Wirklichkeit. Die Scheidungsanwältin Annamaria Bernardini de Pace ist sich sicher, dass Untreue in Italien zunimmt, auch in der Pandemie. Inzwischen führen Frauen beim Fremdgehen. "Sie sind viel besser darin, es zu verbergen", so die Anwältin.

Missiroli hingegen glaubt, dass Untreue ein universelles Phänomen ist. Die Italiener sind nur davon besessen, Affären auch darzustellen. "In unserer künstlerischen DNA gibt es etwas, das uns Italiener dazu bringt, das Leben ohne Filter darzustellen, während es außerhalb Italiens eine Art Schleier über den Verrat gelegt wird."

Trotz aller fleischlichen Verlockungen geht es in "Treue" um eine intellektuelle Perspektive. Es geht um die Unausweichlichkeit des Verrats, entweder an sich selbst oder am Partner. Das Buch wurde von Missirolis Vaters ausgelöst. Der hatte seinem Sohn anvertraut, dass er seiner Mutter treu geblieben sei und dafür "einen Teil von mir selbst aufgegeben" hatte. Der Vater wurde schwer herzkrank.

"So kam ich auf die Frage, die "Treue" beherrscht. Wenn wir anderen gegenüber treu sind, verraten wir dann uns selbst? Und wenn wir uns entscheiden, uns selbst treu zu sein - wirklich treu -, wie weit verraten wir dann die Menschen um uns herum?"

Die Obsession entsteht aus dem Entsagen

In dem Roman wird die Ehe von Carlo und Margherita in mehreren Zeitebenen gleich mehrfach auf die Probe gestellt, oder genauer gesagt, sie übersteht nicht die leiseste Probe. Carlo, der Unidozent aus Mailand "rettet" eine junge Studentin auf der Toilette, während Immobilienmaklerin Margherita, sich den kundigen Händen ihres Physiotherapeuten hingibt.

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Das Besondere an dem Roman ist, dass es nicht um einen Ausbruch aus der Ehe oder eine womöglich gar gefährliche Affäre geht. Die Affären stehen nur dafür, wie die beiden ihre Persönlichkeit erkunden, das, was sie sich erlauben, und das, was sie sich verwehren. Und welche Folgen diese Entscheidungen noch lange Zeit später haben.

Die beiden haben Ambitionen und Träume in eine Schublade gepackt und gerade darum wird die Ehe von Carlo und Margherita von untergründigen Obsessionen beherrscht, die ihren Ursprung in einem Früher haben. Carlo erhält anonyme Romane per Post, die sein Leben zehn Jahre zuvor betreffen. Dazu wird seine Fantasie von einer Frau beherrscht, die er damals begehrte, und die er nicht vergessen kann. Die Tücken der Treue: Carlo hatte damals nichts mit ihr und gerade darum beherrscht diese Nicht-Affäre sein Leben und seine Ehe. Dazu kommt, dass seine Frau diese scheinbar verborgene Obsession von Anfang an bekannt war.

Auf Netflix Ende des Jahres 

"Wenn er seine Obsession ausgelebt hätte, wäre alles in Ordnung gewesen", meint der Autor. Es ist ein unbequemes Buch, weil es die kleinen bösen Wahrheiten ans Licht bringt, die alle in sich herumtragen. Diesen inneren Geheimnissen korrespondieren heute die sozialen Medien, die sie ununterbrochen anheizen. "In Italien sagen wir: 'Wenn das Auge nicht sieht, trauert das Herz nicht', so Missiroli. Doch durch die sozialen Medien sehen wir immer, es gibt kein Vergessen.

Auf Netflix wird die Serie Ende 2021 zu sehen sein. Regie führen Andrea Molaioli ("Das Mädchen am See", "Suburra - die Serie" und "Bella da morire") und Stefano Cipani ("Mein Bruder jagt Dinosaurier"). Michele Riondino ("Der junge Montalbano ") spielt Carlo und Lucrezia Guidone ("Luna Nera") die Margherita.

Quelle: The Times

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